BLOG vom: 07.10.2010
Bad Osterfingen, Rheinau, Uhwiesen: Übervolles Kraftpaket
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Das Bad Osterfingen zieht heute keine Badegäste mehr an – das Baden im schwefel- und alaunhaltigen Wasser ist dort seit 1927 Geschichte –, dafür aber Weinliebhaber und Feinschmecker. Eine liebe Bekannte, Alice Uhl-Bachmann aus Uhwiesen ZH in der Nähe des Rheinfalls, hatte uns auf den Ort aufmerksam gemacht, und am 29.09.2010 fuhren wir mit ihr über Benken, Rheinau und dann knapp 10 km über Jetstetten durch deutsches Gebiet, abschliessend durchs Wangental nach Osterfingen. Alice war früher oft dort gewesen und freute sich über das Wiedersehen mit dem Weinbaudorf Osterfingen, das seit 2005 zur Gemeinde Wilchingen SH, gehört.
Osterfingen
Osterfingen ist ein kleines Strassendorf mit vielen beachtenswerten Profanbauten wie der „Sonnenburg“, dem Doppelhaus „Am Berg“, der Wirtschaft „Alter Sternen“ und dem Doppelhaus „Ochsen-Hirschen“, mit Riegelhäusern und Bauerngärten. Der Weiler zwischen den westlichen Ausläufern des Wannenbergs und dem Rossberg gehört mit der Gemeinde Wilchingen zum Schaffhauser Bezirk Unterklettgau. Er hat etwa 350 Einwohner. Im Dorf, das den Haartelbach begleitet, steht eine alte Trotte, womit nicht eine Weinkelter (Weinpresse), sondern das sie umgebende Haus gemeint ist. Das alljährliche Trottenfest ist in der Umgebung angeblich sehr bekannt. Und soeben ist ein von der Rebbaugenossenschaft lancierter Wettbewerb beendet worden, das Trottenhaus zu einem Kulturzentrum, zu einer „Kathedrale des Schaffhauser Weins“, umzufunktionieren. Ackerbau wurde in der einst selbstständigen Gemeinde wohl mehr als heute betrieben, wovon das Ortswappen mit Pflugschar und Rebmesser auf seine reduktionistische Weise erzählt.
Bad Osterfingen
Das Gasthaus/Weingut Bad Osterfingen liegt südlich ausserhalb des Dorfs an der Zollstrasse. Es ist eigentlich eine alte, 1472 erstmals erwähnte Burg mit Treppengiebel über der rustikal renovierten Fassadenmauer und vielen Räumen auf verschiedenen Etagen, die nach gastlichen Zwecken nutzbar gemacht sind. Das ist eigentlich keine Zweckentfremdung, zumal sie ehemals als Sommerresidenz des Abts von Rheinau dienten, der sich hierher zurückzog. Aber architekturgeschichtlich scheint die Anlage nicht von besonders grosser Bedeutung zu sein, zumal sie in den massgebenden Kunstführern nicht einmal erwähnt ist. Wenigstens wäre ein Hinweis auf das Bad-Kreuz-Gewölbe im Parterre gerechtfertigt, das noch erhalten ist und für eine Restauration betet.
Alice hatte einen Tisch in der Stube reserviert, da ein Aufenthalt im Gartenrestaurant trotz der allmählich Oberhand gewinnenden Sonne zu kühl gewesen wäre. Der grüne Kachelofen, vor dem wir Platz genommen hatten, wurde leicht temperiert, was als angenehm empfunden wurde. Wir wählten, um der guten Pilzsaison unseren Tribut zu zollen, Eierschwämmli in Rahmsauce bzw. Steinpilze im Olivenöl zur Vorspeise. Die Pilze durften ihren Eigengeschmack behalten, und das hausgebackene Brot dazu war grossartig. Nachher wählten wir Kalbsleberli bzw. Kalbsschnitzel zu Spätzli (Spätzle, schweizerisch: Knöpfli), weil der Koch und Inhaber, Michael Meyer, als Spätzlikönig gilt. Er machte seinem Ruf Ehre: Die kleinen Spatzen bestanden wahrscheinlich aus Weichweizen (neben Eiern, Rahm und Butter plus vermutlich eine Spur Muskat), waren entsprechend weich, und weil sie ohne Biss waren, hätte man sie auch ohne Gebiss essen können. Sie waren mit Paniermehl aus dem hauseigenen Brot, in Butter leicht angeröstet, versehen; beim Aufwärmen von Teigwaren-Restbeständen gebe ich häufig etwas Paniermehl dazu. Das belebt die Oberfläche, macht sie wirklich interessant.
