BLOG vom: 07.11.2010
Stege- und Auenbauen bei Auenstein und Rupperswil AG
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Gewöhnlich findet man beim Anblick einer Landschaft, die sich verändert hat, wenig Anlass zu Begeisterung. Bei Wiederholungsbesuchen und beim Betrachten von Wiederholungsfotografien (Aufnahmen vom gleichen Standort, aber mit zeitlicher Distanz) erschrickt man meistens darüber, was einem Landschaftsbild angetan worden ist. Zum Glück gibt es auch den umgekehrten Fall. Im ökologisch gewissenhaften Aargau zum Beispiel. Rechtsufrig der Aare entlang, zwischen Kirchberg und Rupperswil/Wildegg, wurden trostlose Wirtschaftswälder abgeholzt (etwa 4 Hektaren im Gebiet Rupperswil), der dortige Fussballplatz mit dem unansehnlichen Betriebsgebäude (das zwar noch auf den Abbruch wartet) entfernt. Geröllschichten, die der Fluss einst liegen liess, werden mit schweren Baumaschinen nötigenfalls weggeschoben und ein neues Seitengewässer errichtet, auf dass es, auf einem zwar begrenzten Raum, wieder so aussehen möge, wie es einmal ausgesehen haben mag; Rupperswil baut eine neue Sportanlage im Gebiet Stockhard.
Natürlich sieht es an der Aare bei Rupperswil jetzt noch eher nach Baustelle und Kiesgrube aus, aber am Schluss wird man sich freuen, wenn sich der meist dürstende Aare-Altlauf neben dem zu Zwecken der Energiegewinnung aufgestauten Kanal wieder freier bewegen, überschwemmen, gestalten und die neu entstandene Auenlandschaft befeuchten und damit beleben kann.
Im Moment spielen sich die Auen-bauerischen Aktivitäten auf der Höhe von Auenstein (am linken Aareufer) und Rupperswil (am rechten Ufer) auf einer Länge von rund 1,8 km ab. Ich habe am Sonntag, 30.10.2010, eine Exkursion in jenes umgekrempelte Gebiet unternommen, wo noch schwere Baumaschinen wie ein Dumper (Muldenkippe) mit einem Fassungsvermögen von 20 m3 = etwa 38 t, Bagger, eine Geröllsortieranlage (nach Grösse in Kies und Bollensteine) herumstanden, die Sonntagsruhe geniessend. Zufällig kam ich dort mit Fritz Stalder aus Schönenwerd SO ins Gespräch, der seiner Frau Margrith seinen werktäglichen Wirkungsbereich zeigte. Der stämmige Mann mit dem weissen Bart, dem ich die Beherrschung eines Baumaschinenmonsters ohne weiteres zutraue und der den Pensionierungszeitpunkt überwunden hat, ist an Werktagen dort als Lastwagen-Chauffeur auf Achse, genau genommen auf 5 Achsen. So erhielt ich von kompetenter Stelle eine Vorschau auf das weitere Baugeschehen, das zum Beispiel darin bestehen wird, die Kiesschichten weiter abzutragen und neu angelegte Aarearme, die Seitengewässer, zu verlängern beziehungsweise auszuheben, das heisst, die Voraussetzungen für eine urtümlichen Landschaft zu schaffen. Hier wird das Wasser, besonders das Hochwasser, ständig neue Formen erfinden – in Auen sind Überschwemmungen gern gesehene Gäste, geradezu Lebenselixiere. Das Material des Aaredamms wird für Kies- und Steinaufschüttungen und verstärkende Buhnen wiederverwendet. Beim Aareabsturz („Ruschi“) wird im Fluss eine Teilrampe errichtet, welche den Fischen das Wandern erleichtert. Ein Fischer badete hier bereits seine aufgespiessten Würmer, die sich wahrscheinlich ein angenehmeres Lebensende gewünscht haben, wie ich anzunehmen wage.
Ich war zum Auftakt meiner Besichtigung auf der zur Gemeinde Auenstein gehörenden Inselzunge unterhalb des Kraftwerks Rupperswil-Auenstein flussabwärts gewandert – der Fussgängerverkehr war stattlich, das Laub leuchtete in schönsten Farben und wo es einen Durchblick zu den Alpen gab, war ein breites, sperrangelweit offen stehendes Föhnfenster zu sehen.
