BLOG vom: 01.02.2011
Ranking-Schabernack: Von PISA zum Demokratie-Barometer
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Seitdem mir vor einigen Jahren bewusst geworden ist, wie die US-Ratingagenturen den Finanzbereich und damit die gesamte Weltwirschaft im Interesse der USA schamlos manipulieren, halte ich von solchen Bewertungen, die ja auch Rangierungen sind, überhaupt nichts mehr. Auch die PISA-Studien erwiesen sich als ein grosser Schwindel. Dem ganzen Rating- bzw. Ranking-Unsinn den Boden ausgeschlagen hat das Democracy-Barometer, das vom NCCR Democracy am Zentrum für Demokratie Aarau, von der Universität Zürich und vom Wissenschaftszentrum Berlin ausgeknobelt worden ist, ein offensichtlich blühender Nonsens. Erstaunlich ist für mich nur, dass die Systemmedien, die für Wesentliches keine Kapazitäten mehr haben, solche tendenziöse wissenschaftliche Spielchen als feststehende Fakten, als Tatsachen, weitgehend unkritisch weitergeben.
Geradezu unglaublich ist die Bedeutung, welche Medien und Politik den PISA-Rankings beimessen; mit Pizza-Studien hätte man weniger Unheil anrichten können. Die offensichtlich schiefen PISA-Manipulationen werden vor allem als Grundlage für Umbauten im Bildungswesen nach den Gesetzen der neoliberalen Ökonomie verwendet. Dazu hat der Kunstpädagoge Jochen Krauz (1966) ein Buch unter dem Titel „Ware Bildung (Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie)“ geschrieben (Diederichs Verlag 2009). Er weist nach, dass PISA gar nicht messen kann, was es zu messen vorgibt: die Basiskompetenzen von Schülern im internationalen Vergleich, und von Bildung kann schon gar nicht die Rede sein, weil sich diese per Test ohnehin nicht messen lässt. Es geht einfach um Untersuchungen von Lesekompetenz, mathematischer Modellierungsfähigkeit und naturwissenschaftlicher Grundlagenbildung. Wollte man zu umfassenderen Urteilen kommen, müssten einzelne Schüler, Klassen oder Schulen mit qualitativen Methoden untersucht werden im Bemühen, auch inhaltlich komplexe Phänomene zu erfassen. Manfred Fuhrmann, Autor des Buchs „Bildung“, sagte schon 2002 in einem „Spiegel“-Interview zum Thema PISA: „Diese Tests sind auf Technik und Wissenschaft hin konzipiert. Das abgefragte Wissen soll vor allem dem wirtschaftlichen Fortkommen nützlich sein. Die Bereiche des Musischen und des Historischen fehlen. Und die für die Aufgaben verwendeten Texte sind sehr trivial. Die von Pisa abgefragten Fertigkeiten sind, wenn es hoch kommt, die Voraussetzung von Bildung.“
Es geht da also, ganz im neoliberalen Sinne, um die ökonomische Verwertbarkeit von funktionalem Wissen, um Nutzen und Profit; der Bildungsbegriff wird bis zur Unkenntlichkeit verwässert, was dann in Bachelor- und Masterstudiengängen fortgesetzt wird. Die Pisa-Hysterie hat die Schulen und Hochschulen desorientiert und für globalisierte Radikalreformen sturmreif geschossen, wie Krautz sinngemäss feststellt.
Darüber hinaus muss die privatisierte Bildung an sich Profite abwerfen – Bildung ist zu einem Verkaufsartikel herabgesunken. Bereits die Testindustrie als solche ist ein gutes Geschäft. Sie ersetzt zudem die Arbeit der Journalisten, denen vorgekautes Futter direkt in die Spalten, Mikrofone und Kameras gespült werden. Das vorprogrammierte E-Learning löst die Bildung als Beziehungsgeschehen ab (Lehrer haben bloss noch zu coachen und Leistungen zu registrieren), und die Ökonomisierung ist im vollen Gang, wenn auch nicht immer mit dem von Anbietern erhofften Erfolg. Die amerikanische „City Universität“ (CityU) in Wettingen AG, die keine eigene Bibliothek hatte, musste ihre bedauernswerten 135 Studenten vor die Tür setzen, weil sie bankrott ging – sie war angetreten, um Geschäfte zu machen und den verkalkten Traditions-Universitäten zu zeigen, wie’s die Amerikaner halt besser können. Ein 20-Monate-Studium war für 15 000 CHF zu haben, und damit hatte man sich den Titel „Master of Business Administration (MBA)“ erkauft (Quelle: „AZ“ vom 20.01.2011).
