Textatelier
BLOG vom: 02.02.2011

Der eigene Ort der Kraft, der kein Ort, sondern Raum ist

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Primo hatte die Anfrage eines Redaktionsmitarbeiters am Telefon entgegengenommen. Ob ich meinen persönlichen Kraftort in ihrer Zeitschrift vorstellen würde. Mit einer Foto und kurzem Text. Er habe gleich zugesagt, informierte er weiter. Das freue mich doch, fügte er noch an.
 
Ja schon, aber wo befindet sich denn mein Kraftort? wollte ich wissen. Auf Schlierenberg! Oh schön. Stimmt. Noch nie habe ich dieses Gebiet als meinen Kraftort bezeichnet, weil ich immer noch davon ausging, dass ein solcher ein fixierter Platz sei. Beispielsweise ein mystischer Ort aus alter Zeit, ein Ort, an dem besondere Energien zu spüren sind.
 
Aber er hat recht. Schlierenberg ist unser Naherholungsgebiet mit besonderem Stellenwert. Ein Moränenhügelzug linksseitig des Gletscher-Auslaufs und letzter Ausläufer des Uetlibergs.
 
Es ist ein Ort zum Auslaufen, zum Sich-Auslüften. Für mich auch ein geistiger Raum, in dem ich Antworten und Ideen auffangen kann. Hier oben verändern wir uns alle. Hier ist es friedlich. Die abwechslungsreiche Landschaft schenkt uns grosszügig Geborgenheit.
 
Die Wege führen zum Dunkelhölzliweiher, in den Wald, dem Waldrand entlang und auf der asphaltierten Zubringerstrasse zu 3 Bauernhöfen und ihren angrenzenden Feldern hin. Hier können wir das Wachstum der Saaten verfolgen.
 
Bei Föhnwetter zeigt sich der Alpenkranz ganz nahe. Jahreszeiten und Wetterlagen bestimmen die sich ständig wechselnden Stimmungen am Himmel, auf dem Land und in den Gesichtern der Menschen, die uns hier begegnen.
 
Bei schönem Wetter sitzen Gänse mitten auf der Strasse. Sie sonnen sich auf dem warmen Asphalt vor dem zweiten Bauernhof und markieren, dass sie hier zu Hause sind. Im grossen Gehege nebenan weiden Pferde. In Boxen sehen wir manchmal neugeborene Kälber und auch Schweine. Zahlreich hocken Rabenkrähen auf den Bäumen und überblicken, was hier geschieht. Blitzschnell fliegen sie auf, wenn scheinbare Gefahr droht.
 
Schlierenberg ist nicht mehr Zürich. Alles Städtische ist verblasst, wenn wir die Stadtgrenze etwas oberhalb der VBZ-Bus-Endstation „Dunkelhölzli“ überschreiten. Nach den Grenzsteinen haben wir bereits gesucht und solche gefunden. Schlierenberg gehört zur „Stadt in der Agglomeration“, zu Schlieren. Gedanken zu Grenzen und zum Diesseits/Jenseits kommen hier manchmal auch auf, wenn ich bergwärts gehe und dort auf ein schmuckes, kleines Haus treffe, das den Namen „Zum Paradiesli“ trägt. Unter dem Dachfirst ist auf einem schwungvollen Spruchband alter Art noch die Botschaft des Erbauers zu lesen:
 
„Dies Häuschen, das ich selbst erbaute, ist freundlich zwar; doch klein. Das einst man uns wird bauen, Das wird noch kleiner sein."
 
Noch nie habe ich hier die Tür zum Paradiesli offen vorgefunden oder Bewohner getroffen. Es scheint ein richtiges Paradies zu sein, nur für wenige zugänglich. Sein Umfeld ist geordnet, die eigene Statur gesund und die Botschaft unter dem Dach wetterfest. Es muss also doch immer wieder Leben im und ums Paradies herum sein.
 
Schlierenberg habe ich schon verschiedentlich in Blogs erwähnt. Immer wieder aus einem anderen Blickwinkel und in anderem Zusammenhang. Noch bin ich unschlüssig, ob einer allein genügen kann, um das Wesen dieses offenen Ortes für die Zeitschrift in einer einzigen Foto einzufangen. Schwierig empfinde ich die Aufgabe auch darum, weil ich selbst ebenfalls abgebildet werden soll.
 
Und dann der Wetterfaktor. Kürzlich kamen wir gerade im Umfeld des „Paradiesli“ daher, als Nebelschwaden aus dem Limmattal aufstiegen und sich hier oben auflösten. Ein Schauspiel besonderer Art. Hier noch nie so gesehen. Solch berührende Momente wären zum Fotografieren ein Glücksfall, sind aber nicht bestellbar.
 
Gestern habe ich unter der Hochnebeldecke probeweise Landschaftsausschnitte fotografiert. Heute hat mich Primo begleitet und mich beim Fotografieren einbezogen. Ich bin aber unzufrieden, empfinde mich als Störfaktor im Bild. Die Landschaft ist doch wichtig, nicht ich. Weitere Anstrengungen und Geistesblitze sind nötig. Jetzt warten wir vor allem, dass die Sonne die Nebeldecke irgendwo aufreisst und uns ein günstiges Licht sendet. 5 Tage haben wir noch Zeit, um den idealen Moment zu erhaschen, der unseren Aufnahmen die aussagekräftige Ausstrahlung verleiht. Dann muss ich meinen Beitrag abgeben.
 
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