Textatelier
BLOG vom: 22.02.2011

Morgendämmerung im Abendland: Die verkehrte Blickrichtung

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Der Mensch ist ein nachahmendes Geschöpf,
und wer der Vorderste ist, führt die Herde.
(Friedrich von Schiller: „Wallenstein“)
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Als westliche Welt (= Okzident, Abendland) gelten vor allem Europa, Nordamerika und Australien, wo sich jüdische und christliche Europäer breitmachten und – im Falle von Amerika und Australien ‒ die alteingesessene Bevölkerung so weit als möglich umbrachten. Die Einwanderung, vor allem Spanier, Franzosen und Engländer, begann gleich nach der Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Kolumbus. Seit dieser Irrfahrt lief manches verkehrt, als ob man Kolumbus nacheifern wollte und unverdrossen noch immer will.
 
Die abendländischen Besetzer eines fremden Kontinents nahmen für sich allmählich grossartige Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Marktwirtschaft und Demokratie in Anspruch – jedenfalls sprechen sie davon. Sie entwickelten Überlegenheitsgefühle und verspürten den nicht zu bändigen Drang, der ganzen Welt ihre Wertvorstellungen, und mögen sie bei ihnen selber nach wie vor noch so verkümmert sein (siehe z. B. den noch nicht überwundenen Rassismus in den in der Neuen Welt), mit brachialer Gewalt aufzuzwingen. Auf dem morsch bis faul gewordenen Thron des Westens sitzen nach wie vor die USA, eine Kriegsnation, die auch die Folter neu belebt und sich selber so hochgerüstet, in Geheimdienstaktionen, Bestechung von Despoten und Kriege verwickelt hat, dass sie und ihre Adlaten von den Schulden erdrückt werden. Schuldenexporte mit allen Tricks (wie Dollarzerfall und toxische Wertlospapiere) sowie eine einträgliche Klageindustrie reissen die ganze angeblich „zivilisierte“ Welt und die von dieser beeinflusste Umgebung in den Abgrund. Man nennt das Globalisierung. Dahinter steht eine furchtbare Idee der Unterwerfung und Niederhaltung ehemals selbstbewusster Völker, die in ökologischer, bildungspolitischer, sozialer Hinsicht ins Desaster führt und überall Brandherde erzeugt. Im Moment ist gerade der Mittelmeerraum davon markant betroffenen, wo korrupte Despoten während Jahrzehnten künstlich an der Macht gehalten wurden.
 
Kriegsgeschichte
Der Westen war in seine Werte verliebt, betrachtete den Rest der Welt als Barbaren, die entweder ausgerottet oder zumindest umerzogen werden mussten, falls man sie in Refugien tolerierte. Die Wertvorstellungen stammen, historisch betrachtet, aus dem arabischen Raum, konzentrierten sich im alten Griechenland, verbreiteten sich über Rom ins übrige Europa und wurden nach Übersee verschleppt. Mit einer gewissen Verzögerung setzte das biblisch orientierte Christentum, angeführt von einem Kriegsgott und einer Serie von besitztums- und machtgierigen Päpsten mit einem riesigen Unterdrückungsapparat, sozusagen noch einen drauf, salopp gesagt. Endlose Serien von Streitereien und Schlachten gegen anderweitig ausgerichtete Kulturen verwandelten die Weltgeschichte in einen Kriegs- und Räuberroman, dessen Spannung durch immer grausamere Vernichtungsmittel aufrecht erhalten wird – heute fliegen ferngesteuerte Mörderdrohnen umher. Die Amerikaner warfen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, verwüsteten mit übelsten Chemiegiften („Agent Orange“/Dioxin) das friedliche Vietnam und legten neuerdings auch den Irak in Schutt; allein die Zerstörung des Irak liessen sich die Amerikaner bisher 1 Billion USD kosten, die nun irgendwo zusammengestohlen werden müssen. Laut einem von www.heise.de (Florian Rötzer, 18.02.2011) publizierten Brief hat nun Bagdad Schadenersatz für die von den US-Truppen herbeigeführten Zerstörungen gefordert: Die US-Streitkräfte verwandelten diese schöne Stadt in ein Camp auf eine hässliche und destruktive Weise, die bewusste Ignoranz und Sorglosigkeit gegenüber den einfachsten Formen des öffentlichen Geschmacks zum Ausdruck bringen.“
 
