Textatelier
BLOG vom: 19.01.2011

Offenburg-Geschichten: Suppe als Waffe, Burda als Komiker

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Wie oft bin ich schon mit dem Auto, von Basel kommend, über Freiburg im Breisgau in Richtung Karlsruhe gefahren. Das war auch in den letzten Monaten anlässlich Verwandtenbesuchen so. Wir fuhren immer an Offenburg vorbei. Wer jedoch einen kurzen Blick aus dem Autofenster hinauswerfen konnte, der sah das Burda-Hochhaus herüber grüssen, und er hatte eine der schönsten Landschaft, die Ortenau, vor Augen.
 
Offenburg, eine Stadt mit 60 000 Einwohnern, hat vieles zu bieten. Es ist nicht nur eine Messe- und Medienstadt, sondern auch eine Kultur-, Einkaufs- und Weinstadt. Als ich vorbeifuhr, wurde ich an meine Anekdotensammlung erinnert. In dieser Sammlung befinden sich einige interessante Anekdoten von anno dazumal über Offenburg. Ich lade Sie ein, einmal in die Vergangenheit dieser Stadt einzutauchen.
 
Alle Bäcker eingesperrt
Nachdem die Bäcker von Offenburg 1609 infolge niedrigen Brotgewichts eine Strafe von 25 Pfund Pfennig erhielten, wurde die Brotschau sehr streng gehandhabt. Das fruchtete wenig; denn die Bäcker produzierten weiterhin zu leichte Brote. 1639 wurde ihnen mit der erzwungenen Niederlegung des Handwerks gedroht. Aber auch diese Drohung half nicht. Der Rat befahl deshalb, alle Bäcker mit einer Geldstrafe zu belegen und in den Turm zu setzen. Dies geschah dann auch. 1672 wurde von der Kanzel verkündet, die Bäcker würden das Brot „zu gering und zu schlecht backen“. Daraufhin wurden besonders halsstarrigen Bäckern „das Handwerk gelegt“.
 
Aber auch andere Zünfte bekamen ihr Fett ab. So wurde Fischern eingeschärft, Fische nicht zuhause, sondern auf den Markt zu verkaufen. Wirte wurden angewiesen, besseren Wein zu veräussern. Auch durfte kein Meister mehr Einkommen haben als zur Versorgung für ihn und seine Familie notwendig war. Der Rat wachte auch darüber, dass im Zuge der wirtschaftlichen Gleichheit ein Betrieb nicht zu gross wurde. So durfte ein Meister nicht mehr als 2 oder 3 Gesellen beschäftigen. Unter Strafe von 5 Schilling war es dem Fischer verboten, seine Frau oder Tochter mitarbeiten zu lassen.
 
Bettelnde Kinder wurden bestraft
In Zeiten der Not hielten sich viele Bettler in Offenburg auf. Der Strassenbettel wurde in den Augen des Rats eine Plage. Unter den Bettlern waren viele Kinder, die „mit der grössten Ohnbescheidenheit und der beleidigendsten Ungestimme“ von Haus zu Haus zogen. Der Rat beschloss darauf hin, die Kinder in die Schulen zu bringen und ihnen dort Prügel zu verabreichen.
 
Im evangelischen Glauben erziehen
Die Kirche und der Rat in Offenburg und sicherlich auch anderswo achteten im Mittelalter genau darauf, den Protestantismus fernzuhalten, die Bürger zu erziehen und zu leiten. Als die evangelisch gesinnte Frau des Junkers Holdermann die Tochter einer Verstorbenen aufnahm, war man um die Seele der katholischen Waisen besorgt. Es wurde behauptet, das Kind würde das Ave Maria nicht beten und die Pflegemutter würde sie im evangelischen Geiste erziehen. Daraufhin beschloss der Rat, das Mädchen an einen katholischen Platz zu bringen. Dies geschah dann auch. Das Mädchen wurde in ein Kloster gebracht.
 
Heisse Suppe als Waffe
Im 17. Jahrhundert kamen viele Fälle von handgreiflichen Ehezwisten vor Gericht. Rauf- und Schlaghändel wurden oft mit Turmeinsperrungen geahndet. Vielfach konnten sich die Frauen gegen ihre schlagwütigen Männer nicht wehren. Aber eine tat es doch. Als Gallus Haller seine Frau mit einem Misthaken traktiert hatte, bewaffnete sie sich mit einer Schüssel heisser Suppe, die gerade auf dem Herd stand. Als der Mann nicht von ihr abliess, schüttet sie ihm die Suppe über den Kopf.
 
Anmerkung: Solche oder ähnliche Geschichten kommen auch heute noch vor. Vor Jahren schilderte ich einen Fall von einem unzufriedenen Ehemann, der mit der Kochkunst seiner Gattin unzufrieden war. Als er wieder herummeckerte, schüttete sie ihm eine Schüssel Spaghetti über den Kopf. Er soll das Essen nie mehr kritisiert haben.
 
