BLOG vom: 03.12.2010
Kuhkultur: Landwirtschaft mit oder ohne Milchviehwirtschaft?
Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
Ein Wort voraus zur Lage: Der schweizerische Nationalrat hat am 01.12.2010 im Rahmen der Budgetdebatte 2011 beschlossen, wegen der schwierigen Situation auf dem Milchmarkt den Kredit für die Verkäsungszulage um 45 Millionen auf 292 Millionen Franken zu erhöhen.
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Zu einem schweizerischen Bauernhof gehören Kühe mit schön geschwungenen Hörnern auf der grünen Wiese. Das war seit Jahrhunderten so und soll auch so bleiben, findet die Mehrzahl der Schweizer, denn solch eine alte Tradition darf nicht verloren gehen. Schön und gut, aber erstens ist die idyllische Welt der Viehzucht und Milchwirtschaft auch in der Schweiz schon längst einer merkantilen Welt des Profitstrebens und damit der Überproduktion gewichen (wir haben eine Milchschwemme und zirka 8000 t Butter auf Lager). Dass die Milch- und damit die Fleischproduktion in unserer Welt nicht unbedingt notwendig ist, hält der amerikanische Soziologe, Ökonom und Buchautor Jeremy Rifkin* im Buch „Das Imperium der Rinder“ fest: Erst bei der Entstehung der Zivilisation sei der Glaube an die mystische Macht der Rinder geboren worden. Dabei entbrannte der uralte Konflikt zwischen jenen Völkern, die Viehzucht betrieben, und jenen, die das Land bebauten, wobei vor allem die Ersteren zu kriegerischem Verhalten neigten. Der Siegeszug der Rinderzucht habe den Verlauf von Geschichte und Kultur des Westens in höchstem Mass beeinflusst bis zum weltweiten Marketing-Triumph der goldenen Bögen von McDonald’s, so Rifkin.
Hätte die Kultur des Ackerbaus gegenüber jener der Viehzucht die Oberhand gewonnen, so wäre unsere Landwirtschaft frei von Kühen, die ihr trauriges Leben angebunden im Stall verbringen und jedes Jahr ein Kälbchen gebären müssen, das bald darauf im Schlachthaus endet. Im Jahr 2007 gab es in der Schweiz rund 708 000 Kühe, davon rund 73 800 in Biobetrieben (Bundesamt für Statistik 2007); 90 % aller Tiere – auch die vermeintlich glücklichen Biokühe - wurden und werden immer noch durch Enthornung verstümmelt. Der Spezialist für Agrarökologie bei der Vogelwarte Sempach, Markus Jenny, meint: „Viele Bauern sehen sich als Produzenten…“ Dabei sei ihnen das Naturverständnis abhanden gekommen. „Sie lernten nur, produktiver zu sein, die Natur wurde dabei völlig vernachlässigt.“
Durchschnittlich 70 % der bäuerlichen Einkommen stammen indirekt aus preisregulierten tierischen Produkten. Eine Landwirtschaft mit vielen Tieren kann jedoch nicht ökologisch sein. Denn vor allem in tierischen Produkten steckt zu viel sogenannte graue Energie: Treibstoffe, Dünger und Kraftfutter, wobei letzteres hauptsächlich aus Ländern stammt, wo der Boden für den Trog unserer Mastschweine und zur Förderung der Milchleistung unserer Kühe bepflanzt wird statt zur Ernährung der armen Bevölkerung.
Aber nicht nur unsere Bauern müssten umdenken, fordert Jenny, sondern auch die Konsumenten, indem sie ihre Essgewohnheiten ändern und weniger tierisches Eiweiss konsumieren. Auch der Ökonom Urs P. Gasche, der in einer Sendung von Radio DRS vom 23.11.10 das unaufhörliche Ankurbeln des Bruttosozialprodukts als schädlich für Natur und Umwelt anprangerte, stellte die Forderung, dass man weniger Fleisch essen sollte, um das Wirtschaftswachstum zu bremsen (das sich letztlich für die Schweiz nur negativ auswirken kann). Laut Artikel 4 der Bundesverfassung sollte die Landwirtschaft nicht nur zur Versorgung der Bevölkerung beitragen, sondern auch zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie zur Pflege der Kulturlandschaft. Der Agrarökologe und Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft, Andreas Bosshard, ist überzeugt, dass eine auf Selbstversorgung der Schweiz ausgerichtete Landwirtschaft keineswegs im Widerspruch steht zu den Zielsetzungen des Verfassungsauftrags hinsichtlich Pflege und Nutzung einer grossen Artenvielfalt. Im Gegenteil, eine solche Landwirtschaft ernähre mehr Menschen aus dem eigenen Boden. Den Kritikern dieser Theorie entgegnet der Agrarökologe Jenny, fürs Nichtstun gebe es kein Geld, der Betriebszweig Ökoausgleich sei für den Landwirt ebenso anspruchsvoll wie die Produktion von Milch oder Ackerfrüchten. Der Bundesrat schlägt unter anderem folgende Instrumente der Direktzahlung vor: Beiträge zur Offenhaltung der Kulturlandschaft und zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität sowie einer Tierhaltung, die über den Standard des Tierschutzgesetzes hinausgeht.
