BLOG vom: 20.02.2011
Flösserweg 4: Von Hottwil nach Laufenburg zu den Narronen
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Bei der Flösserei war nicht alles im Fluss. Die wackeren Mannen, die Flosse flussabwärts begleitet und gesteuert hatten, kehrten nämlich zu Fuss übers Festland an den Ausgangspunkt zurück, wenn das, wie etwa zwischen Stilli AG (unterhalb von Brugg) und Laufenburg AG, eine Abkürzung bedeutete. Die Flösserei war in Teilstrecken unterteilt, und ein Weibel teilte an den Abschnittsgrenzen den Flössern die Ware zu und verhandelte mit den Auftraggebern. An die Zeiten dieses mühseligen Warentransports (vor allem Baumstämme) zwischen dem unteren Aaretal und dem Rheintal erinnert noch der Flösserweg (www.flösserweg.ch), dessen Umgebung ich gründlich erkundet habe, um wieder ein Stück Heimat und die damit verbundene Kulturgeschichte näher kennenzulernen.
Am 12.02.2011 stand die Strecke von Hottwil im Mettauertal bis Laufenburg auf unserem Exkursionsprogramm. Es war ein kalter, lichtvoller Samstagvormittag, als Eva und ich in Hottwil Im Mettauertal starteten, meine Frau mit sich rötender Nasenspitze. Die Wanderplanung kam bei ihr vorerst nicht besonders gut an; denn im sonnigen Dorfzentrum Mettau taucht der Flösserweg gleich hinunter zum gezähmten Etzgerbach und führt dann durch den untersten Teil des schattigen Waldgebiets Buechhalden. In einer Lichtung fuhr ein freundlich grüssender Bauer einen Acker grobschollig um. Dann wanderten wir durch den Frohaldenwald, dankbar für jeden hereindringenden Sonnenstrahl.
Im Gebiet Roggenacher erhascht man zwischen den Bäumen einen Blick zum Dorf Etzgen mit dem leicht erhöhten Dorfkern (330 m ü. M.), das am 01.01.2010 in der Fusionsgemeinde Mettauertal aufgegangen ist. Es erstreckt sich bis zum Rhein; nach der Entsumpfung des Talbodens um 1860 konnte es sich neben dem Etzgerbach und dem Hochrhein ausdehnen. Ein gelbes Fährschiff auf 3 weissen Wellen im Wappen weist auf die Bedeutung des Wassers für diese einst selbständige Gemeinde an der Landesgrenze Schweiz/Deutschland hin.
Blick über die Grenze nach Luttingen
Der Flösserweg tangiert das Dorf nicht, sondern dreht im unteren Bereich des Hügels Sandrütihalden nach links (Westen) und verläuft jetzt parallel zum Rhein, der vorerst noch irgendwo am Hügelfuss versteckt ist. Dafür ist der Blick ins deutsche, bzw. baden-württembergische Gebiet mit den Dörfern Luttingen und Stadenhausen, die heute zu Laufenburg D gehören, in einer ausladenden, besonders fruchtbaren Ebene frei. Der Rhein absolviert dort einen halbkreisförmigen Bogen und sorgt für ein mildes Klima. Dahinter schliessen sich die bewaldeten Hügel des Hotzenwalds an; gerade vis-à-vis von Laufenburg AG ist der Allmendewald, in den die Bauern ihr Vieh bis 1791 zur Weide trieben; dann verzichteten sie auf die Weiderechte. In der Ebene sind ausgedehnte Obst- und Beerenplantagen und einige Gewerbebetriebe auszumachen.
Rheinsulz
Gegen Rheinsulz AG wird dann der Rhein endlich einsehbar, auch wegen einer Materialabbaustelle am Fusse der Risulzerhalden. Der Flösserweg verlässt den Wald endlich, und man findet sich sogleich in Rheinsulz, in einem Weiler, der zur Gemeinde Sulz gehört. Diese umfasst das gesamte Sulztal vom Sulzerloch unterhalb der Ampfernhöhe bis hinunter zum Rhein. Die Besonderheiten von Rheinsulz sind bzw. waren eine Sägmühle, die es nicht mehr gibt, und die rechteckige, schlichte Kapelle St. Margareta, deren Ursprünge wahrscheinlich ins 11. Jahrhundert zurück reichen. Sehenswert sind im Inneren die spätromanischen Malereifragmente aus dem 3. Viertel des 13. Jahrhunderts. Doch die Aussagen der übrigen Bildwerke sind scheussliche Drohbotschaften, von Folter, Sadismus und Tötungslust durchdrungen. Das Martyrium der heilig gesprochenen Magdalena von Antiochien unmittelbar vor der Enthauptung – ein Killer hat das Schwert bereits in Position - neben dem aufgehängten Kreuz mit dem Gekreuzigten, aus dessen rechter Brust Blut rinnt, ist ein ekelhaftes Beispiel zur Beeindruckung und Verängstigung der Gläubigen, zu denen ich mich nicht zähle. Ich müsste solch einen Anschauungsunterricht an einem friedlichen Samstagmittag eigentlich nicht haben. Natürlich ist das unsere Kulturgeschichte, die sich halt auf Geisselungen, Dornenkrönung, Kreuzigung und Auferstehung abstützt, in der Folterungen in der letzten Zeit neu belebt wurden sowie kriegerische Handlungen alles andere als überwunden sind. Mir reicht's allmählich.
