Textatelier
BLOG vom: 13.01.2011

Barmelweid: Klinik-Wachstum auf kargem Jurafels bei Raureif

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Der Raureif ist der Lohn des Hochnebels. Menschen, die kaum je eine Nebel- und Raureifstimmung erleben, wissen gar nicht, was sie verpassen.
 
Am Mittwoch, 05.01.2011, mussten wir hier im schweizerischen Mittelland auf den vertrauten Nebel bzw. Hochnebel verzichten. Die Sonne hatte Oberhand gewonnen, der Schnee war weitgehend geschmolzen. Die vordere, südliche Kette unseres Juras hatte auf der ganzen Länge eine weisse Krone, als ob dort eine Kirschenblüte in besonders üppiger Version Im Gange wäre. Also lag ein Ausflug hinauf in jenes Raureifgebiet auf der Hand. Ich wählte ab Erlinsbach AG die Saalstrasse, fuhr auf die Saalhöhe (Salhöhe, 779 m ü. M.), wo die Kantonsgrenze Aargau/Solothurn ist und die Gemeinde Kienberg SO beginnt. Beim Châlet-Waldgasthaus Saalhöhe zweigt eine zweispurige Strasse zur Klinik Barmelweid ab, die nach rund 1,5 km in südwestlicher Richtung erreicht ist. Sie liegt übrigens an einer geschützten Lage am Fernwanderweg Pyrenäen-Jura-Balaton, dem alten Pilgerwegsystem, das nach Santiago de Compostela in Spanien führt.
 
Seit Jahrzehnten habe ich die Klinik Barmelweid (770 m ü. M.) nicht mehr gesehen, und so war ich denn überwältigt von den Ausmassen, die sie inzwischen angenommen hat. Ihr Ursprung geht auf 1912 zurück, als dort, in der frischen Höhenluft und umgeben von Felsen, Jurawald und bei einer prächtigen Aussicht ins Mittelland, ein Tuberkulosesanatorium erstellt wurde. Die Tuberkulose war damals die verheerendste aller Volkskrankheiten; ums Ende des 19. Jahrhunderts gingen angeblich etwa 15 Prozent der Todesfälle auf sie zurück. Als die Tuberkulose ihren Schrecken verloren hatte, wandte sich die Klinik 1977 anderen Krankheiten zu: Sie wurde zu einer Mehrzweckheilstätte, das heisst zur pneumologischen Klinik (Lungenerkrankungen) mit Abteilungen für Atmungserkrankungen, Tuberkulose, Thoraxchirurgie, medizinischer Rehabilitation und Psychosomatik. Vor wenigen Jahren erfolgte der Schritt zur heutigen Spezialklinik in Form einer Aktiengesellschaft mit Abteilungen für Pneumologie, Schlafmedizin, Kardiologie und Psychosomatik.
 
Als Besitzer der Aktiengesellschaft Klinik Barmelweid fungiert der Verein Barmelweid, der 1907 als Aargauischer Heilstättenverein gegründet wurde. Im Jahr 2008 wurde von diesem und dem Verein Laurenzenbad in einem „Letter of Intent“ die Fusion mit dem Laurenzenbad beschlossen. Dieses Pflegezentrum befindet sich in der Nähe der Barmelweid – und zwar etwas tiefer unten im bergumschlossenen Talkessel unterhalb der Saalstrasse und zu Füssen der Ramsfluh bei einer mineralienarmen Quelle mit leicht erwärmtem Wasser (17,5 °C). Die Zusammenlegung bedeutet eine Verlagerung der Aktivitäten aus dem veralteten Laurenzenbad auf die Barmelweid; der christliche Diakon Laurentius, der dem Bad den Namen gab, wird das mit Wehmut beobachten. Der Umbau des K-Hauses auf der Barmelweid zum Pflegezentrum mit 50 Betten ist im Gange, nachdem der Grosse Rat den Umbau-Kredit von 21,725 Mio. CHF bewilligt hat; der Kanton beteiligt sich daran mit 13,25 Mio. CHF. Seither besteht die Barmelweid-Gruppe aus 3 Firmen: Klinik Barmelweid AG, Pflegezentrum Barmelweid AG und Betriebe Barmelweid AG.
 
Im Barmelweid-Leitbild ist zu lesen, man setze sich aktiv für die Gesundheitsförderung ein. Zu diesem Zweck wurde ein Achtsamkeitspfad angelegt, der Ruhe und Gelassenheit in den Alltag bringen soll. Das geschieht mit Hilfe von Dehnübungen, Schulterbewegungen und Atemübungen – was das flächendeckende Rauchverbot rechtfertigt. Auch ein Rehabilitationsparcours ist angelegt, dem ich vom Personalhaus 4 in Richtung Westen folgen wollte. Doch der Weg war derart vereist, dass ich vorsichtshalber wieder umkehrte, um nicht selber zum Therapie- und Rehabilitationsfall zu werden. Dafür trieb ich botanische Studien an einem Hang neben der Strasse, wo einige Tafeln lehrten, was unter dem Schnee gerade die winterliche Ruhe und Gelassenheit genoss: eine Färber Hundskamille (im übrigen sind Hunde auf dem Areal nicht erlaubt), Mittleres Zittergras, von dem sich einige Halme zeigten und denen es selbst zum Zittern zu kalt war, ein unter dicken Schneekristallen begrabenes Wald-Weidenröschen, der Weisse Mauerpfeffer, unsichtbar, aber wenigstens farblich mit dem Schnee übereinstimmend. Vom Blutroten Storchenschnabel war nur die Schrifttafel zu sehen, aber immerhin hatte der Schaf-Schwingel seine borstenförmigen Blätter aus dem Schnee herausgearbeitet.
 
Und das alles war von einem Raureifwald am steilen Jurafels begleitet. Die sechseckigen, nadelförmigen Eiskristalle lagerten nicht nur oben auf den Ästen, sondern setzten sich auch an unzugänglichen Stellen der Bäume und Pflanzen an. So etwas bringt nicht einmal ein blühender Baum fertig. Davon lässt man sich gern von seinen Alltagsgefühlen ablenken, und seien diese auch noch so angenehm.
 
 
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