Es gibt in unserem Land einige wenige Ansätze zu einer Wende in landwirtschaftlichen Betrieben. So bewirtschaftet der Agronom Thomas Baumann im aargauischen Suhr einen Biobetrieb, wo er Gemüse, Brot, Most und den Käse verkauft, den er von seinen 25 Milchgeissen gewinnt und herstellt. Daneben unterhält er auf rund 21 Hektaren (ha) seines Hofguts ökologische Ausgleichsflächen. Er pflegt Hochstammbäume auf einer steilen, artenreichen Blumenwiese. In der Ebene beleben Hecken die Landschaft und finden sich Brachflächen als Oasen für viele wild lebende Tiere. 3 glückliche Freilandschweine haben ½ ha Land komplett zerwühlt. „Die Säue machen das grossartig“, so Baumann, „grabend und wühlend halten sie die Fläche frei, so entstehen Tümpel für Kreuzkröten, Unken und andere Pionieramphibien.“ Auch der Schachbrettfalter, die Schleiereule, der Turmfalke und der Neuntöter sind zurückgekehrt. Für seinen Aufwand zugunsten von Natur und Umwelt erhält der Agronom ökologische Direktzahlungen, die 70 % seines Einkommens ausmachen. Sein landwirtschaftlicher Betrieb ist zugleich ein Naherholungsgebiet, das Ruhe ins hektische Treiben vieler Menschen bringt. In unserer immer dichter überbauten Landschaft seien solche Freiräume unverzichtbar. Es sei eine spannende Aufgabe, der Bevölkerung und der Natur einen solchen Ort zur Verfügung zu stellen, sagte Baumann. Seine Vision sei eine Landwirtschaft, bei welcher der Ökologie, der Erhaltung der Artenvielfalt ein ebenso hoher Stellenwert zuerkannt wird wie den vom Betrieb verarbeiteten, veredelten und verkauften Produkten.
Ein bitterer Wermutstropfen hängt allerdings auch an dieser Art von Landwirtschaft: Die Jungtiere der zwar artgerecht – im Sommer auf der Weide, im Winter im Laufstall – gehaltenen Milchgeissen (meist wirft eine Muttergeiss Zwillinge) werden geschlachtet und das Gitzifleisch in der Familie sowie in der Nachbarschaft verzehrt. Dasselbe Schicksal blüht den 3 Freiland-Schweinen von Thomas Baumann, die im zarten Alter von etwa 6 Monaten ihr Leben lassen müssen, obwohl sie zuvor durch ihre wertvolle Dienstleistung, nämlich das Umgraben und Zerwühlen eines Stücks Boden, eine Freifläche für Pioniertiere geschaffen haben, die ihrem Besitzer einen Teil seines Einkommens in Form von ökologischen Direktzahlungen verschafft. Wenigstens die Hühner dürfen auf diesem Biobetrieb ihr Leben bis zuletzt geniessen. Auch wenn sie alt werden und kaum mehr Eier legen, wird ihnen nicht, wie in der Landwirtschaft sonst üblich, im Alter von 2 Jahren der Garaus gemacht, sondern sie picken und scharren bis zu ihrem natürlichen Tod nach einem glücklichen Leben von 5–6 Jahren. Dann eignen sie sich auch nicht mehr für den Kochtopf, und diese Toleranz gegenüber den Eierproduzentinnen ist ihrem Besitzer hoch anzurechnen.
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*) Jeremy Rifkin gilt als Theoretiker der „Zugangsgesellschaft“. In seinem Buch „The age of access“ schreibt er über den Einfluss der Globalisierung auf die kulturelle Identität der Menschen. Er warnt vor der vollständigen Ökonomisierung unseres Lebens. Mit „access“ meint er den raschen Zugang und Zugriff auf Ideen, Güter und Dienstleistungen.
Quelle: Wikipedia.
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Ein treffliches Zitat aus „Bissige Aphorismen“ von Karlheinz Deschner (Rowohlt 1996):
Tierfreunde: erst Lämmchen streicheln, dann Lammbraten; erst den Angler anpöbeln, dann Forelle blau. Jäger mögen sie nicht, Wildbret."
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