BLOG vom: 09.08.2010
Erinnerungs-Konvoi: Militär-Nostalgiker in Birmenstorf AG
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Aus nährstoffarmen Kiesgruben werden oft idyllische Biotope mit Amphibien, Vögeln, Insekten und seltenen Pflanzen. Die Grube Bollere in Birmenstorf AG der Merzgruppe, Gebenstorf/Baden AG, ist so ein Beispiel mit auffallend vielen Sommerflieder-Pflanzen (Buddleja) aus tropischen und subtropischen Gebieten; sie standen gerade in schönster Blüte. Ein recht grosser Weiher ist hinter einem etwa 50 cm hohen Wall am Rande des unebenen Geländes, das auch als Ablagerungsplatz für alte Ziegelsteine und Dachziegel dient.
Erinnerungen
Diese Kraterlandschaft war am Wochenende des 07. und 08.08.2010 zu einem Lebensraum für fast 600 militärische Oldtimer (exklusive Amphibienfahrzeuge) aus aller Welt verkommen. Mit dem Begriff Oldtimer sind neben altem, fahrbarem Militärgerät auch viele Besucher gemeint, die seit den letzten strategischen Einsätzen im Gelände im Gegensatz zu den Kampfmaschinen aus Stahl etwas an Umfang zulegen konnten. Ich zähle mich zu dieser Spezies. Neben solchen Auslaufmodellen waren auch die Jugend und das mittlere Alter innerhalb der gewaltigen Besucherscharen bestens vertreten, so dass wir Veteranen getrost in die Zukunft blicken dürfen.
Ich war am Samstagnachmittag einige Stunden lang dort, um mir ein eigenes Bild über die Begeisterung der Menschen an Krieg und an den entsprechenden Materialschlachten zu machen. Ich hatte erwartet, dass der „5th Convoy to Remember“ auf eine Verherrlichung der unbändigen US-amerikanischen Kriegslust, welche die ganze Erde bedroht, hinauslaufe, bezog sich das „Remember“ doch auf die Erinnerung an den „D-Day“ (06.06.1944, Landung in der Normandie, Beginn der Operation „Overlord“), als die Amerikaner der landesüblichen Meinung nach dem „alten Kontinent“ die Erlösung vom Hitler-Krieg und damit die Freiheit brachten. Es war der Tag der Tage, der Day-Day. So hatte man es sich jedenfalls einzuprägen.
Wer denn hat Europa gerettet?
Mit dieser Interpretation habe ich selber nie viel anfangen können, da die entscheidende Schwächung der deutschen Armee bei ihrem aussichtslosen Russland-Feldzug bereits erfolgt war und man dementsprechend den Russen die Lorbeeren dafür zustellen müsste, dass das Dritte Reich (im Abendland denkt man die Geschichte im Dreischritt) unterging. Die Amerikaner, die Adolf Hitler zuerst finanziert und aufbauen geholfen hatten, eilten noch schnell herbei, als sich die deutsche Armee bereits hoffnungslos verausgabt hatte und schwach geworden war, um ihr den Rest zu geben, Plünderungsaktionen zu starten und ihre Stützpunkte in Europa zu errichten. Deshalb gäbe es in Europa wohl wenig zu feiern, würden wir nicht auf jede Propagandalüge hereinfallen.
Deutschland hat noch heute für Stützpunkte der Ausländer im eigenen Land zu bluten, so etwa für 70 000 US-Militärangehörige in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz. Die Engländer sind etwa mit 20 000 Militärpersonen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen festgekrallt, und kleinere Kontingente aus Frankreich und den Niederlanden geniessen ebenfalls nach wie vor die deutsche Gastfreundschaft.
Jenseits des 2. Weltkriegs sahen die Europäer nicht in Amerika, sondern in der kommunistischen Sowjetunion den Feind, und somit standen die USA mit den Alliierten im Schlepptau automatisch als Sieger fest. Das ist die gängige Lehrmeinung, die eine Revision durchaus ertragen könnte. Die zeitliche Distanz von 65 bis 70 Jahren unter Einbezug von alledem, was an Geschichte dazugeschrieben werden musste, würde schon ein neues Bild zeichnen, hätten die Europäer die Kraft, in möglichst unbeeinflusster, unabhängiger und objektiver Weise darüber nachzudenken.
