BLOG vom: 31.01.2011
Der westlich massiv geschürte Flächenbrand in Nordafrika
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Ist das, was momentan in Nordafrika an Volksaufständen und Putschen abläuft, ein aus einem relativ geringfügigen Anlass, einem Zündhölzchen vergleichbar, entstandener Flächenbrand in einer ausgedorrten Landschaft? Oder steckt ein System dahinter? Diese zentralen Fragen werden bei der Berichterstattung über die chaotischen Vorgänge meistens ausgeklammert.
Gelegentlich hört man aus Umfragen unter der betroffenen Bevölkerung, es handle sich um Destabilisierungen, die aus dem Ausland gesteuert würden. Das Ziel könnte sein, unbotmässige und abgetakelte Regierungen, die vom Westen unterstützt wurden, wenn immer sie ihm auf Geschäftsebene dienlich waren, zu erneuern. Denn sie haben ihre Glaubwürdigkeit längst verloren und müssen aber wiederum durch solche ersetzt werden, die sich dem westlichen Konzept unterwerfen. So konnte sich Ben Ali in Tunesien 23 Jahre lang halten. In Ägypten mit seiner wenig US-freundlichen Bevölkerung ist Muhammad Husni Mubarak seit 1981 Staatspräsident: ein Geldempfänger (1,3 Mia. USD pro Jahr neben anderen Sondervergünstigungen, damit er gegenüber Israel brav bleibt) und Verbündeter der USA, auch unter Barack Obama, obschon Mubarak die Bevölkerung ausbeutet. Ägypten ist neben Jordanien denn auch das einzige Land der Region, das diplomandeben anderentische Beziehungen zu Israel unterhält. Nachdem sich Mubaraks Gesundheitszustand verschlechtert hat, muss rechtzeitig nach einem geeigneten Nachfolger Ausschau gehalten werden – von Marionette zu Marionette. So unterstützen denn die USA die Demonstranten aus dem Hinterhalt (Obama sprach von „aufgestauten Frustrationen“), bemühen sich vordergründig aber, ihren Verbündeten nicht zu sehr zu verärgern. Ihr Image ist ohnehin ramponiert. Mubarak bildete pro forma die Regierung um. Der Geheimdienstchef Omar Suleiman wurde Vizepräsident, ein Freund der USA. Doch das Volk will, dass Mubarak geht. Stattdessen lässt er auf Demonstranten schiessen. Die Zahlen von Toten und Verletzten steigen ständig. Die Ausgangssperre wird nicht eingehalten.
Folgen der US-Schuldenwirtschaft
Eine ideale Grundlage für erfolgreiche Unruhestiftungen ist das Elend in vielen Ländern, welches sich seit dem US-Finanzwirbelsturm 2008 mit dessen Wallstreet-Raubzügen auch in den nordafrikanischen Ländern noch vergrössert hat. Eine weltweite Destabilisierung ergab sich aus den Auswirkungen der global verteilten US-Schuldenwirtschaft, dem jahrzehntelangen US-Way of Pump, der seit Obama auf Staatsebene in noch verstärktem Ausmass weitergeht. Die westliche, materielle Werte an sich bindende Wertegemeinschaft kann ein Überschwappen der Finanzkatastrophe vorerst noch durch exorbitante virtuelle Geldproduktionen verhindern. Sie blasen das Debakel zwar zu ungeheuerlichen Dimensionen auf, können aber immerhin noch eine Zeitlang verhindern, dass die Folgen (dramatische Steuererhöhungen, Abbaut staatlicher Dienstleistungen inkl. Sozialabbau und Bildungsvernachlässigung) mit voller Wucht auf der Volksebene ankommen ... mit ähnlichen Folgen wie in Tunesien & Co. Wo solche Verzögerungsmechanismen nicht greifen und korrupte Herrscher und Regime ihr Volk noch tiefer in die Armut treiben, bricht die grenzenlose Unzufriedenheit umso explosiver aus. In der gleichen Richtung wirkt die grassierende Globalisierungskatastrophe, welche die Diskrepanz zwischen Reichen und Armen in einem unerträglichen Ausmass vergrössert, was schliesslich auch ihr tieferer Sinn ist.