Verfassungsgeschichte
Als Schweizer bin ich ein Zwangsmitglied dieser westlichen Kultur. Meinem Land kommt wegen seiner Mühe zur Anpassung und Unterwerfung zwar noch immer ein gewisser Sonderstatus zu, der allerdings wegen der Nachgiebigkeit eines schwachen Bundesrats zunehmend erodiert. Wir liessen uns trotz all des Unabhängigkeitsstrebens zu sehr in die „westliche Wertegemeinschaft“ einverleiben. Wir nahmen die Idee des Luzerners Paul Vital Ignaz Troxler auf, die er mit seiner Schrift „Die eine und wahre Eidgenossenschaft im Gegensatz zur Centralherrschaft und Kantonstümelei“ verbreitete, und schufen 1848 den Bundesstaat nach dem Vorbild der damaligen Vereinigten Staaten von Amerika, das mit Zöpfen, die als alt empfunden wurden, aufräumte und freie und zugleich gemeinschaftsfähige Menschen hervorbringen wollte. Die Idee war nicht schlecht. In der Schweiz darf sich das Resultat eher sehen lassen als im Vorbild US, wo daraus ein hegemonialer Nationalismus wurde und sich eine Arroganz entwickelte, die jedes Land auf dieser Erde, aufgeteilt in willige Freunde und unangepasste Böse, auf seine Weise zu spüren bekommt.
 
Dazu gibt es einen berühmten Satz von Dr. Barbara Zehnpfennig aus der FAZ vom 27.11.1997: „,E pluribus unum’, ,Aus vielem eines’ - so lautete das Motto, unter dem vor rund 200 Jahren die amerikanischen Staaten zur Union zusammenfanden, und dieses Motto ist programmatisch zu verstehen.“ Dieses Zitat ist gerade jetzt deshalb so berühmt geworden, weil es vom beliebten deutschen Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg 2007 für die Einleitung seiner Dissertation „Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“ beinahe unverändert übernommen wurde, ohne genügenden Quellenverweis. Offenbar wurde aus vielen Plagiaten eine einzige Doktorarbeit zusammengeschustert, auch eine Art von vereinheitlichender Globalisierung. Da ein Grossteil der westlichen Kultur und Denkweise ein US-Plagiat ist, oft auch ohne hinreichenden Quellenangabe übernommen, erschüttert mich das Guttenberg-Drama nicht besonders.
 
Wie der CDU-Poiltikstart, so hat auch das „Erfolgsmodell USA“ Schlagseite bekommen. Es lebt eigentlich nur noch von Uneinsichtigen und Mitläufern weiter, die aus Angst vor Strafaktionen in Gehorsamkeit verharren, wie Kinder, die Prügelstrafen aus dem Wege gehen möchten. Die US-Einmischungen dauern unvermindert an. Ruchlose Herrscher, die ihr Volk unterdrücken, werden unterstützt, wenn sie den US-Interessen gerade nützlich sind, und sogar der unrechtsmässige, völkerrechtswidrige Siedlungsbau von Israel im Westjordanland und in Ostjerusalem wird von den USA vordergründig verurteilt und hintergründig gefördert; eine Uno-Resolution gegen diese ständige Provokation der Araber wurde von den USA am 18.02.2011 blockiert – alle anderen Sicherheitsratmitglieder hätten zugestimmt. Und dann muss der Westen mit allen Tricks verhindern, dass sich die verständliche Wut der bestohlenen, eingepferchten Palästinenser gegen ihre rücksichtslosen Nachbarn nicht entladen kann.
 