Alles schmeckte ausgezeichnet; die Kalbsleber-Stücklein nahmen es an Zartheit mit den Spätzli auf, eine schnörkellose Küche. Dazu tranken wir einen halben Liter Osterfinger Blauburgunder, um einheimisches Schaffen die Referenz zu erweisen. Denn die Region Osterfingen im Ausstrahlungsbereich von Hallau wird önologisch Blauburgunderland geheissen. Der Wein (ohne Jahrgang) war trinkfertig, gehaltvoll und mit wenig Säure.
Die Preisgestaltung ist eher von der schweizerischen als von der nahen deutschen Seite beeinflusst (Vorspeise Steinpilze: 19.50 CHF, Kalbsleberli mit Spätzli: 32.50 CHF); doch wenn Qualität, Zubereitung und Service stimmen, wie das hier der Fall war, gibt es keinen Grund zum Klagen. Kreditkarten werden nicht angenommen; doch notfalls wird einem eine Rechnung mitgegeben, doch war ich flüssig genug.
Meinem Wunsch nach einer Schrift über das Haus konnte nicht stattgegeben werden – es sei rein gar nichts vorhanden, wurde mir gesagt. Doch die vielseitig interessierte Alice Uhl, eine bekannte Goldschmiedin, bot mir sofort an, mir die Broschüre „Das Bad Osterfingen. Kurzer Abriss seiner Geschichte“ von Reinhard Frauenfelder, 1962 als Separatdruck aus den „39. Schaffhauser Beiträgen zur vaterländischen Geschichte“ erschienen, auszuleihen.
Die Römervilla
In dieser Schrift ist auch die römische Villa, eigentlich ein Gutshof, auf der Terrasse zwischen dem Bad Osterfingen und dem Rebberg, beschrieben. Die Grundmauern wurden 1934 entdeckt, weil das Getreide hier streifenweise im Wachstum zurückgeblieben war. Darauf liess der kantonale Konservator Karl Sulzberger Grabungen durchführen, worauf die Fundamente des römischen Gutshofs aus dem 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung und viele Kleingegenstände wie Gefässe, Münzen und Ziegelstempel zum Vorschein kamen. Dieser Hof mit den Ausmassen 27 × 48 m dürfte einst das dominierende Gebäude im Wangental gewesen sein. Wahrscheinlich wurde es ein Opfer der Alemannen-Einfälle im Jahr 259. Möglicherweise wurden Steine davon viel später für den Bad-Bau benützt. Wann genau das war, ist nicht mehr auszumachen; die erste schriftliche Erwähnung (30.11.1472) ist zufälliger Natur, zumal eine Schrift nicht nur geschrieben, sondern auch archiviert werden muss. Das Bad wird darin als Eigentum eines Hans Wilhelm im Thurn, der die Vogtei über das Dorf Osterfingen als Lehen der Landgrafen von Lupfen zu Stühlingen innehatte, erwähnt. Ab dem 18.03.1577 stand dann der Stadt Schaffhausen das Recht zu, das Bad zu verleihen. Manchmal blieb das Bad während längerer Zeiträume in den Händen derselben Familie, so etwa um 1500 bei den Wolf von Osterfingen und im 17. und 18. Jahrhundert bei den Kirchhofern aus Schaffhausen. Nach den Urkunden gehörte schon immer eine Wirtschaft zum Bad, die manchmal in den gleichen, manchmal in getrennten Händen lag; im letzteren Fall kam es oft zu Streitereien zwischen dem Bader und dem Wirt.
Das Bad erfreute sich offenbar eines regen Zuspruchs; das Wasser vom Bach aus dem Hasenberg mit dem Schwefel, Alaun (Kaliumaluminiumsulfat), Schlamm und erdigen Anteilen wie Kieselerde war als Heilmittel gegen Haut- und Gliederkrankheiten und „kalte Fieber“ (Wechselfieber wie bei Malaria) berühmt. Es galt zusammen mit der Wirtschaft als „Fressbädli“, in dem auch Balbierer und Schröpfer wirkten; auch Tagungen und Konferenzen fanden hier statt. Das Bad gibt es als solches nicht mehr, doch die über den Mergeln und Tonen des mittleren, braunen Juras entspringende Quelle spendet noch heute gutes Trink- und Gebrauchwasser. Es wird in einer Brunnenstube hinter dem Querflügel des Hauptgebäudes gefasst. Und die Fütterung von Gästen dauert an.