Nostalgie-Schau
Das Stern-Logo der „U.S. Army“, der fünfstrahlige Stern im Kreis bzw. Fünfeck, war in Birmenstorf auf den Kampfgeräten und den vielen Willys-Jeeps zwar häufig anzutreffen. Und auch die zweimotorige, robuste Dakota (DC-3), von der englischen Douglas Aircraft Company gebaut und von der US-Armee seinerzeit gern verwendet, war vom North Weald Airfield in England, einem der bedeutendsten Jägerflugplätze in der Nähe von London, eingeflogen worden. Sie setzte am Samstag über Birmenstorf unter Besucher-Applaus 5 Fallschirmspringer ab, nachdem sich am steilen Grubenrand und in der Grube etwa 25 historische Kampf- und Spezialpanzer ab dem Baujahr 1942 präsentiert hatten, so etwa ein gelber Luftlandepanzer, der Jagdpanzer „G-13“ und der leichte Kampfpanzer „AMX-13“, welch letzteren wir in der Schweizer Verteidigungsarmee häufig sahen. Kinder und schöne Frauen winkten aus der Einstiegsluke bzw. dem Turm den Zuschauern zu. Formationsflüge und Loopings mit 2 „Stinson L5“, Verbindungs- und Aufklärungsflugzeuge der USA, hinterliessen ihre Abgas- und Kondensstreifen im Blau des Himmels, so eine gigantische Schlaufe, in der man gern die Hintermänner von Invasionstruppen erhängt hätte.
Der manchmal stiebende und nach verbranntem Rohöl stinkende Anlass aber war friedlicher Natur, glich einem Nostalgietreffen für technisch Interessierte und Liebhabern von Jeeps, Pinzgauern, alten Saurer- und Berna-Lastwagen, Dodges, Trucks und Militärmotorrädern mit all dem Zubehör. Der Anlass wurde über Lautsprecher, die auf Kranarmen montiert waren, knapp und sachlich kommentiert. Auf dem ausladenden Festgelände konnte man sich unbehelligt bewegen, die Sammlerstücke aus der Nähe betrachten. Man war ins „Remember-Camp“ mit den unvermeidlichen US-Flaggen und ins Camp Reenactors mit all dem militärgeschichtlichen Plunder eingeladen. Ein ausrangierter Fallschirm war für 98 CHF zu haben. Auch Geschosshülsen waren im Angebot, ebenso wie Militärkäseschnitten, nach strategischen Rezepten frisch produziert. In einem Army Medical Center langweilten sich neben Infusionsbeuteln weiss beschürzte Krankenschwestern.
Nur war vergessen worden, einige Taliban-Kämpfer einzuladen. Sie hätten demonstrieren können, wie man mit dem schweren Gerät und den modernen Soldaten, die sich vor lauter Ausrüstung kaum noch bewegen können, erfolgreich fertig wird. Das hätte dem Anlass eine gewisse Ausgewogenheit gegeben.
Das US-Soldaten-Radio hat genügend Stoff
Selbst das American Forces Vietnam Network AFVN war vertreten, ursprünglich ein Radio für die US-Soldaten, die das friedliche, unschuldige Land vergiften und niederreissen mussten, selber geschädigt wurden und auch diesen Krieg verloren haben. Einen Armeesender (Armed Forces Radio Service) rief die Kriegsnation USA schon 1942 ins Leben, um Soldaten und Daheimgebliebene über all die Heldentaten mit den üblichen Propagandalügen bei der Stange zu halten und die Moral der GIs zu heben, notfalls auch mit Hilfe von Pinup-Girls . Im Moment kann das Soldatenradio gerade über den Abzug der Amerikaner aus dem Irak berichten, wo sie riesige Zerstörungen, einen einzigen Trümmerhaufen, hinterlassen. Bis Ende August 2010 sollen alle Kampftruppen abgezogen sein; sie werden in Afghanistan, wo die US-Präsenz ständig vergrössert wird, einen neuen Job finden.
Die USA hat den Irak-Krieg nicht gewonnen, also verloren. Ein Soldatenradio wird aber im Irak weiterhin nötig sein, weil bis Ende 2011 noch 50 000 Amerikaner im verwüsteten Land bleiben werden, um Sicherheitskräfte auszubilden, Terroristen bekämpfen zu helfen und – vor allem – eigene Einrichtungen zu schützen. Es besteht nach allen früheren Erfahrungen kein Zweifel, dass sich die Energieverschwendernation im Erdölland Irak fest etablieren werden.