Demokratie-Ranking
Die Pantoffeln bei lebendigem Leibe ausgezogen hat mir das Demokratie-Barometer nicht etwa, weil die Schweiz nur den 14. von 30 verglichenen Demokratien belegt, sondern weil die Kriterien mindestens ebenso hirnrissig wie bei Pisa sind. Ob da Pfuscher am Werk waren oder ob die Kriterien manipulierend so angelegt worden sind, dass die Schweiz hinter Länder wie die USA (Platz 10) und Deutschland (Platz 11) zu liegen kam, bleibe dahingestellt. Und hinter Belgien ... (Platz 3), wo die Demokratie in einem desolaten Zustand ist, weil die demokratisch gewählten Parteien nicht imstande sind, das Land zu führen und es seit 7 Monaten nicht gelungen ist, eine brauchbare Regierung zusammenzustellen ... ein Demokratie-Vorbild fürwahr. In Rankings, die nach anderen Kriterien funktionieren, nimmt die Schweiz jeweils eine der Spitzenpositionen ein, so in den von der US-Regierung mitfinanzierten „Freedom House“-Berichten, im „Democracy Index“ des britischen „Economist“ oder im Österreich domizilierte „Democracy Ranking“, wobei in jeden Fall hinterfragt werden muss, was denn überhaupt und wie bewertet wurde. Solche Rankings sind nie wertfrei und deshalb in ihrer Aussagekraft vernachlässigbar.
So hat beim neuesten Demokratie-Ranking u. a. die oft tiefe Stimmbeteiligung die Schweiz hinabgezogen, obschon diese auch ein Ausdruck von Zufriedenheit sein kann und die Schweizer ihre Stimmbeteiligung sehr wohl auf die Bedeutung eines Geschäfts abzustimmen wissen; von einer Überforderung kann keine Rede sein. Daraus einen Demokratiemangel abzuleiten, ist ein dummer Kabis.
Wenn man der Schweiz zum Vorwurf machen will, dass sie, basierend auf dem deutschen Demokratieverständnis, weder ein Verfassungsgericht noch ein Misstrauensvotum gegenüber der Regierung kennt (also den Schutz des Bürgers vor dem Staat vernachlässigt), ist auch das ein Blödsinn, zumal sich in der Schweiz der Bürger als Bestandteil des Staats empfindet, den er ja mitgestalten kann, und also nicht vor sich selber geschützt werden muss.
Dann bleibt noch die Frage der mangelnden Transparenz bei finanziellen Zuwendungen an die Parteien. In der Schweiz weiss man sehr wohl, woher die Parteien ihre Gelder finanzieren, aber es ist nicht üblich, private Zuwendungen an die Glocke zu hängen. Das hat auch mit dem Persönlichkeitsschutz zu tun, mit Datenschutz. Die Privatsphäre zählt hierzulande noch etwas. Auch das ist kein Grund, die Demokratie Schweiz schlecht zu bewerten, denn sie will auch die Persönlichkeitsrechte und damit den Datenschutz gewährleisten.
Immerhin kam das desorientierte Rangierpersonal nicht um die Feststellung herum, dass sich die Schweiz zwar hinsichtlich der Erfüllung individueller Freiheiten, aktiver Öffentlichkeit, Wettbewerb und Regierungsfähigkeit als ein demokratisches Musterland erweist.
Die Universität Zürich hat keine Glanzleistung in Bezug auf ihre Rangierungsfähigkeit vollbracht. Wenn die Öffentliche Hand in der Schweiz schon jährlich 29 Milliarden CHF (2008) in die Bildung investiert, müsste eigentlich Schlaueres herauskommen. Wahrscheinlich könnte solch ein Blödsinn der Uni Zürich bei einer Bewertung nach PISA-Kriterien zu einem vorderen Platz verhelfen, aber sicher nicht bei einem Ranking, in dem Sachkompetenz und klares Denkvermögen gebührend Beachtung fanden. Sie hat sich dem relativ Nebensächlichen zugewandt und sich ums Wesentliche herumgedrückt: den weltweiten Abbau fundamentaler Freiheitsrechte unter dem Vorwand der US-Terrorismusbekämpfung. Wenn dem Rechtsstaat eine Bedrohung droht, dann genau von dieser Seite. Aber davon nehmen unsere gloriosen Demokratieforscher keine Notiz. Wichtiger ist ihnen, das Selbstbewusstsein der Schweiz zu schwächen und sie EU- und globalisierungstauglich zu machen: eine unverkennbare linkslastige politische Manipulation, die so sehr von Einfalt trieft, dass sie leicht durchschaubar ist.
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