Farben-Revolutionen
Das ist das Eine. Das Andere sind fremde Mächte, die Destabilisierungen in sogenannten Drittweltländern fördern und für ihre eigenen Zwecke ausnützen. So schrieb Webster Griffin Tarpley, der bekannte US-amerikanischer Buchautor und Kritiker der US-Innen- und -Aussenpolitik, auf der Webseite des Kopp-Verlags (www.kopp-verlag.de ) am 21.01.2011: „Die US-Intelligence Community ist ausser sich vor Freude über den Sturz der tunesischen Regierung von Präsident Ben Ali am vergangenen Wochenende. Über loyale Medien erklären State Department und CIA den Umsturz in Tunesien jetzt zum Prototypen einer neuen Generation von Farben-Revolutionen, postmodernen Coups und US-inspirierter Destabilisierung ,durch das Volk’ (die berühmte People Power). In Foggy Bottom und Langley, dem Sitz von State Department und CIA, schmiedet man fieberhaft Pläne für einen wahren Tsunami im gesamten Mittelmeerraum, durch den die meisten der heutigen Regierungen in der arabischen Welt, und nicht nur dort, gestürzt werden sollen.“
Diese weise Voraussicht hat sich in den wenigen seither vergangenen Tagen ständig bestätigt. Die Welle der Revolutionen ist inzwischen via Algerien, Jemen und Jordanien mit besonderer Wucht in Ägypten angekommen, und ein Ende ist noch nicht abzusehen – ein Dominoeffekt, der sich ja nur einstellen kann, wenn jemand die Dominosteine richtig aufgestellt hat. Und Ansteckungen kann man ja schliesslich auch etwas nachhelfen. Es kommt zu Demonstrationen, Protestmärschen, Sachbeschädigungen, Schlachten mit der Polizei, Selbstverbrennungen. Die Stimmung heizt sich wie von selbst auf. Und als Internet-Werkzeuge werden Twitter, Facebook (in Ägypten sind es die Seiten der Oppositionsbewegung „Kifaya“) und WikiLeaks usw. eingesetzt, soweit sich nicht durch die betroffenen Regierungen gestört werden können.
Beim Informationsstand, der nicht allein in arabischen Ländern, sondern auch im angeblich pressefreiheitlichen Europa und Amerika miserabel ist, kann nicht erwartet werden, was Tarpley gefordert hat: „Die arabische Welt sollte ein paar grundlegende Lektionen darüber lernen, wie die CIA-Farbenrevolutionen funktionieren, wenn sie nicht die tragische Erfahrung von Georgien, der Ukraine und so vielen anderen Ländern teilen wollen. In der heutigen, von der wirtschaftlichen Depression schwer gezeichneten Welt ist das Wichtigste ein Reformprogramm, das ein Land in die Lage versetzt, die nationalen Interessen gegen die Kräfte der finanziellen Globalisierung zu verteidigen.“
Destabilisierungen erleichtern Despoten-Austausch
Das Destabilisierungsprogramm des Westens im Mittelmeerraum bezweckt selbstredend auch, durch die Installation einer neuen Generation US-höriger Politiker auch den wirtschaftlichen Einfluss Chinas zurückzubinden, das von hier Rohstoffe wie Erdöl bezieht, und dasselbe gilt in gewissem Masse auch für Russland. Der Verteilungskampf um Ressourcen äussert sich in verschiedenartigen Hässlichkeiten.
Einer der Hoffnungsträger des Westens ist der Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei, der in Ägypten und in den USA Jurisprudenz studierte, ein arabischer Oppositioneller, der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) war und dem Westen gut in den Kram passen würde, obschon Baradei das iranische Atomproblem nicht mit militärischen Mitteln angehen wollte. Er kehrte aus Wien nach Kairo zurück, wo er sich als Interimspräsident anbot, Amerika zu einer klareren Haltung aufrief und feststellte, Gewalt gegen die eigenen Bürger fördere den Islamismus, den Fundamentalismus und die Radikalisierung ... und damit indirekt ein Bekenntnis gegen arabische Wertvorstellungen abgab, jedenfalls gegen die radikalen Islamisten und auch gegen die Muslim-Brüder. Inzwischen hatten sich das Volk beim Freitagsgebet auf neue Kämpfe eingestellt. Baradai, eine Zeitlang unter Hausarrest gestellt, agitiert kräftig gegen das Mubarak-Regime.
Gleichzeitig protestierten im Jemen Zehntausende gegen den als korrupt wahrgenommenen Despoten Ali Abdullah Salih (seit 1978 im Amt), ebenfalls ein Verbündeter der USA, der reif für einen Austausch geworden ist.
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Meines Erachtens muss die einseitige, einmal mehr kaum hinterfragende Berichterstattung unser „Qualitätsmedien“ auf der Grundlage solchen Wissens gewertet werden. Man kommt dann zu etwas differenzierteren Beurteilungen der Abläufe.
Das Schlussresultat ist noch unabsehbar. Oder in der Ausdrucksweise eines afrikanischen Sprichworts: „Ein Floh macht dem Löwen mehr zu schaffen ein Löwe dem Floh.“
Die angekurbelte Flohplage könnte schon noch lästig werden, nicht nur punktuell.
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