Bildungsnation China
Im Windschatten von solch kriminellen Akten hat sich die Welt der Barbaren im asiatischen Raum beinahe unbemerkt zu Höhen- und Überflügen aufgeschwungen. Mir ist das am Dienstagabend, 15.02.2011, bewusst geworden, als ich am Schweizer Fernsehen der Diskussion im „Club“ zuschaute, die von Röbi Koller angenehm geleitet wurde. Alle Teilnehmer waren sich darüber einig, dass Chinas Schulsystem unser Bildungssystem in den Schatten stellt. Es ist nicht allein auf Drill fixiert und bringt nicht einfach Leistungsroboter hervor. Bildung und Kreativität zeitigen bereits wirtschaftliche Erfolge. Dem Schweizer Schulsystem würde es gut tun, chinesische Tugenden wie etwas mehr Strenge zu übernehmen.
 
Die Sendung war aus meiner Sicht aus einem einzelnen Beispiel heraus eine Anregung, um darüber nachzudenken, ob wir uns nicht von der falschen Seite inspirieren liessen. Wir begeilen uns an Bachelor- und Mastertiteln, und vor lauter Diskussionen über akademische Grade wurde die Bildung vergessen; besonders katastrophal ist es mit der Allgemeinbildung in den USA. Die Publizistin Susan Jacoby ortete dort einen „Kult der Blödheit“. Und „kann eine Nation politische und wirtschaftliche Vorherrschaft behalten, wenn sich die Bürger weigern, erwachsen zu werden?“, fragte Professor Mark Bauerlein (Emory-Universität Atlanta) in seinem Buch „The Dumbest Generation“.
 
Einsichten nach dem US-Propaganda-Trommelfeuer
Natürlich können wir nicht zu Chinesen oder zu anderen erfolgreichen Asiaten werden, aber wir hätten wohl gut daran getan, auch gewisse Versatzstücke aus dem Morgenland zu übernehmen statt wie die Idioten blindlings alles gut zu finden, was aus Amerika an Degenerationserscheinungen beispielsweise über die verblödenden Hollywood-Filme und nationalistischen TV-Sendungen zu uns kam. Wir wurden und waren falsch informiert und darauf abgerichtet, die egoistischen USA zu verherrlichen und insbesondere China als Inbegriff der Unfreiheit, der Unterdrückung und des Versagertums zu empfinden. Wir fielen auf das US-Propaganda-Trommelfeuer herein, wurden aus allen Kanälen mit US-Kulturschrott traktiert, bis wir glaubten, in anderen Ländern gebe eine keine Musiker, keine talentierten Sänger, keine Kulturschaffende von Belang.
 
Die asiatischen Religionen halten jeden Vergleich mit den Bibelreligionen aus, besonders was die Friedfertigkeit und das Bemühen, sich zu vervollkommnen, anbelangt. Dort geht es um Weisheit und nicht um das Glauben von abstrusen Vorstellungen, in denen die Gewalt jede Menge Platz hat.
 
Und so fällt uns plötzlich wie Schuppen von den Augen, dass China selbst in wirtschaftlichen Belangen wesentlich erfolgreicher als die USA ist – und zwar bis auf die private Ebene hinunter. Die an sich arme chinesische Bevölkerung verfügt über ein stattliches Sparvermögen, während die privaten Haushalte in den USA Schulden in der Höhe von mehreren Billionen USD aufgehäuft haben. Statt sich anzustrengen, huldigen die Amerikaner dem Slogan „Buy now, pay later“ (oder überhaupt nicht), und die Schulden wurden und werden auf die ganze Welt abgeschoben. Bei den solcherart US-geschädigten Nationen zeichnet sich eine Staatspleite nach der anderen gerade ab, und die gesamte Weltwirtschaft wird hinunter gerissen. Zudem ist der Staat China mit US-Staatsanleihen von fast 860 Milliarden Dollar der grösste Gläubiger der USA – die Vereinigten Staaten sind jetzt auch Chinas Goodwill angewiesen und schauen schon etwas jämmerlich aus der Wäsche. Und so etwas wie der zerfallende Dollar dient als Weltwährung – es ist, als ob man ein Hochhaus auf einen Unterbau aus Sägemehl bauen würde.
 
