Textatelier
BLOG vom: 26.11.2010

Eine Welt ohne Gott? Ja, bitte! Sie wäre zweifellos besser

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
 
Was wäre die Welt ohne Gott? Diese Frage stellt ein Pfarrer und meint, jene, welche die Religion ablehnen, hätten den Menschen zum Mass aller Dinge gemacht. Aber wie ich feststellen muss, hat gerade unsere Religion diesen Fehlentscheid getroffen: Im Juden- und im Christentum darf der Mensch als „Krone der Schöpfung“– die „heilige“ Schrift autorisiert ihn dazu, über die Natur und die Tiere zu herrschen, wie es ihm beliebt.
 
Der „gerechte Gott“ schreitet nicht ein, wenn Rinder und Schafe von den Menschen brutal geschächtet und geschlachtet, Affen, Hunde, Nager und viele andere Tierarten in der medizinischen Forschung zu Tode gequält werden, wenn unser Planet aufs Äusserste ausgebeutet wird. Ich vermisse den Aufschrei der irdischen Vertreter dieses Gottes gegen das abgrundtiefe Unrecht, das in unserer Gesellschaft den Tieren in den Labors und in den Ställen angetan wird. Kein Gott schreitet ein und erlässt ein Gesetz gegen all diese perversen Untaten.
 
Unsere Welt, was wäre sie ohne Gott? Wäre sie wirklich schlechter, wie es diese Frage suggeriert? Nein, ich könnte sie mir sogar besser vorstellen: Statt die Verantwortung für sein Tun und Lassen an einen von ihm erfundenen Gott zu delegieren, müsste der Mensch diese Verantwortung endlich selbst übernehmen. Er könnte nicht einfach bei Gott für sein Fehlverhalten um Vergebung bitten und dann dieses Verhalten doch nicht ändern. Denn laut der Bibel wird ihm ja immer wieder Vergebung gewährt. Er müsste stattdessen sein Gewissen konsultieren und sich fragen: Ist es gerecht, wenn ich Mensch andere Lebewesen, die mir wehrlos ausgeliefert sind, plage und töte, wenn ich Mensch das Land und die Meere vergifte, die Luft verpeste, die Naturwälder rode, um daraus Profit zu schlagen? Der amerikanische Präsident müsste die Krücke Gott als Vorwand für all die Kriege, welche die Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung angezettelt haben, endlich fortwerfen und ohne diese Krücke die notwendigen Schritte zu einer friedlicheren Welt tun.
 
Die menschliche Betriebsamkeit, die besonders seit dem christlichen Arbeitsethos eines Calvin auf unserem Planeten mehr Unheil als Heil angerichtet hat, würde wohl bei einer solchen Gewissenserforschung wieder auf ein ausgewogenes Mass reduziert. Der Gott der Christen – wenn es ihn denn gibt –, hat das bisher nicht fertiggebracht. Also sollte der Mensch sich selbst auf seine Pflicht besinnen; denn als einziges Lebewesen ist er mit einem Bewusstsein, mit dem Wissen um Vergangenheit und Zukunft, ausgestattet. Das gibt ihm die Möglichkeit, sein Tun und Lassen zu beurteilen, die nötigen Schlüsse daraus zu ziehen und endlich in Eigenverantwortung zu handeln.
 
Das glücklichste Volk
In der „az“ vom 19.11.2010 ist die Besprechung eines Buchs des Amerikaners Daniel Everett publiziert. In „Das glücklichste Volk“ schildert der Autor – Linguist und Missionar - seine Zeit (1978) bei den Pirahã, einem kleinen Indiovolk in Amazonien. Everett stand im Sold eines finanziell gut dotierten Missionsunternehmens aus den USA, dessen Ziel ist, das Neue Testament in die Sprachen von zumeist kleinen Stammesgesellschaften zu übersetzen. Aber die Pirahã hatten kein Wort für Gott. Sie haben keinen Gott, weil sie keinen Gott brauchen. Sie haben keine Religion und kennen keinen Schöpfungsmythos. Der Missionar verlor mit der Zeit seinen Glauben und empfand diesen Verlust als Befreiung.
 
In einem Kästchen schreibt der Autor der Buchbesprechung, Georg Sütterlin, bei der europäischen Expansion seien Schwert und Bibel jahrhundertelang Hand in Hand gegangen. Die Missionierungswelle, die nach dem 2. Weltkrieg vor allem in Lateinamerika einsetzte, ging meist von evangelikalen Gruppierungen in den USA aus, die sich zu Handlangern diktatorischer Regimes machten.
 
Gemäss einem Online-Artikel in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 20.11.2010 gibt es die Pirahã noch als extrem kleines Volk an einem Nebenfluss des Amazonas.
 
Statt es zu bekehren, sollten wir dieses Volk zum Vorbild nehmen.
 
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