Auf einem ehemaligen, betonierten Brückenwiderlager wurde auf Metallträgern aus Holz eine gerundete, überkragende Aussichtsplattform erstellt, von der aus der Aarealtarm und das südlich angrenzende neue Auengebiet gut beobachtet werden können. Und anschliessend begegnete ich erstmals dem neuen, Ende September 2010 montierten Fussgängersteg, der den Aarekanal nach Auenstein (Bezirk Brugg) überbrückt, es ist die Schloss-Inseli-Brücke. Bei der damaligen Einweihung im Beisein des Aargauer Regierungsrats Peter C. Beyeler, dem die Auen-Renaturierung offensichtlich ein ehrliches Anliegen ist, und die Gemeindeammänner Rudolf Hediger (Rupperswil) und Christoph Wasser (Auenstein) philosophierten, es sei gescheiter, Brücken statt Mauern zu bauen, was allerseits widerspruchlos hingenommen wurde. Die Auensteiner können nun nach einem kurzen Spaziergang den Bahnhof Wildegg erreichen, und laut Gemeindeammann Wasser ist die „Bevölkerung stolz auf ihre Brücke“, die übers Wasser führt. Sie kommt ohne Kabel aus, an denen sich Vögel verletzten könnten. So ist auch die ornithologische Welt in einem Zustand der Glückseligkeit.
Die eleganten, beim Passieren leicht schaukelnden, schwebenden Spannbandbrücken, die ohne im Fluss verankerte Pfeiler auskommen, dienen als Ersatz für den Wanderweg entlang des Aareufers, welcher der dynamischen Flussaue weichen musste. Neu führt die Wanderroute nun über die Auensteiner Insel. Die 2. Brücke verbindet den Inselstreifen mit dem Dorf Auenstein. Es sind identische Konstruktionen mit Gelenken und sägerohem Lärchenholzbretterboden, vom Ingenieur und Brückenbauer Jürg Conzett aus Chur ausgetüftelt – mittelalterliche Vorbilder solcher Übergänge finden sich im Fernen Osten. Die sanften Schwingungen, die von Passanten ausgelöst werden, machen der Konstruktion nichts aus. Zusammen mit den Widerlagern, die mit 6 Mikropfählen und 8 Erdankern befestigt werden mussten (insgesamt 944 m), die 2 Brücken aus 66 Tonnen Stahl, 450 Kubikmeter Beton in den Widerlagern und 44 Tonnen Armierungseisen. Mit ihrer Länge von 76 bzw. 96 Metern gehören sie zu den längsten Spannbandbrücken in der Schweiz; sie kosteten zusammen 2,5 Mio. CHF.
Natürlich müssen solche Konstruktionen zuerst einmal beweisen, dass sie tragfähig sind. Bei der Einweihung wurde der mutige Toggenburger Geissbock Amadeus, der keine Anzeichen von Lebensmüdigkeit aufwies, als Erster über die Brücke geschickt – ein Anklang an die Geschehnisse bei der berühmten Teufelsbrücke am Gotthardpass. Sie hielt, und sie trug sogar mich, der ich sie wohl etwas stärker in Resonanz versetzte als mein Vorgänger. Nichts zum Schaukeln trugen die misstönenden Halloween-(Hollyween-)Klänge bei, die Musikanten in Auenstein während meiner Exkursion absonderten. Darauf hätte ich problemlos verzichten können. Das Rauschen eines neu belebten Flusslaufs trägt wesentlich mehr zu meiner Erbauung bei.
So kommen denn Natur- und Technikliebhaber in diesem Gebiet gleichermassen zu ihren Attraktionen, Musikfreunde eher weniger. Und die amtlich, im Rahmen des Auenschutzparks Aargau geförderte Dynamik im Naturgeschehen dürfte jeden Spaziergang zu jeder beliebigen Jahreszeit zu einem einmaligen Erlebnis werden lassen.
Ich wanderte rechtsufrig zur Strassenbrücke beim KW Rupperswil-Auenstein zurück und verabschiedete mich dabei vom alten Aaredamm mit den grossen Kalkquadern auf seiner Krone, die wegen der Waldrodung gleich nebenan zum Teil bereits verschoben und eingebrochen sind. Die Entfernung dieses Schutzdamms für die Rupperswiler, den Rupperswiler im Schweisse ihres Angesichts angelegt hatten, war heftig umstritten. Doch die Brücken-Zückerchen gleichen diesen Verlust aus; man wird den Dammweg bald vergessen haben.
So wachsen Wasser- und Kiesflächen (und vielleicht auch etwas Gras) über die umgestaltete bisherige Landschaft und aus den Ruinen. Die Korrektur einer Korrektur. Jede neue Generation hat bessere Ideen. Das war zu allen Zeiten so.
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