Aber auch die Herren des Rats waren im 17. Jahrhundert in Ehehändel verwickelt. So lebte ein Ratsherr „mit seiner Hausfrau in grosser Uneinigkeit und schlug sie auf offenen Gassen“. Die Ursache solcher Exzesse war meistens der Alkohol. Die Männer entschuldigten sich vor dem Rat mit der fadenscheinigen Ausrede, sie hätten nicht wahrgenommen, wie viel Wein sie getrunken hätten, die Menge also „übersehen“. Alkohol scheint auch in jener Zeit ein grosses Problem gewesen zu sein, denn viele Männer lebten in den Tag hinein, hielten sich in Wirtschaften auf und so mancher versoff Hab und Gut.
 
Als Professor in Kanton
Dr. Adolf Basler nahm 1927 eine Professur an der chinesischen Universität Kanton an. Dort lehrte er Physiologie in seiner Muttersprache. Am Schluss jeder Vorlesung wurde das Gesagte ins Chinesische übersetzt. Dazu Franz Huber: „Die Studenten führten ihre Kolleghefte meist deutsch und hatten sie vielfach so schön ausgearbeitet, dass man glaubte, ein Lehrbuch vor sich zu haben. Es gab auch Studenten, die deutsch nicht verstanden. Diese schrieben nur mit chinesischen Zeichen, aber Basler liess sich auch diese Hefte zeigen ...“
 
Basler liess 1929 im Verlag der „Sun-Yat-Sen-Universität“ in Kanton in deutscher Sprache ein Buch mit dem Titel „Das Gehen“ publizieren.
 
1935 kehrte der Professor nach Deutschland zurück und wurde Direktor des Arbeitsphysiologischen Instituts an der Breslauer Universität. Er schrieb viele Arbeiten, die in medizinischen Zeitschriften erschienen. Ein bemerkenswerter Artikel hatte den Fuss des Menschen zum Thema. Hier ein Auszug aus der Veröffentlichung in der Zeitschrift „Fortschritte der Medizin“ aus dem Jahre 1926:
 
„Nicht minder charakteristisch wie die Kopfbildung ist für den Menschen die Form des Fusses. Ohne menschlichen Fuss kein aufrechter Gang, ohne aufrechten Gang keine brauchbare Hand, ohne Hand keine Werkzeuge, keine Reduktion des Gebisses, die nur die Folge besser zubereiteter Nahrung ist, wodurch erst der Gehirnschädel und mit ihm das Gehirn sich weiterentwickeln konnte. So stellt im Räderwerk der menschlichen Sinnesentwicklung der Fuss ein unerlässliches Achsenlager dar, mehr wert, als nur das Füllmaterial eines eleganten Stiefels zu bilden. Im Gegensatz zum Affen ist der Mensch ein typischer Sohlengänger, aber sein Fuss tritt nicht mit der ganzen Sohle auf wie der des Bären, er bildet vielmehr ein federndes Gewölbe, da an wenigen Stützpunkten aufsitzend dem Menschen den für ihn elastischen Gang verleiht. In der Form des Fussgewölbes zeigt sich die höhere Entwicklung ...“
 
Bismarck und der 1. April
Albert Bürklin, Bahningenieur und Kalendermann, erblickte am 1.April 1816 das Licht der Welt. Es war auf den Tag genau, aber ein Jahr später als das Geburtsdatum von Otto von Bismarck (1815‒1898, Bismarck war von 1871‒1890 1. Reichskanzler des Deutschen Reichs).
 
In seiner Familiengeschichte bemerkt Bürklin humorvoll: „Als meine Mutter mich in den April schickte, hatte ich noch keine Ahnung, welch hochwichtiger Tag dieser 1. April für die deutsche Nation sein werde; und wenn ich damals ausser in Windeln auch in Politik gemacht hätte, so würde ich meinen Geburtsbruder, den einjährigen Kanzler Bismarck, mit einem hellen Jubel begrüsst haben.“
 
Franz Burda als Komiker
Franz Burda (1873‒1929), der Vater von Ehrensenator Dr. Franz Burda, der später die Buchdruckerei seines Erzeugers zu einem Grossverlag ausbaute, war ein ungemein humorvoller Mensch. Überall wo er auftrat, brachte er die Menschen zum Lachen. Franz Huber berichtet über ein Ereignis:
 
