BLOG vom: 24.01.2011
Skandale: Dioxin im Fleisch, Wachstumsregulator in Paprika
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
Falsches Essverhalten ist Risikofaktor Nr. 1. Oft ist unsere Ernährung unausgewogen und kalorienreich. Auf Dauer können ernsthafte Krankheiten entstehen. Aber es gibt noch eine ganz andere Gefahr, nämlich Stoffe, die in unseren Lebensmitteln nichts zu suchen haben. Dazu gehören Schwermetalle, Dioxine, Hormone, Antibiotika, Rückstände von Pestiziden, Wachstumsregulatoren, Gen-Soja und Allergie erzeugende Lebensmittelzusatzstoffe.
Schon 2005 wies ich in meinem Buch „Richtig gut einkaufen“ (Verlag Textatelier.com GmbH, Biberstein CH) auf Hormonschnitzel und Antibiotika-Poulets hin. Damals gab es diese Schlagzeilen: „Wieder Dioxin im Viehfutter“, „Nitrofen-Rückstände in Bio-Lebensmittel“, „Gewürze mit Krebs erregenden Färbemitteln“, „Giftspritze ausser Kontrolle“ und „Weitere krebserregende Olivenöle entdeckt“. Die Berichte dokumentierten, dass immer wieder illegale und verbotene Substanzen dem Viehfutter und den Lebensmitteln beigemischt werden.
Ganz aktuell wies die Umweltschutzorganisation Greenpeace hohe Rückstände des Wachstumsregulators Ethephon in gelber und roter Paprika nach. Daraufhin hat Lidl das Gemüse mit der Bezeichnung „Spanischer Paprika Mix“ aus den Regalen entfernt.
Der Regulator wird deshalb verwendet, um die Reifung von Paprika gerade im Spanischen Winter zu beschleunigen. Der Verbraucher wünscht eben einen Paprika-Mix mit gelben, grünen und roten Farben.
Wie kann der Verbraucher belastete Paprika erkennen? Dazu der Greenpeace-Experte Manfred Santen: „Wenn eine Paprika grüne Schattierungen oder Schlieren aufweist, kann das ein Indiz für den Einsatz von Ethephon sein.“ Er empfiehlt den Kauf von Bio-Paprika, da dieser unbedenklich ist.
Wird ein Skandal aufgedeckt, reagiert der Verbraucher ziemlich aufgeschreckt und boykottiert die betreffenden Produkte. Er möchte schliesslich kein Hormonschnitzel, antibiotikahaltige Speisen oder keine Polenta aus genmanipulierten Mais auf seinem Teller haben. Aber der Konsument hat oft ein kurzes Gedächtnis. Ebbt das Mediengeschrei ab, oder wird die Unbedenklichkeit des einen oder anderen Stoffes vonseiten der Behörden bestätigt, wird wieder kritiklos drauflos gekauft. Hauptsache die Waren sind billig!
Panscher und ein Aktionsplan
Schuld sind jedoch auch die Politiker und Untersuchungsbehörden, die bald nach solchen Skandalen wieder nachlässig werden und mögliche Verfehlungen negieren oder zu spät aufdecken. Man spricht in solchen Fällen dann von Pannen.
Das war auch beim neuesten Skandal über die Fettpanscherei von Fetten mit Dioxin der Fall. Wie jetzt bekannt wurde, hatten die Panscher schon seit März 2010 die dioxinhaltigen Fette dem Futter beigemischt. In der „Badischen Zeitung“ vom 20.01.2011 wurde diese Erklärung des Agrarministeriums in Hannover bekannt gegeben: „Der Dioxinskandal sei wohl eine Panne beim illegalen und systematischen Vermischen technischer Fette mit Futterfetten. Die Praxis sei aufgeflogen, weil zu viel belastete Fette untergemischt worden sei. Anders lasse sich nicht erklären, dass der Hersteller seine Fette so lange getestet habe, bis Grenzwerte unterschritten wurden.“
Weshalb sind denn die belasteten Futtermittel von den Untersuchungsämtern nicht schon früher entdeckt worden?