Die Mithilfe ist beim Wiederaufbau des bombardierten Lands nicht vorgesehen; denn die US-Kernkompetenz ist das Zerstören von Menschen und Einrichtungen und nicht das Schaffen neuer Werte. Tarek Aziz, der eingesperrte frühere Vizepremier und Aussenminister (Baath) unter Saddam Hussein, der Barack Obama „Heuchelei“ vorwarf, hat zweifellos vollkommen Recht, wenn er sagte: „Wir sind alle Opfer der USA und von Grossbritannien. Sie haben das Land (Irak) auf viele Arten getötet. Wenn man einen Fehler macht, muss man ihn korrigieren und den Irak nicht seinem Tod überlassen.“ Für diese treffenden Worte wird er wahrscheinlich eine Zusatzstrafe erhalten.
Besucher-Kuriositäten
Der Krieg präsentiert sich in der Praxis weniger friedlich als dies an Oldtimer-Veranstaltungen zum Ausdruck kommt, wie man sieht. Das Studium der Besucher und deren Gehabe in Birmenstorf war für mich eine besonders ergiebige Tätigkeit, sah man doch Uniformen aus vielen Ländern. Schon beim Eingang begegnete ich, nachdem die 25 CHF Eintrittsgeld bezahlt waren, einem Hünen von einem britischen Militärpolizisten in der hellbraunen Uniform, mit weissem Gürtel und weisser Pistolentasche, der sich gern fotografieren liess und sich aus eigenem Antrieb ins richtige Licht stellte.
Viele Militärbegeisterte trugen eine ernste Miene zur Schau, ist doch die Armee eine ernst zu nehmende und ernste Sache. Tarnanzüge und Gamaschen nach rechtsradikaler Art waren trotz der Tropenhitze häufig im Einsatz; auch Knaben fühlten sich im sogenannten Vierfrucht-Pyjama offensichtlich wohl. Berets wie das US-Army Black Beret waren beliebte Kopfbedeckungen; Pilotenbrillen hatten Hochkonjunktur. Einer der Besucher trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Hardcore Shopper“, wobei Shopper im US-Slang für Maschinengewehr steht. Auch waren Uniformen der amerikanischen Landungstruppen zu sehen. Ein eingeborener Urgrossvater mit Hosenträgern und Wanderstock, auf den er sich abstützte, wurde hier in jüngere Jahre zurückversetzt. Und anderweitig fiel der Cowboy-Stil nicht besonders auf.
Ein ehemaliger Transportunternehmer und handwerklich begabter Sappeur, 76 Jahre alt, setzte sich im Festzelt, wo ich den Durst mit einem Bier herunterzuspülen trachtete, neben mich. Er erzählte von seinem abgrundtiefen Missfallen an der Armee XXI, die im Rahmen einer Änderung des schweizerischen Militärgesetzes (Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung) am 18.05.2005 vom Schweizervolk leider Gottes angenommen worden war, womit sich die Schweiz der Nato anpasste und wohl auch unterwarf. Ein Jammer, vergleichbar mit der Aufgabe des Bankgeheimnisses. Seither herrscht das Armee-Chaos, das Bundesrat Ueli Maurer nun sozusagen auf verlorenem Posten wieder etwas ausmisten will – eine verkachelte Herkules-Arbeit, Folge der global orientierten Adolf-Ogi- und Samuel-Schmid-Ära.
Erinnerungsparade
Insgesamt war der Besuch eine Begegnung mit jungen und alten Kriegern sowie mit Militärspielzeug 1:1, das beim „5. Convoy to Remember“ von Birmenstorf nach Schinznach, durchs Schenkenbergertal, nach Zeihen, über den Bözberg und via Brugg nach Birmenstorf zurückgekarrt wurde. Der lärmige Umzug wurde von einem Radfahrer-Detachement der Schweizer Armee angeführt, das es nur noch als museales Relikt gibt, obschon gerade Velos im militärischen Einsatz wohl noch heute hervorragende Eigenschaften hätten. Keine Strapaze war den Akteuren zu gross, wenn es um Stilreinheit ging; selbst Stahlhelme und Gasmasken wurden an diesem schwülen Sommertag mit Fassung getragen, und viel Schatten spendeten die Tarnnetze auch wieder nicht.
Fussgänger-Prozessionen ergaben sich von und zu den Parkplätzen in Birmenstorf, die von der Mooshalde bis ins Steckfeld (zwischen Birmenstorf und Gebenstorf) reichten. Noch einmal konnte man seine Lunge mit dem Staub, wie er militärische Aktionen zu begleiten pflegt, füllen. Eine insgesamt authentische Sache mit betontem Folklore-Charakter.
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