„Franz Burda war mit anderen Offenburgern, seinen Freunden Ernst Schilling und Carl Bögner bei der Gründung des Bundes Deutscher Orchestervereine in Bonn gewesen, und da er in Mainz eine Schwester hatte, fuhr das Trio auch nach Mainz, wo sie auch eine Varietévorstellung besuchten. Der Conférencier suchte das Publikum nach Kräften zu unterhalten, und Franz Burda tat, was andere weniger oder gar nicht taten, er machte mit, und seine drolligen Zwischenrufe gingen so unermittelt und schlagfertig auf die Bühne, dass dem Spassmacher die Luft immer enger wurde. Schliesslich gab er das Wettrennen auf. Ernst Schilling hatte gut beobachtet, nahm den Franzel mit vom Tisch, setzte sich ans Klavier, und der Franzel postierte sich zum ,Hühneraugen-Couplet’. Das Publikum war baff und raste vor Freude. Der Varietébesitzer wollte unseren Franzel sofort engagieren, weil er glaubte, jetzt eine zugkräftige Nummer, eine Kanone, für sein Etablissement entdeckt zu haben. Franzel winkte ab; denn er hatte ja in Offenburg mit seiner Buchdruckerei nicht nur eine gute Kundschaft zu befriedigen, sondern auch eine grosse Familie zu ernähren.“
 
Kropf und dünnes Bier
Karl Wagner, robuster Kneippianer und Bierbrauer, zeichnete sich durch seine Offenheit und Gradlinigkeit aus. Hier einige Beispiele: Als er auf einem Spaziergang einen Mann mit einem Kropf begegnete, hatte er Mitleid mit ihm und meinte: „Horche emol, Mann! Worum laufe denn Ihr mit eme so Saukropf in der Welt umenander? Des losst mr sich doch weghaue!“ Dann erzählte er dem Fremden von seiner Kropfoperation. Später, als er mit dem Gericht zu tun hatte, staunte er nicht schlecht, als er den Kropfbesitzer als Richter sah. Es war der Landgerichtsdirektor Dr. Zentner.
 
Als Ruheständler arbeitete Karl Wagner sehr gerne im Garten seiner Villa. Als eines Tages ein Handwerksbursche vorbeikam und den vermeintlichen Gärtner fragte, ob die Herrschaft zuhause sei, antwortete Wagner: „Do bruchsch nit niegehn. Des isch e hungrige Gsellschaft.“
 
Während des 1. Weltkriegs produzierten die Brauer dünnes Bier. Als Karl Wagner daraufhin angesprochen wurde, entgegnete er kaltschnäuzig: „Hew euri Müler under dr Wasserhahne, no wisse ihr wenigstens, was ihr suffe.“ Oder: „Wer jetzt noch Bier trinkt, isch zue ful zuem Wasserpumpe.“
 
Als Anhänger von Sebastian Kneipp suchte er immer wieder das Kurbad in Wörishofen auf. Kaum war er wieder in Offenburg, lief er ohne Socken mit Sandalen und ohne Kragen und Krawatte und ohne Kittel durch die Stadt. Damals war dieser Aufzug sehr ungewöhnlich, weil solch leichte Kleidung für vermögende Leute verpönt war.
 
Geklaute Äpfel
Michael Armbruster (1830–1920), später erfolgreicher Geschäftsmann in Offenburg, wollte ursprünglich Bäcker werden. Er beendete jedoch die Lehre frühzeitig. Die Entscheidung wurde ihm durch folgenden Vorfall leicht gemacht: Arme Buben klauten bei seinem Meister Äpfel, diese wurden von ihm erwischt und bestraft, bettelnde Kinder wurden immer wieder abgewiesen. Michael sah dies und meinte: „Wenn ein Bäcker armen Kindern nicht ein paar Äpfel geben kann, ist das Bäckerhandwerk nicht rentabel.“ Michael wurde Müller und übernahm später eine Brauerei.
 
Teures Pinkeln
Und hier eine Geschichte aus unserer Zeit (nach einer Meldung in der „Badischen Zeitung“ vom 21.02.1997):
 
In einem Offenburger Lokal bemerkte ein Zecher, dass er nur noch wenig Geld bei sich hatte. Er ging in die nebenan liegende Sparkasse und wollte mit seiner Volksbank-Karte dem Bankomaten Geldscheine entlocken. Was herauskam, war kein Geld, sondern immer wieder die Karte der anderen Bank. Wutentbrannt entleerte er den Inhalt seiner zum Platzen gefüllte Harnblase vor laufender Kamera in einen Papiereimer und kippte die Flüssigkeit über den Automaten. Da die Kartennummer registriert wurde, war es nicht schwer, den Pinkler aufzuspüren. Nach Auskunft der Bank musste der Ungeduldige die Reparatur des Bankomaten in Höhe von 10 000 D-Mark berappen.
 
 
Internet
 
Literatur
Kähni, Otto: „Offenburg: „Aus der Geschichte einer Reichsstadt“ und im selben Band „Offenburger Köpfe – Offenburger Gestalten“ von Franz Huber, Verlag Dr. Franz Burda, Offenburg 1952.
 
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