Nun haben die Politiker, an deren vorderster Front die agile Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) reagierte, einen 14 Punkte-Aktionsplan vorgestellt. Bund und Länder wollen in Zukunft Futtermittel gemeinsam kontrollieren. Ich frage mich, warum in der Vergangenheit nur die Länder zuständig waren; die Lebensmittel werden ja oft bundesweit verkauft.
Unter anderem ist vorgesehen, die Zulassung von Futtermitteln strenger auszulegen. Auch dürfen nicht mehr Futterfette und Industriefette in denselben Anlagen produziert werden. Es existiert zukünftig auch eine Positivliste, in der die Stoffe aufgeführt werden, die in Futtermitteln verwendet werden dürfen. Aber was nützt dieser Vorschlag, wenn er nicht EU-weit beschlossen wird. Futtermittel kommen ja auch aus dem Ausland zu uns.
Ein wichtiger Punkt bleibt noch offen, nämlich, wie die Entschädigung der Bauern erfolgt, wenn sein Hof gesperrt wird und sich später erweisen sollte, dass alles in Ordnung ist.
Der Käufer wird zum Dioxin-Endlager
Nach Bekanntwerden des Dioxin-Skandals schrieben einige besorgte Leser Briefe an die „Badische Zeitung“. Helmut S. aus Lahr betonte, dass die in den Discounter angebotenen Billighähnchen (Kilopreis: 2,52 Euro in einer „Sparwoche“ Anfang Januar 2010 angeboten) für den Erzeuger kaum etwas übrig bleibt. Aus diesem Grunde muss „Billignahrung in den Fressnapf“, und somit wird der „Sparwochen-Fleischkäufer zum Endlager von mit Dioxin verseuchten Industriefetten. ,Fleisch, ein Stück Lebenskraft’. Dann mal guten Appetit.“
Hans F. aus Lenzkirch schrieb ganz richtig, man solle doch endlich weg von der Massentierhaltung. „Und Bereitschaft der Kunden, für qualitative gute Lebensmittel einen – im wahrsten Sinne des Wortes – anständigen Preis zu bezahlen.“
Das wird wohl nicht passieren. Der Trend zu Billigwaren ist bei uns ungebrochen.
Der Deutsche gibt nur 13 % seines Einkommens beim Kauf von Lebensmittel aus, während die Franzosen und Italiener wesentlich mehr für Lebensmittel bezahlen.
Bio-Eier sind gefragt
Nach dem Dioxin-Skandal blieben viele Eier in den Regalen der Discounter und anderen Geschäften liegen. Bio-Eier waren gefragt. Ich habe mich einmal bei einem Discounter (Aldi) umgeschaut. Dort gibt es Eier aus Bodenhaltung, dann solche aus Freilandhaltung und andere sind Bio-Eier, die natürlich einen höheren Preis haben. Die Bio-Eier waren bisher nicht belastet.
So bezieht beispielsweise der Biolandwirt Otmar Kiefer aus Freiburg-St. Georgen D seine Küken von einem Bioland-Betrieb aus Bayern und das Futter vom Bioproduzenten, der Dachswanger Mühle in Umkirch (dorthin liefert der Landwirt einen Teil seines Bio-Getreides). Ergänzungs- und Mineralfutter kauft er von einer Bio-Handelsgesellschaft, die streng kontrolliert wird. Mit den erwähnten Mischungen füttert der Landwirt seine 1200 Hühner, die täglich bis zu 950 Eier legen. Er beliefert Bio-Läden, eine Metzgerei in Freiburg i. Br., einen Händler auf dem Münstermarkt in Freiburg oder verkauft diese ab Hof. Ökoeier kosten 10 bis 15 Cent mehr.
