Textatelier
BLOG vom: 01.10.2010

Paris (3): 10. Arrondissement – Faubourg Saint Denis

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Innerhalb von 2½ Stunden erreichten wir von London St. Pancras mit dem Eurostar den Gare du Nord Bahnhof in Paris. Diesmal wurde uns das Hotel Parisiana an der Rue de Chabrol empfohlen, denn wir hatten die Nase voll von den schäbigen und lärmigen Hotels in nächster Bahnhofsnähe.
 
Mit dem Rollköfferchen bogen wir nach einer Viertelstunde in diese Strasse ein. Das Hotel ist wenige Schritte von der imposanten, altmodischen Markthalle entfernt. Uns wurde das grösste und modern eingerichtete – erst noch blitzblank geputzte – Zimmer im 1. Stock des stillen Hinterhofs zugewiesen. Besser hätten wir es nicht treffen können – mitten im Herzen des 10. Arrondissements. Die Métro-Haltestelle „Poissonnière“ am Ende der Rue de Chabrol war uns viel lieber als jene beim Garde du Nord, in der man sich mühsam durchschlängeln muss.
 
Ein erleichtertes Lächeln überzog das mürrische Gesicht der Dame in der Rezeption, als wir sie auf Französisch ansprachen. Die Pariser haben wenig Geduld mit Touristen, die ihre Sprache nicht sprechen oder arg verhunzen. Mir geht es gleich, wenn ich unverständliche Anrufe aus Call Centres erhalte.
*
Hier beschränke ich meinen Bericht auf dieses Quartier.
 
Gegen Abend, wieder im Hotel, sprach ich die Dame im Empfang keck mit „jolie Madame“ an und bat sie, uns ein angenehmes Restaurant in der Nähe zu empfehlen. Das wirkte Wunder. Eine halbe Minute später betraten wir das Bistro „L’Enchotte“, gleich nebenan, hauptsächlich von Einheimischen frequentiert. Die Inhaberin stellte die mit Kreide beschriftete Menu-Tafel auf einer Staffelei vor uns ab. Ehe sie uns den Rücken kehrte, bestellte ich ein „Kir cassi(s), und verschluckte das letzte „s“. „Cassis“, verbesserte sie mich sofort. „Je m’excuse“, sagte ich, und wiederholte meine Bestellung diesmal korrekt ausgesprochen. Meine Lehrmeisterin lächelte zufrieden. Lily begnügte sich mit einem Mineralwasser.
 
Als Hauptgericht wählte ich einen Schweinsrücken mit Süsskartoffel-Purée (potain?) und anderen Zutaten, und dazu einen Burgunder. Lily, Risiken abhold, bevorzugte ein Schnitzel. Wir hatten Glück: Die Hausmannskost schmeckte ausgezeichnet. Ehe wir gut gesättigt das Bistro verliessen, bestellte ich einen Tisch für den nächsten Abend. „Pourquoi chercher midi à 14 heure?“ In Paris steckt man punkto Essen oft Enttäuschungen ein. Das wollte ich verhindern.
 
Und weil schon vom Essen die Rede ist, sah ich auf der anderen Seite der Rue de Chabrol ein merkwürdiges Restaurant: „Chez Mountsouka – Restaurant Franco-Africain“, dicht von schwarzen Gästen besetzt. Die ausgehängte Speisekarte gab keine Geheimnisse preis. Jedes Menu wurde mit „ménu spéciale“ bezeichnet. Ich konnte bloss vermuten, dass dort Wildfleisch aus Afrika aufgetischt wird, das sich auf Schleichwegen in die Küche eingefunden hat. Das zu goutieren wäre für mich zu viel zu riskant gewesen.
 
Streifzug durch den Fauburg-Saint-Denis
Schon von früheren Aufenthalten ist mir der umrandete Rasen ganz am Anfang der Rue Saint-Denis aufgefallen, teils von Gemüsebeeten durchsetzt, von Schwarzen gepflegt und geerntet. Diesmal sind bloss die Sonnenblumen übrig geblieben. Schwarze hockten auf der Umfassung und spielten Karten ums Geld. Eine Seite haben Clochards, junge und ältere, für sich und ihre Hunde beschlagnahmt. Diese struppigen Hunde jagten einander spielerisch. Lily machte einen grossen Bogen um diese Gruppe. „Die beissen dich doch nicht!“ Das überzeugte sie keineswegs. In London hätte mich nicht auf eine solche Mutprobe eingelassen, denn dort sind die Köter wirklich bissig!
 
Die Rue Saint-Denis erstreckt sich über rund 600 Meter bis zur „Porte Saint-Denis – ein „Arc de Triomphe“ (Triumpfbogen) ähnlich wie der „Arc de Triomphe“ am einstigen „Place de l’Etoile“ am Ende der Champs Elysée, heute als „Place Charles de Gaulle“ bekannt.
 
Am hellem Tag scheint diese Strasse wie ausgestorben. Jetzt aber, als es Nacht geworden ist, war viel Betrieb: Eine wahre Völkerwanderung aller Rassen zog an mir vorbei, angelockt von den vielen ethnischen Imbissstätten und Lebensmittel- und Gemüseläden, in baufälligen Häusern eingenistet. Dazwischen ist eine Moschee eingezwängt, die eine Viertelstunde vor dem Gebet die Türe öffnet und die eine halbe Stunde nach dem Gebet wieder geschlossen wird.
 
Wie angenagelt blieb ich vor einer grossen luxuriösen Gaststätte stehen: Ein wahrer Art Nouveau Prunkpalast, mit typischer Blumenkeramik ausgekleidet und mit Buntglas überdacht. „Julien“ heisst dieser Palast an der 16, rue du Faubourg Saint-Denis. Der Gerant gestattete mir, einige Aufnahmen im langgestreckten Innenraum zu machen, solange ich mich aus dem Weg der Kellner halte, die geschäftig hin und her weibelten, um die gutbürgerliche Kundschaft zu bedienen.
 
Während meines Streifzugs begegnete ich nur wenigen Touristen. Auch begegnete ich nur wenigen Burka-vermummten Gestalten. Friedlich drängten sich plaudernd und lachend die Einheimischen aneinander vorbei. Das ist noch immer ihr Reich. Wie lange wird diese Völkeroase erhalten bleiben? Zwischen den verwahrlosten Gebäuden sind einige bereits renoviert und aufgeputzt, in luxuriöse Appartements aufgeteilt. „Gentrification“ heisst dieser Umwandlungsprozess in London, von den Häusermaklern ausgebeutet. Auch hier werden die Preise hochschnellen. „Fin d’une autre époque“ – leider.
 
P.S. Im nächsten und abschliessenden Paris-Beitrag werde ich einige Unterschiede zwischen den 2 Städten, London und Paris, aus meiner persönlichen Sicht aufdecken.
 
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