Textatelier
BLOG vom: 03.01.2011

Neujahr 2011 in Biberstein: Intelligenz, Diligentia, Zopf, Wein

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Mit Intelligenzfragen, Aspekten der Diligence, ja sogar der Due-Diligence, sodann mit einheimischen Weinen und Speckzopf bzw. gewöhnlichem, luftigem Butterzopf schlug sich ein Teil der Bevölkerung von Biberstein AG herum, als sich der hochneblige Neujahrstag 2011 am späten Nachmittag in die Dunkelheit zurückzog. Die Stimmung im festlich erleuchteten Obergeschoss des Gemeindehauses war prächtig und angeregt, hatten die von den Silvesterfeierlichkeiten gezeichneten, nachdurstigen Seelen, die sich hier einfanden, doch die Wahl, sich mehr auf die Seite von Wein und Gebäck oder aber, philosophisch durchdrungen, der Klugheit im weitesten Sinne zuzuwenden. Ich versuchte, zuprostend alles unter einen Hut zu bringen.
 
Die Kulturkommission Biberstein hatte zum traditionellen Neujahrsapéro gerufen, und eine repräsentative Delegation von rund 3 Dutzend Eingeborenen und Zugewanderten eilten herbei, um im solcherart abgespeckten Gemeindeverbund Rück- und Vorschau zu betreiben. Mit einem Schlag sei Biberstein zu einer nationalen Berühmtheit geworden, sagte Kulturkommissionspräsident Wolfgang Schulze, reformierter Pfarrer im Halbruhestand beim Blick zurück. Er bezog sich auf die 5-teilige Fernsehsendung „SF bi de Lüt“, die auf einfühlsame Art das Leben im Schloss Biberstein, wo liebenswerte Menschen mit Behinderungen leben, arbeiten, lieben. Plötzlich waren Selina, Cédric, Hubi, Lea und wie sie alle heissen mögen als TV-Stars landesweit bekannt. Mit ihrem Sinn fürs Wesentliche und ihrer Art, das Schicksal zu meistern, beeindruckten sie, wurden zu Vorbildern.
 
Und der belesene Theologe Wolfgang Schulze, der die Neujahrsansprache hielt, wollte da nicht nachstehen, freute sich über die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie, die den Schweizer Schülern eine Verbesserung im Lesen und Begreifen bescheinigte, was bedeutet, dass nicht allein Dummheit lernbar ist (im Anklang an den Titel des Buchs von Jürg Jegge, das den Menschen anthropologisch als Mängelwesen erkennt). Umso mehr müsse die Schule geistige Fähigkeiten fördern und am Ende zur Intelligenz hinführen – und darüber hinaus sogar bis hin zur Diligentia, zur Diligentia quam in suis, also zur Sorgfalt, die in den eigenen Angelegenheiten angewandt werden sollte. Um seinen Bildungsstand nicht allzu sehr zur Schau zu stellen, verzichtete der Referent auf ein Ausbreiten des genannten lateinischen Ausgangsmaterials, und er beschränkte sich bei der gebotenen Bescheidenheit auf die Umschreibung des Worts Diligentia mit Aufmerksamkeit, Sorgfalt, Umsicht, Achtsamkeit.
 
In Charles Tschopps Landeskunde „Der Aargau" wird der Begriff Diligence für den  „Gsüchtiwagen" (Gsüchti sind rheumatische Erkankungen) verwendet, der ab 1840 gebrechliche Leute von Aarau aus zum „Fressbädli" Laurenzebad am Jura oberhalb von Erlinsbach karrte (Seite 317).
 
Im Gespräch mit Bibersteiner Geschäftsleuten habe ich später gewissermassen als intellektuelles Dessert zusätzlich den Begriff Due Diligence kennengelernt, der oft bei Geschäftsübernahmen auftaucht. Darunter versteht man eine sorgfältige Analyse, Prüfung und Bewertung eines Objekts – eigentlich ist das so etwas wie die Prüfung eines Kandidaten, allerdings übertragen auf ein Unternehmen, im Hinblick auf eine allfällige Anstellung bzw. eben auf die Übernahme. Dabei müssen verborgene Chancen und Risiken ans Licht befördert werden. Bei all solchen Gelegenheiten ist eine genaue Werte-Ermittlung zweifellos angezeigt.
 
Gerade Leute wie unsereiner, die in Sachen Geschäftsübernahmen normalerweise keine dicken Stricke zerreissen, können an solchen Anlässen die Bildung mehren. Und umso mehr dürfen wir uns nach derartigen Wissensübernahmen als intelligenz- und diligenzmässig vollwertige Zutaten der Gemeinde-Gemeinschaft am Jurasüdfuss verstehen, in der sich die Kultur nicht nur am Sitzungstisch der Kulturkommission abspielt. Kultur steht ja auch für Wohnen, Pflegen und Gestalten.
 
Dazu gehört vielleicht gelegentlich auch die Suche nach dem Stein der Weisen, von dem Wolfgang Schulze ebenfalls erzählte – oder meinte er vielleicht den Philosophenstein? Die Geschichte geht so: Ein Mann wollte den Stein finden, der alles in Gold verwandelt, was mit ihm in Berührung kommt. Der Goldliebhaber las Tausende von Steinen auf, warf sie wieder fort, weil sie versagten, das erhoffte Wunder nicht vollbringen konnten. Ein Knabe machte den Steinsucher auf dessen kleine Kette aufmerksam, die zu Gold geworden war. Zu spät. Der Mann wusste nicht mehr, welcher Stein das Wunder vollbracht hatte und wo er jetzt war.
 
Hätte der Mann beim Bibersteiner Neujahrsempfang von der Diligentia, von der Aufmerksamkeit, gehört, er wäre jetzt unendlich reich. Wir aber, die wir dieses Wissen nun empfangen haben, dürfen in froher Erwartung das neue Jahr 2011 in Angriff nehmen. Vor Schlampereien sind wir gefeit.
 
Vorsorglich bereitet die Kulturkommission bereits eine Ausstellung über „Gold und Glas“ vor, die im Frühling 2011 stattfinden soll. Wer meint, das Glas symbolisiere die Brüchigkeit des Bibersteiner Glücks, hier leben zu dürfen, irrt sich.
 
 
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