BLOG vom: 26.01.2011
Iran-Sanktionen: Und willst du nicht mein Bruder sein ...
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Der alttestamentarische Jakob, Sohn von Isaak und Rebekka, der mit List den Erstgeburtssegen erlangt hatte, hatte 12 Söhne, darunter einer namens Josef. Dieser war Jakobs Lieblingskind. Seine Brüder waren auf ihn neidisch, wollten ihn töten und in eine Grube werfen. Dann, so planten sie, wollten sie sich mit der Feststellung herauszulügen, ein böses Tier habe Josef gefressen. In einem Anfall von Milde wollte sich die Verschwörung der Brüder (laut 1. Mose 37) dann darauf beschränken, ihn bloss in eine leere Grube zu werfen, was dann geschah, stilrein im Rahmen der biblischen Gewaltaktionen. Doch entschieden sie sich anschliessend für eine einträglichere Lösung, indem sie ihn wieder herauszogen und ihn für 20 Silberstücke an Ismaeliter, eine Stämmekonföderation aus Nordarabien, verkauften, was einer Begnadigung gleichkam. Die geschäftstüchtigen Brüder schlachteten einen Ziegenbock und tauchten einen zurückgebliebenen Rock von Josef in dessen Blut, so dass Vater Jakob den Eindruck erhalten musste, ein böses Tier habe seinen Lieblingssohn gegessen.
Soweit etwas zur Erbauung aus der Bibel, welche die Grundlage unserer jüdisch-christlichen Kultur ist und bis auf den heutigen Tag nachwirkt, wie wir gleich sehen werden. Ich habe dieses Müsterchen nämlich ausgegraben, um den altbewährten Spruch „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein“ aufleben zu lassen. In Frankreich lautete dieselbe jakobinische Definition von Brüderlichkeit: „La fraternité ou la mort!“
Eine Gesellschaft von neidischen Brüdern, die mit List und Tücke ihre Interessen durchzusetzen sucht und mitbrüderlichen Objekten des Neids den Schädel einschlägt oder sie doch zumindest in einer ausgetrockneten Grube schmoren lässt, ist auch die sogenannte westliche Wertegemeinschaft unter der Führung und Oberaufsicht der USA – ein Gleichnis wie aus einer Sonntagspredigt. Die Gemeinschaft hat sich in ihrer martialischen Desorientierung höchstpersönlich eine heilsgeschichtliche Sonderrolle zuerkannt und fordert von ihren Unterworfenen in konzertierten Aktionen genau das, was Paulus an die Hebräer (Hebräer 13,1) schrieb: „Bleibt fest in der brüderlichen Liebe.“ Seit Kain und Abel wusste man ja schon damals, wie Brüder in der Bibel miteinander umgehen. Romulus, der legendäre Gründer von Rom, tat es dem Kain gleich – er erschlug seinen Zwillingsbruder Remus. Wer totgeschlagen werden muss, bestimmen heute vorerst noch die USA-Gewaltigen.
Die Gleichnisse wirken selbst Jahrtausende später noch nach, besonders, wenn die guten Brüder einen gemeinsamen Feind ausgemacht oder sich darauf geeinigt haben. Wer bei Strafaktionen im Abseits steht, wird zumindest in einer tiefen Grube schmoren gelassen, wenn möglich bis zur finanziellen Austrocknung.
Ihr gemeinsamer Feind, der auf Unabhängigkeit und Selbständigkeit bedacht ist, trägt im Moment gerade den Namen Iran. Er lebt ganz in der Nähe der Atommacht Israel, mit der er einst befreundet war, und welche die Palästinenser ständig durch Landraub und isolierende Ausgrenzungen provoziert und gelegentlich auch einen nachbarschaftlichen Krieg auslöst, ohne Rücksicht auf grosse Zerstörungsaktionen auch im zivilen Bereich. Israel baut sein geheimes Atompotenzial unter stillschweigender Duldung und mit Hilfe der Verbündeten ständig aus, angeblich mit der seit 2008 einsatzbereiten, ballistischen Jericho-III-(Luz YA-3)-Rakete mit einer Reichweite bis zu 4800 km. Mit der Friedfertigkeit und Glaubwürdigkeit dieses zusammen mit den USA gottgewollt bevorzugten, geheiligten Landes Israel hapert es sehr, wie die ständige atomare Aufrüstung, über die nicht gesprochen werden durfte, bis sie nicht mehr zu verheimlichen war, und auch Kriegslüste, Kriegsdrohungen und Missachtung von Uno-Resolutionen bewiesen haben.
Statt weltpolitisch auf eine atomare Entwaffnung des Nahen Ostens (einschliesslich Pakistans, wo auch Saudi-Arabien ihre Sprengköpfe gelagert hat, ohne dass die USA und deren Adlaten das saudische Erdöl boykottieren ...) hinzuwirken, wurden Israel aufgerüstet und der an einer Atombombe herumbastelnde Iran dämonisiert, ausgegrenzt und mit erpresserischen Methoden zur Räson gezwungen, was bisher misslang. Die USA und deren verlängerter Arm Europäische Union (EU) haben scharfe Sanktionen gegen den Iran verhängt, um dem Land den grösstmöglichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen – ein Handelskrieg. Dieser wird sicher nicht dazu führen, dass der Iran seine Atompläne aufgibt, sondern da wird einfach die übliche Eskalation verstärkt, den Boden für den Terrorismus und Kriege laufend weiter vorbereitend. Unter solchen Voraussetzungen sind auch die internationalen Verhandlungen der sogenannten Uno-Vetomächte ‒ USA, China, Russland, Grossbritannien, Frankreich sowie Deutschland ‒ über das Atomprogramm Irans am 22.01.2010 gescheitert, da Irans Chefunterhändler Said Dschalili auf dem Recht seines Landes beharrte, Uran anzureichern.