Rheinau
Die zum Teil durch Wald verlaufende Strasse über Jestetten D führte uns nach Rheinau ZH zurück, wo wir in der doppelten Stromschleife des Rheins, der sich bis 40 Meter tief in den Molassefels eingefressen hat und in dessen Mitte die Landesgrenze Schweiz-Deutschland verläuft, auf dem Klosterplatz mit den ehemaligen landwirtschaftlichen Nebengebäuden einen kurzen Halt einschoben. Man erreicht den Klosterbezirk über eine gedeckte Holzbrücke.
Die Klosteranlage macht einen sauberen Eindruck und ist rundum von Leben erfüllt; dazu gehört auch in einiger Distanz ein nach biologisch-dynamischen Grundsätzen geführter Landwirtschaftsbetrieb, der den Kühen noch Hörner zugesteht. Im Klostergarten wird Bio-Saatgut vermehrt, und zudem werden neue Traubensorten für den ökologischen Weinbau gesucht, der sich hoffentlich einmal bis nach Osterfingen fortsetzt. Demeter-Qualitäten sind heute das Nonplusultra in der Lebensmittelproduktion, aus einer konsequenten Haltung heraus erzeugt.
Die vom Kloster 1578 erbaute Bergkirche St. Nikolaus, eine Dreikonchenanlage (kreuzförmiger Grundriss), auf dem Rebberg von Rheinau, die wegen eines Blitzschlags am frühen Morgen des 06.08.2004 abbrannte (der Link führt zu einem Artikel über Religion und Natur), ist wieder instand gestellt. Ab Sommer 2013 soll auf der Rheinau ein Musikzentrum betrieben werden, das für Konzertvorbereitungen, musikalische Wettbewerbe und Seminare offen stehen wird. Besonders eindrücklich sind die riesigen Mammutbäume vor der Kirche, die mich in ihrer natürlichen Schönheit und Kraft mehr beeindrucken als die mit Barock- und Rokokoelementen überladene Kirche mit den Seitenaltären, die wie eine Allee dem Hochaltar zusteuern, nach dem Vorarlberger Münsterschema. Darin fliegen vollfleischige, nackte Knäblein (Putten) und Engel herum – ich bin diesbezüglich überfüttert, ergreife jeweils möglichst schnelle die Flucht ans Tageslicht, hinaus in die Natur oder zu dem, was davon noch übrig geblieben ist. Ich kann nichts dafür, und man möge mir das nachsehen. Selbst Alice spasste, es gebe eben Leute, welche die Kirchen am liebsten von aussen und die Gasthäuser von innen sehen. Ich zähle mich ohne Weiteres zu diesen.
Die topografisch reich gegliederte Landschaft an der Schnittstelle von Deutschland und der Kantone Zürich, Schaffhausen weist über den berühmten Rheinfall hinaus viele weitere Attraktionen auf. Man erlebt das eindrücklich von der Poststrasse Rheinau–Benken, wo bei Neurheinau das Café Rhyblick ist; wir wurden dort mit einer Tasse Kaffee gut bedient.
Uhwiesen
In Uhwiesen im Zürcher Weinland, einem ehemaligen Winzerdorf, wanderte ich noch auf der Dorfstrasse durch das Strassendorf mit den vielen Fachwerkbauten, meistens frühere Gehöfte mit Wohnung, Tenn (Tenne) und Stall unter einem First, einem steilen Satteldach, und der mittelalterlichen Kapelle an sanft abfallender Lage am Südwesthang des Chohlfirsts, wo es grosse Douglasien gibt. In der Gemeindekanzlei, einem bemerkenswerten Bau mit Sparrendach und Aufschiebling (schützendes Vordach über der traufseitigen Wand), kaufte ich für 30 CHF das Buch „Laufen-Uhwiesen“ von Walter Ulrich Guyan, 1988 erschienen. Die Umgebung ist darin kompetent dargestellt, bis hin zum nahen Rheinfall, wo der Fluss unter dem Laufener Sporn in mehreren Armen über eine reich durchfurchte Kalkplatte schiesst und tosend über die mächtige Wand fällt. Der Rheinfall ist schliesslich Laufen-Uhwiesens Naturdenkmal von nationalem Rang, ein touristischer Magnet ersten Rangs. Und man erfährt, dass in der letzten Kaltzeit (vor etwa 20 000 bis 18 000 Jahren) ein Schaffhauser Eissee bis zur Uhwieser Markung reichte. Die Zeiten, die sich auch rein temperaturmässig ändern, sind wärmer geworden. Fürs Eis sind Kühlanlagen zuständig, und die Weinländereien vergrössern sich.
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