BLOG vom: 26.11.2010
Pannen und Intransparenz: Zum Tiefenlager im Bözberg
Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
Dem Bundesamt für Energie, Sachplan Tiefenlager, 3003 Bern, habe ich folgende Stellungnahme zugesandt:
Sehr geehrte Damen und Herren
Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, an der Anhörung zum Sachplan geologische Tiefenlager mitwirken zu können. Der von den Menschen produzierte Atommüll wird die heute lebenden Individuen und die Pflanzen und Tiere bis zu deren Lebensende beschäftigen. Ich bitte Sie aus Verantwortung dem Leben gegenüber, meine Anliegen zu berücksichtigen.
Zeitliche Dimension
Kein Weltreich hat mehr als 1000 Jahre überlebt. Die heutige Staatsordnung ist noch nicht einmal 200 Jahre alt. Es ist deshalb vollkommen vermessen, wenn sich ausschliesslich Politiker und Amtsstellen kleinster (heutiger) Verwaltungsregionen mit der Lagerung radioaktiver Abfälle befassen und Entscheide treffen. Der Kreis der Entscheidungsträger ist viel weiter zu fassen (siehe Räumliche Dimension). Der Drang nach einem verschlossenen Tiefenlager kann ja nur so interpretiert werden, dass die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) und das Schweizer Bundesamt für Energie den menschlich-weltlichen Gesellschaftsformen auf Dauer nicht traut und deshalb den Abfall aus deren Einflussbereich verbannen will.
Räumliche Dimension
Die Fragen der Endlagerung radioaktiver Substanzen müssen in Räumen diskutiert und gelöst werden, die von einem Unfall betroffen wären. Beispiele, wie sich Teilchen ausbreiten können, sind der Unfall in Tschernobyl oder die Aschewolke 2010 aus Island. Es ist angesichts dieser Dimensionen überhaupt nicht einzusehen, weshalb die Abfälle in der Schweiz verlocht werden sollen. Angesichts der räumlichen Situation allfälliger „Störfälle“ kommen angesichts der Risiken nur die europäisch oder global am besten geeigneten Lösungen in Frage.
Kann die Sicherheit erhöht werden?
Kann mit der Tiefenlagerung die Sicherheit gegenüber dem heutigen Zustand im Zwischenlager überhaupt erhöht werden? Ich gehe davon aus, dass das Zwischenlager sicher ist. In den Unterlagen fehlen aber Angaben, ob das Tiefenlager noch sicherer ist. Kann diese Frage überhaupt beantwortet werden, solange unklar ist, wie das Tiefenlager aussieht? Wie stark reduziert sich die Sicherheit, wenn die Abfälle rückholbar sein müssen? Der Unterschied zwischen einem Zwischenlager und einem „Endlager“ ist vielleicht gar nicht so gross.
Kommende Generationen entwickeln eventuell neue Lösungen für Nutzung, Umwandlung oder Lagerung der radioaktiven Abfälle.
Wieso Bözberg?
Die Verlagerung der angedachten Lagerung radioaktiver Abfälle vom Wellenberg ins Zürcher Weinland bis hin zum Bözberg verlief nicht pannenfrei und transparent. Als Bözberger wird man den Eindruck nicht los, dass bei der Auswahl der Region nicht nur geologische Gründe mitgespielt haben. Anzunehmen ist, dass es auch an weiteren Standorten (z. B. Richtung Westen) ähnliche Schichten mit Opalinuston hat. Gibt es eine Karte, auf der diese Schichten in Mächtigkeit und Tiefe übersichtlich dargestellt sind? Ist der Bözberg gleich gut untersucht wie das Zürcher Weinland? Wenn nein, sind die Untersuchungen vor den nächsten Entscheidungsschritten nachzuholen.
Auffällig ist, dass ein Stollen vom heutigen Zwischenlager in die Opalinustone unter dem Bözberg mit einem vernünftigen Gefälle machbar scheint. Das Ausbruchmaterial könnte zudem problemlos im Steinbruch Villigen AG deponiert werden, sofern es nicht in Würenlingen AG zu Zement verarbeitet werden kann. Damit die Variante Bözberg beurteilt werden kann, müssen auch der Zugang, die notwendigen Bauten und die daraus entstehenden Risiken dargestellt werden.
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen darf füglich bezweifelt werden, dass das geologische Tiefenlager Bözberg zu den in Europa am besten geeigneten Lösungen gehört (siehe Räumliche Dimension).
Was profitiert die Region?
Bei grösseren Bauvorhaben, bei Golfplätzen, Wasserkraftwerken, Strassenbauten usw., muss der Bauherr für ökologischen Ausgleich und Ersatz sorgen. Finanziell handelt es sich um Bereiche in einem bis wenigen Prozenten der Bausumme. Ich gehe davon aus, dass bisher die Region Bözberg noch sehr wenig von den horrenden Beträgen für Planung, Untersuchungen und Verfahren (Berater, Druckkosten) zum geologischen Tiefenlager profitiert hat. Die Beteiligung der Region (Arbeitsstellen, Steuern), die Frage des ökologischen Ausgleichs und der Beginn möglicher Auszahlungen sind jetzt zu klären und verbindlich zu regeln. In der Region Bözberg könnten die Naturschutzflächen vervielfacht und die Ortsbilder von nationaler Bedeutung wunderbar in Stand gestellt werden. Das wäre ein Beitrag an die Aufwertung der Region.
Kantonaler Richtplan
Der Bund hat dafür zu sorgen, dass mögliche Standorte für ein Zwischen- oder Endlager als Vororientierung in den kantonalen Richtplänen festgesetzt werden.
Vermeidung und Verminderung radioaktiver Abfälle
Alle Produzenten und Nutzer von Radioaktivität und deren Abfälle sind zu verpflichten, neue Abfälle zu vermeiden und für alle Folgekosten aufzukommen. Sobald es neue Technologien zur besseren Aufbereitung und Verminderung gibt, sind diese in der Praxis anzuwenden und für die Verminderung bestehender Abfälle einzusetzen. Produzenten und Nutzer haben dafür Rückstellungen zu leisten.
Förderung freier Meinungsäusserungen aus der Region
Die Diskussion und die Verfahren werden fast ausschliesslich von beauftragten Stellen, bezahlten Experten, Kommunikationsagenturen, Politikern, Geschäftsführern und organisierten Gruppierungen von ausserhalb der Region Bözberg geführt. Aus diesem Grund betreibe ich mit ein paar Gleichgesinnten die Webseite www.g20.ch. G20 ergibt sich einerseits in Anlehnung an die selbsternannte globale Gruppierung mit diesem Namen, und andererseits sind in der Region Bözberg 20 Gemeinden als „Standortgemeinden“ für das mögliche Tiefenlager auserkoren worden. Ich lade das Bundesamt für Energie ein, Meinungsäusserungen von unabhängigen Leuten, die nicht mit finanziellen, beruflichen und privaten Interessen mit der Sache verhängt sind und die aus der Region stammen, im eigenen Ermessen und ohne Einflussnahme auf den Inhalt angemessen zu fördern.
Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen und gebe meiner bescheidenen Hoffnung Ausdruck, dass viele Leute aus der Region mitwirken werden.
Mit freundlichen Grüssen
Heiner Keller
Doracher 8
CH-5079 Zeihen
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