Das sind ja unsägliche Schwächezeichen einer ehemals aufgeblasenen Nation, die keinen Grund zum Stolzsein mehr hat. Viele Bundesstaaten sind pleite oder stehen kurz vor dem Bankrott – ihnen fehlen 125 Milliarden USD. Sie müssen Einschränkungen im sozialen Bereich hinnehmen. Menschen auf der Strasse schwenken US-Wimpel und Protestplakate, Vorläufer gravierender sozialer Unruhen.
 
Medizingeschichten
Von China hätte der Westen auch bei der Medizin lernen müssen. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) gibt es bei uns zwar als komplementärmedizinische Randerscheinung. Währenddem die westliche Symptombekämpfungs- und Ersatzteilmedizin den Menschen, vereinfacht gesagt, als Ansammlung von austauschbaren Bestandteilen versteht, beachten die Asiaten die Funktion der Energieflüsse in einem gesamtheitlichen, dynamisch strukturierten Organismus, der zudem in ein grösseres Umfeld eingebettet ist. Dadurch ergeben sich natürlich ganz andere präventive und therapeutische Ansätze. Unsere Hochschulmedizin führte in ein grosses finanzielles Desaster, ist von unerträglichen Nebenwirkungen begleitet, die ihrerseits behandelt werden müssen und einen Teufelskreis bewirken. Sie ist zwar in der Lage, das Leiden zu verlängern (höhere Lebenserwartung), die Lebensqualität aber wird schon früh schwer beeinträchtigt.
 
Die Schweizer haben selbst aus dem Appenzeller Beispiel nichts gelernt, wo die Naturheilkunde trotz aller Attacken noch am besten verankert ist, wo die Menschen am gesündesten und die Krankheitskosten am niedrigsten sind. Die Innerrhödler (Eingeborene des Ostschweizer Halbkantons Appenzell Innerrhoden) haben zudem prozentual am meisten Wehrdiensttaugliche. Stattdessen feiern wir Doofen gern amerikanische Medizinerfolge – die Behandlungskosten sind dort am grössten und die Behandlungen sind besonders ineffizient. Das heute so beliebte künstliche Koma, in das man Patienten verschickt, hat eine neue Bedeutung: Der American Dream funktioniere nur noch im Schlaf, liest man heute.
 
Die Serie der Beispiele könnte endlos fortgesetzt werden: Man vergleiche einmal die amerikanische Fast-Food-Küche mit der chinesischen – was nicht heisst, dass man gleich alle aussterbenden Tierarten auffressen muss. Man denke ans US-Genfood und ans Hormonfleisch, das selbst Menschen zu Fleischbergen macht. In Asien ist die Nahrung vielerorts, vor allem in Ländern mit harten Klimabedingungen, knapp – viele Menschen hungern; das ist die andere Seite. Das motiviert sie allerdings, bescheidener zu werden, harter zu arbeiten, sich besser auszubilden und die Anforderungen eines verantwortungsbewussten Lebens ernster zu nehmen. Wenn man sich schon inspirieren lassen will, muss das mit Bedacht getan werden, aber sicher darf man nicht nur in eine einzige Richtung blicken.
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Schurken und Narren sind beliebte Vorbilder und pflanzen sich fort, vermehren sich über Gebühr – vielleicht weil sie mehr auffallen, mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und dann lassen sie sich alle vom Mainstream erfassen. Es geht bachab.
 
Und oben bleiben die Barbaren.
 
Hinweis auf weitere Blogs zum Thema Globalisierung
 
Literatur zum Thema
Hess, Walter: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ (ISBN 3-9523015-0-7), Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005.
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