Das Sulztal und auch das Mettauertal waren einst wegen des hier blühenden Nagelschmiedgewerbes weit herum bekannt. Die mühselige Nagelschmiederei war ein hartes Handwerk. Zuerst wurden vor allem Card- und Kistennägel, dann Schuhnägel hergestellt. Für 1 Firstkappennagel brauchte der Schmied 40 bis 45 Schläge mit dem mehr als 1 Pfund schweren Hammer – und pro Tag produzierte er 800 bis 1000 Nägel, die in die ganze Welt hinaus verkauft wurden. Nach dem 2. Weltkrieg kamen Schuhe mit Gummisohlen auf, und die Naglerei schlief ein. Der Name Sulz stammt von der Salzquelle in Bütz; er bedeutet im Mittelhochdeutschen Salzwasser.
In Rheinsulz, am Eingang ins Sulztal, kommt man an den Überresten eines spätrömischen Wachtturms vorbei, welcher der Verstärkung der Rheingrenze und der Alemannenabwehr diente, wie viele andere Wachttürme zwischen Basel und dem Bodensee auch. Sie hatten untereinander Sichtverbindungen. Der Turm in Rheinsulz war mit seiner Mauerdicke von 2,3 m und seinen Aussenausmassen von 14,7 × 15,2 m einer der imposantesten. Man erfährt das von einer Informationstafel.
Naturschutzstreifen
Der Spaziergang linksufrig dem Rhein entlang von Rheinsulz nach Laufenburg ist ein reines Vergnügen. Der Wanderweg verläuft in respektvoller Distanz zum Rhein, und dazwischen wurde 2003 ein Naturschutzgebiet mit unterschiedlichen Ufertypen im Rahmen des Auenschutzparks Aargau wiederhergestellt. Uralte, verwilderte Bäume und auf dem moorigen, hier und dort von Schilf bewachsenen, mit Feuchtstellen durchsetzten Boden liegende, meterdicke Baumstämme, die gleichzeitig als Barriere für verirrte Wanderer dienen, zeichnen fabelhafte Bilder. Eine am unteren Stammende angefressene, stark eingekerbte alte Silberweide weist auf die Anwesenheit von Bibern hin. Strasse und Bahn begrenzen auf der Südseite diese Herrlichkeit allzu schnell.
Man unterquert anschliessend die 2004 entstandene Hochrhein-Strassenbrücke, bei welcher der deutsche einer- und der schweizerische Teil anderseits wegen unterschiedlicher Auffassungen von der Meereshöhe (Marseille und Nordsee) einander um 2 Mal 27 cm fast verpasst hätten; bei der Korrektur kam es zu einer Verschlimmbesserung. Ein Schweizer Ingenieurbüro musste für den Schaden aufkommen; denn es war schwierig, den Niveauausgleich herbeizuführen.
Laufenburg
Noch bevor der Bedarf an Naturerlebnissen gestillt ist, erreicht man die beiden Laufenburg (sie waren bis 1802 eine einzige Stadt), wo sich der Rhein durch einen Riegel aus rotem Gneis durchquälen musste und die berühmten Stromschnellen schuf, die Laufen. Beladene Schiffe hatten hier keine Chance; man musste sie entladen und die Waren auf dem Landweg auf die untere Seite der Laufen verfrachten. Selbst die Lachse (Salme) stiessen hier an, wurden in grossem Stil gefangen und verspeist. Dann wurden 300 000 Kubikmeter Fels wegen des Kraftwerkbaus 1909/14 gesprengt, und seither gibt es die Stromschnellen nur noch in den Stadtnamen.
In den mittelalterlichen, verwinkelten Gassen der Laufenburger Altstadt mit den Treppen, Türmen und Brunnen wurden, als ob des Dekorativen noch nicht genug sei, überall schräg über die Gassen farbige, dreieckige Wimpel aufgehängt, vor allem in Gelb und Rot, Vorboten der traditionellen Laufenburger Fasnacht. Sie hat Tradition, brachte den Fischern und Laufenknechten etwas Entspannung. Sie ist eine grenzüberschreitende, alljährliche Veranstaltung an 3 verlängerten Wochenenden nach dem „feisse Donschtig“ – ein grenzenloses Vergnügen mit ohrenbetäubender Tschättermusik, vor dem wir uns noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, und Narronen mit bunten, aus Hunderten von Stoffteilen zusammengesetzten Kleidern, wie die immer wieder geflickten Kleider der Flösser von damals. Narrenzunft, Elferrat und Cliquen mögen uns unsere Flucht vor dem ausgesprochen lärmigen Vergnügen nachsehen.
Die ganze Welt scheint ja auf die Produktion von Narreteien ausgerichtet zu sein: Narri! Narro! Die sympathischen Narrenzünfte haben eine enorme Narronen-Konkurrenz erhalten, rund ums Jahr.
Quellen
Informationstafeln am Flösserweg
Denkmalpflege des Kantons Aargau: „Kapelle St. Margareta in Rheinsulz“ (in der Kapelle aufliegendes Informationsblatt vom 13.06.2010.
Heiz, Arthur; Schild, Ursi, und Zimmermann, Beat: „Fricktal. Bezirk Laufenburg“, AT Verlag, Aarau 1984
Weber, Ulrich, und Fröhlich, Heinz: „Aargauer Bräuche“, AT Verlag, Aarau 1983.
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