Wie verhält sich die Schweiz als nicht EU-Staat und neutrales Land? Ihre Bereitschaft zur Unterwerfung unter die USA-Vorgaben ist neuerdings geradezu grenzenlos. Der Bundesrat ist nach langer Standhaftigkeit leider auch in seiner Iran-Politik eingeknickt und hat sich den US- und EU-Sanktionen angeschlossen, wiewohl es ja hierzulande ohnehin üblich ist, jeder sich am Horizont abzeichnenden US-Erpressung durch vorauseilenden Kadavergehorsam stattzugeben. Die Anpassung an die Strafaktionen der Handelspartner ging neutralitätspolitischen Grundsätzen vor.
Die neuen Massnahmen gegen den Iran traten am 20.01.2011 in Kraft. Mit der Anpassung wolle der Bundesrat für international tätige Schweizer Unternehmen Rechtssicherheit herstellen, und zudem solle verhindert werden, dass die Schweiz als Plattform für die Umgehung der Sanktionen diene, sagte Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der neue Wirtschaftsminister. Die EU hatte Ende Oktober 2010 Massnahmen beschlossen, welche weiter gingen als diejenigen der Schweiz; und diese Schweiz, am chronischen „autonomen Nachvollzug“ schwer erkrankt, zog nach.
Die ausgedehnteren Sanktionen enthalten unter anderem Liefer- und Beschaffungsverbote für Dual-Use- und Proliferationsgüter, also für Produkte, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken oder aber der Herstellung von chemischen, biologischen und atomaren Waffensystemen dienen können. Ein prägnantes Beispiel ist angereichertes Uran, das zivil und auch zum Bau von Atombomben genutzt werden kann; dabei ist der Grad der Anreicherung ausschlaggebend.
Verbote und Restriktionen dem Iran gegenüber gelten auch im Bereich der Öl- und Gasindustrie, im Bankensektor und im Versicherungswesen. 2010 exportierte die Schweiz vor allem Pharmazeutika, Agrarprodukte und Maschinen für etwa 700 Millionen CHF in den Iran. Dabei geht es nicht einfach um das eher bescheidene Auftragsvolumen als vielmehr um eine Haltung, die von einem auf Humanität ausgerichteten Gerechtigkeitssinn geleitet und damit für alle gleich sein müsste. Wir müssen uns doch nicht jeden automatisch zum Feind machen, der den US-Interessen in die Quere kommt.
Die internationale Politik funktioniert nach den klaren Grundsätzen der Erpressung: Durch die Androhung von Gewalt und tatsächliche Bestrafungen, wie es der biblische Josef schmerzlich erlebt hatte, werden Unbotmässige gefügig gemacht, wobei Bereicherungsabsichten mitspielen. Wie bei allen Handelskriegen üblich, soll die eigene Volkswirtschaft zum Beispiel durch eine Niederhaltung der ausländischen Konkurrenz gestärkt werden. Wer Boykotte umgeht – wie China im Falle von Iran – macht besonders gute Geschäfte. Auch Deutschland, wo Bundeskanzlerin Angela Merkel den Boykott besonders laut ausruft, scheint es in der Praxis nicht allzu ernst zu nehmen, legte doch der Export Deutschland/Iran von Januar bis November 2010 um 2,5 Prozent auf etwa 3,5 Milliarden Euro zu ...
Die auf einen schnellen Macht- und Finanzgewinn zielende neoliberale Globalisierung unterscheidet konsequent in eingebundene Gefügige, denen selbst Verstösse gegen das Völkerrecht (Israel) nachgesehen werden und die auf jeden Fall straffrei ausgehen, und in Widerspenstige, die gewaltsam gezähmt werden müssen.
Die weltoffene Schweiz war mit ihren Qualitätsprodukten schon immer in den internationalen Handel eingebunden, wogegen nichts einzuwenden ist. Doch heute wird immer weniger zwischen Wirtschaft und Politik unterschieden. Wirtschaft und Handel sind jetzt Werkzeuge zum Durchsetzen knallharter politischer Interessen. Sie werden derart intensiv für Rundumschläge missbraucht, dass innerhalb des Handelskrieg-Geheuls jene Stimmen untergehen, die auf eine Einbindung Abtrünniger und auf verhandlungspolitische Lösungen drängen. Die Schweiz, würde sie ihre traditionelle Neutralität nicht in kleinkrämerischer Art verscherbeln, wäre geradezu prädestiniert, darauf hinzuwirken, dass Problemfälle mit Intelligenz und Einfühlungsvermögen statt alttestamentarischer Totschlagspolitik gelöst werden.
Diese Schweiz müsste offen sein, Beispiele geben – und den autonomen Nachvollzug ihres Verhaltens von dort erwarten, wo das Mitläufertum hinter der offensichtlich moralisch, wirtschaftlich und machtpolitisch zerfallenden USA von Blindheit geschlagen ist. Statt beim Einschlagen von Schädeln im Verbund eines von Atombomben und eines anderweitigen kriminellen Waffenarsenals überladenen Zweckbündnisses mitzuwirken, müsste sie aufzeigen, dass Grausamkeiten nicht einfach nach Bibel-Art, sondern auch mit Vernunft und Weisheit angegangen werden könnten – selbst auf die Gefahr hin, dass Diskussionen über den zentralistischen Globalisierungsunsinn ausgelöst würden. Er gebiert offensichtlich nicht allein Schuldenkrisen bis hin zu Staatsbankrotten, Armut und Migrantenströme, sondern auch Geisteskrisen.
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