BLOG vom: 04.08.2010
Obama-Stilbruch 27: US-Schnüffeleien aus- statt abgebaut
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Im üblichen Stil, die Wahlversprechen ins Gegenteil zu verkehren, hat US-Präsident Barack Obama seine Absicht bekundet, die Überwachung der Internet-Nutzung zu verstärken. Er will der Bundespolizei FBI unter die Arme greifen, indem er ihr gestattet, ohne einen Gerichtsbeschluss abfragen zu dürfen, wohin ein Nutzer seine E-Mails versandt hat, welches der Absende- und Empfangszeitpunkt der elektronischen Post war, und auch eine Abfrage der besuchten Internet-Seiten ist erlaubt. Nur noch die Inhalte der E-Mails sollen geschützt sein – wie lange wohl noch? Der Schnüffelstaat und damit die Schnüffelwelt werden offensichtlich rasant ausgebaut. Obama hat dem Kongress eine entsprechende Gesetzesänderung beantragt.
Die „New York Times“ kritisierte den Schwenker Obamas als „unnötig“ und als einen „enttäuschenden Schritt rückwärts“. Während des Wahlkampfs hatte Obama versprochen, den staatlichen Schnüffel-Exzessen einen Riegel zu schieben, exzessive und missbräuchliche staatliche Nachforschungen zu beenden. Die Bekämpfung des Terrorismus sei auch ohne Beschneidung der Bürgerrechte möglich. Nun gilt das Gegenteil ... die Schnüffelei wird ausgeweitet.
Erfreulicherweise weigerten sich bisher viele Anbieter von Internet-Diensten in den USA, dem FBI solche Daten herauszugeben, weil die Gesetze nicht eindeutig waren. In einem Gesetz aus dem Jahr 1993 steht, dass zu den FBI-Befugnissen (bzw. des Nationalen Sicherheitsdienst NSL) auch „Aufzeichnungen über Transaktionen elektronischer Kommunikation“ gehören, eine schwammige Bestimmung, die nirgends im Detail erläutert ist.
SWIFT
Die Grenzen des Persönlichkeitsschutzes werden ständig durchlöchert, und dass Obama hier als treibende Kraft wirkt, passt zwar zu seinem Stil mit der Diskrepanz von Rhetorik und Handeln, stimmt aber höchst nachdenklich. Dazu gehört auch das SWIFT-Abkommen (SWIFT = Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, Ursprungsland ist Belgien), das die Übertragung von Bankdaten im grossen Stil an die US-Behörden auf deren Druck hin erlaubt – ob Inland- oder Auslandzahlungen. Man muss bei jeder Transaktion über Landesgrenzen hinweg damit rechnen, dass die US-Behörden davon eine elektronische Kopie erhalten; es handelt sich also um eine systematische Überwachung von Finanztransaktionen, die das Bankkundengeheimnis komplett aushebelt – also auch noch das, was nach der US-Datenerpressung davon überhaupt noch übrig geblieben ist.
Nach einem anfänglichen Protest vonseiten einiger EU-Länder sind diese dann, wie üblich, auf die ungeheuerlichen US-Forderungen eingeschwenkt; das EU-Parlament hat dem Abkommen am 08.07.2010 mit 484:109 Stimmen zugestimmt, und seit dem 01.08.2010 können sich die Amerikaner am Datenmaterial frei bedienen. Pro forma wird die Datenauswertung in den USA von einem einsamen EU-Beamten überwacht ... Die ausgelieferten Datenpakete, über deren Inhalt die Amerikaner entscheiden, stehen den allmächtigen Weltherren dann bis zu 5 Jahre lang beliebig zur Verfügung; auch die Wirtschaftsspionage wird ihnen dadurch erleichtert. Die SWIFT-Daten bereichern die Sammlungen von DNA, Fingerabdrücken, Ballistik-Informationen, Fahrzeugregistern, Telefonverkehrsdaten und Melderegistern und alldem, was aus Flugpassagieren herausgeholt wird. Ein schwacher Trost ist, dass die Amerikaner in der Datenflut ertrinken und sie gar nicht auszuwerten verstehen. Aber es besteht eben deshalb auch die eminente Gefahr, dass wegen Pfuscharbeiten und Inkompetenzen der Überwacher Unschuldige in die Fänge der Justiz gelangen können. Und das alles unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung, mit dem der Westen seine ganze mehr oder weniger freiheitliche Struktur aufgegeben hat.
Die Schweiz ist selbstverständlich in dieses System eingebunden, von der Schnüffelpraxis voll betroffen. Noch im laufenden Jahr 2010 soll mit dem Bau eines SWIFT-Operating Centers in Diessenhofen TG für den standardisierten Nachrichtenverkehr der Finanzinstitute untereinander begonnen werden. Am SWIFT machen 2500 Banken mit. Das Dienstleistungsunternehmen hatte seine Server in die Niederlande und in Mieträume in Zürich verlegt, um den ungenügenden Datenschutzvorschriften in den USA zu entkommen. Das neue Abkommen ermöglicht das US-Weiterschnüffeln. Das SWIFT ist demnach nicht Täter, sondern Opfer.
Der emeritierte Wirtschaftsprofessor Walter Wittmann, bekannt für unverblümte Stellungnahmen, erachtet das europäische Einknicken gegenüber der unverschämten Grossmacht USA als skandalös. Das Bankgeheimnis sei mit dem Freipass weggewischt, denn „die Amerikaner kontrollieren weltweit den gesamten Bankdatenfluss.“ Genau das ist aus Obamas Wahlversprechen in der Wirklichkeit geworden: ein gigantischer Bespitzelungswahn. In den Medien wurde das im Übrigen aus Rücksicht auf die USA kaum thematisiert – mit Ausnahme der Gratiszeitschrift „20 Minuten“.
Noch arbeitet die EU zwar an einem Rahmenabkommen für den Datenaustausch mit Amerika, das den Datenschutz verbessern soll ... doch nach all den diesbezüglichen Erfahrungen kann man sich leicht ausrechnen, was dabei herauskommen wird. Rein gar nichts. Die Unterwürfigkeit der Welt unter die Kriegsnation USA kennt keine Grenzen.
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