Demeter fordert Systemwechsel
Demeter fordert einen Systemwechsel statt Symptom-Bekämpfung. In einer Presseerklärung war dies zu lesen:
„Die Öko-Pioniere von Demeter sehen die Dioxin-Krise als deutlichen Warnschuss an die Politik, endlich einen Systemwechsel in Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung durchzusetzen. ,Alle jetzt angekündigten Massnahmen zielen doch lediglich auf Symptom-Bekämpfung und gehen nicht an die Wurzel des Übels’, kommentiert Klemens Fischer vom Demeter e. V. Die Biodynamiker fordern eine konsequente Neuausrichtung der Agrarpolitik: ,Weg vom industriellen Prozess hin zu einer am Tierwohl und damit am Wohl des Menschen orientierten, überschaubar strukturierten Landwirtschaft.’ Die 1400 Demeter-Bauern in Deutschland und viele ihrer Öko-Kollegen hätten längst gezeigt, dass tiergerechte Haltung in einem vielfältigen, geschlossenen Hoforganismus einziger Garant für qualitativ hochwertige Lebensmittel sei. Sie halten genau so viele Tiere wie es ihren Weide- und Ackerflächen angepasst möglich ist, erzeugen das benötigte Futter überwiegend selbst und verwandeln den Mist der Tiere in besten Dünger, der die Bodenfruchtbarkeit nachhaltig fördert. Wer im Gegensatz dazu Tiere als reine Produktionsmittel betrachte, habe beim Futter dann allein den Output – Fleisch oder Ei ‒ im Blick und greife auf alles zurück, was Kalorien zuführe, unabhängig davon, ob es der Tiernatur entspricht. ,Im Grunde genommen steht hinter der Dioxin-Problematik dasselbe verhängnisvolle Denken wie bei BSE vor 11 Jahren. Es zeigt sich, dass Politik und Agrar-Industrie daraus nichts gelernt haben. Alle Bemühungen richteten sich lediglich auf Optimierung technologischer Prozesse oder auf schärfere Kontrollen und sind gescheitert’, unterstreicht Demeter-Vorstand Stephan Illi. Der Wunsch der Verbraucher nach gesunder Nahrung erfülle sich nur, wenn respektvoller Umgang mit den Tieren mit verantwortungsbewusster Herdenführung und tiergemässer Fütterung einher gehe und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus diesen transparenten Zusammenhängen entsprechend honoriert würden. ,Wer sich an den Bedürfnissen des Tieres orientiert und entsprechend füttert, erhält nicht nur gesunde Tiere, sondern auch besonders leckere und gesunde Lebensmittel’, erklären die beiden Demeter-Vorstände Fischer und Illi.“
Pestizide im Fleischersatz?
In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Öko-Test“ (2011-01) wird berichtet, dass man im vegetarischen Fleischersatz auch in Bio-Produkten Gen-Soja, Weichmacher und den Pestizidwirkstoff Endosulfan nachgewiesen hat. Auch Demeter war mit seinen „Tofu Bratgriller“ betroffen.
In anderen Fleischersatzprodukten wurden ferner Fettschadstoffe (3-MCPD- und Glycidyl-Ester) ermittelt. Diese bilden sich, wenn Fette raffiniert werden. Diese Stoffe sind noch nicht restlos erforscht. Sie könnten sich im Körper umwandeln und ein gesundheitliches Risiko bergen. Auch in Produkten, die viel Palmöl oder andere pflanzliche Öle enthalten, könnten bei der Produktion von Fleischersatzstoffen Fettschadstoffe entstehen.
Als ich diesbezüglich eine Anfrage bei einer Firma machte, ob Palmöl in ihrem vegetarischen Brotaufstrich sei, erhielt ich keine Antwort. Auf der Verpackung wurde das Palmöl verschwiegen, dort steht nämlich nur, dass „ungehärtete pflanzliche Fette und Sonnenblumenöl“ verwendet wurden.
Sehr lobenswert fand ich den Kommentar zu den Publikationen im „Öko-Test“ von Marion Rhein, Demeter e.V., Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Sie betonte in einer E-Mail vom 14.01.2011, Demeter sei ein Verband für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise und organisiere Demeter-Bauern. Demeter-Verarbeiter und Demeter-Handel stellen selbst keinerlei Waren her.
Der Hersteller der „Demeter Tofu-Bratgriller“, die Firma Life Food GmbH, Freiburg i. Br. (www.taifun-tofu.de), betonte, dass die aktuell im Handel befindlichen Bratgriller keine Spuren von Gentechnik und keine Endosulfan-Befunde aufwiesen (www.taifun-gegen-gentechnik.de). Die Firma bezieht Soja aus Brasilien. Sie achtet streng darauf, dass die Produkte gentechnikfrei sind. So musste die Firma Anfang 2010 die komplette brasilianische Ernte ablehnen, da der Rückstandswert überschritten war.
Fazit der Firma: „Wir kontrollieren und untersuchen weit über gesetzliche Anforderungen hinaus – und stossen doch an unsere Grenzen. Unsere Qualitätssicherung und deren Prüfmethoden sind auf sehr hohem Niveau und wir arbeiten eng mit Kontrollstellen und Behörden zusammen.“
Die nachgewiesenen Weichmacher (der Wert von 1,2 mg/kg lag knapp über den Richtwert von 1 mg/kg des Bundesinstituts für Risikobewertung) stammten aus dem Rapsöl. Die Firma ermittelte in Rückstellproben erhöhte Werte. In der aktuellen Produktion von Tofu-Bratgriller, bei denen Rapsöl vom selben Lieferanten eingesetzt wurde, fand man keine Weichmacher. Wie die Firma betonte, handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein einmaliges Vorkommnis. Die Firma werde alles daran setzten, den Vorfall vollständig aufzuklären.
Auch der Hersteller von Demeter-Rapsöl kann sich das Vorhandensein von Weichmachern nicht erklären. Bei der Produktion werden nämlich Edelstahlbehälter und Edelstahlrohre verwendet. Wie Gyso von Bonin, Demeter-Rapsöl-Produzent und Landwirt aus Körtlinghausen (D-59602 Rüthen) betonte, wird das Öl nicht desodoriert und nicht druckgefiltert (damit bleiben die Enzyme und Vitamine erhalten). In den aktuellen Chargen hat man keine Weichmacher entdeckt. Man kann sich die Kontamination nicht erklären. „Es handelt sich nach unseren Erkenntnissen um einen bedauerlichen und noch nicht zu erklärenden Einzelfall“, so Bonin.
Ich finde es sehr gut, wenn Firmen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eventuelle Kontaminationen nachgehen und für weiterhin hochwertige Produkte sorgen.
Abschliessend noch eine Pressemitteilung des BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft): „Im Öko-Landbau sind isolierte Fettsäuren, die im aktuellen Fall Quelle für die Kontamination von Futter mit Dioxin waren, nicht erlaubt. Unter den gesperrten Betrieben ist kein Bio-Betrieb. Betriebe, die einem der deutsche Öko-Verbände angehören, dürfen grundsätzlich keine konventionellen Pflanzenöle einsetzen. Verbraucher können deshalb unbesorgt weiterhin Eier und Fleisch aus ökologischer Erzeugung kaufen.“
Und nun wissen wir, was wir kaufen sollen. Die Bio-Produkte sind sicher und auch etwas teurer. Aber für unsere Gesundheit dürfte nichts zu teuer sein.
Internet
Literatur
Kienzle, Jakob: „Paprika wird nicht schnell genug rot“, „Badische Zeitung“, 19.01.2011.
Scholz, Heinz: „Richtig gut einkaufen“ (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag), Verlag Textatelier.com GmbH, Biberstein 2005 (dieses Buch ist vergriffen).
Hinweis auf weitere Blogs zum Thema Dioxin
18.02.2005: Dioxin-Freilandeier, die gar keine warenHinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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