BLOG vom: 26.02.2011
Abschied von Elsie Taugwalder: Umarmung an jedem Morgen
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
„Der Körper rollt
die Segel auf
und die Seele
strömt in Dich,
treibt unbekannten
Ufern zu.“
Hannes Taugwalder (1910‒2007)
*
Hin und wieder erstarrt der Blick auf die Todesanzeigen-Seite der Regionalzeitung:
„Elsie Taugwalder-Hochuli (15.02.1924‒19.02.2011). Sie konnte nach kurzer, schwerer Krankheit friedlich daheim sterben. Ihre Liebe, Klugheit und Grossherzigkeit wird uns fehlen.“
Wie ist das möglich? Ein Blitz aus heiterem Himmel. Letztes Jahr hatte ich mit Elsie noch einem regen E-Mail-Kontakt. Am 11.05.2010 schrieb sie mir diesen Brief, ein Dokument ihrer ungebrochenen Vitalität: „Wieder einmal habe ich Walliser Luft geschnuppert und bin mit lieben Menschen zusammengekommen. Im Kollegium wurden die Preise des jeweiligen Schreibwettbewerbes vergeben. Erstaunlich, wie heute Junge schreiben!! Da waren ja die Aufsätze von uns ‒ damals Jungen ‒ Kindergartengeplauder.
Letzte Woche wurde eine CD vorgestellt, auch in Brig. Eine Unterwalliserin hat Gedichte von Hannes teils im Wallisertiitsch, teils auf Französisch vertont, begleitet von entweder Drehorgel oder Gitarre und Handharmonika. Sie hat eine gute Stimme für diese Chansons, die eine Verbindung zwischen dem Unter- und Ober- Wallis schaffen sollen. Dieses Ziel ist erstrebenswert!!“
Damals war das Buch „Arme Teufel sind wir alle ... Briefe von und an Robert Mächler über Gott und die Welt“ im Endspurt (Haupt-Verlag). Die Herausgeberin, Gabriele Röwer, führte Elsies Mann, den Schriftsteller Hannes Taugwalder, als eine der Bezugspersonen von Robert Mächler auf. Frau Röwer erwähnte die Auszeichnungen, die Hannes Taufgwalder erhielt, etwa den 1. Kulturpreis der „Vereinigung Kulturschaffender Zermatt“ (1987) und den Kulturpreis des Walliser Schriftstellerverbands (1996), die Ehrung durch die „Heinerich Wirri-Zunft zue Arau (Aarau) der Stadt“ usf. Und die Autorin Röwer würdigte Elsie treffend als „ihn (Hannes) tatkräftig unterstützende Frau“ und „namhafte Konsumentenschützerin“.
In diesem Zusammenhang fragte mich Elsie, die zum Buch einige Angaben beizusteuern hatte: „Würdest Du Hannes als ,Pazifisten’ bezeichnen? Eine Armee zur Verteidigung des eigenen Landes lehnte er nicht ab!“ Meine Antwort: „Laut Duden-Definition bedeutet Pazifismus: weltanschauliche Strömung, die jeden Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert. Da Hannes aber die CH-Verteidigungsarmee, die ja noch nie einen Angriffskrieg führte, akzeptiert hat, war er zweifellos kein lupenreiner Pazifist, sonst hätte er auch unsere Armee bekämpft. Ich würde folgende Charakterisierung vorschlagen: ,Er lehnte den Krieg aus tiefer Überzeugung ab, akzeptierte aber eine reine Verteidigungsarmee wie die schweizerische.’“
Ich erwähne dieses Beispiel, weil es einen Hinweis auf die kämpferische Ader des Ehepaars Taugwalder gibt. Hannes schrieb beispielsweise an den Papst, den US-Präsidenten George W. Bush und an die Schweizerische Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, sich möchten doch als Zeichen des Protests gegen die Irakkrieg-Vorbereitungen der USA am 12.03.2003 alle Glocken läuten lassen. Was natürlich nicht geschah.
Auch Elsie Taugwalder war eine Kämpferin, sie aber im Bereich des Konsumentenschutzes. Wenn sie erkannt hatte, dass die Konsumenten übers Ohr gehauen und irregeführt wurden, wenn Tiere litten und die Natur mit Füssen getreten wurde, gab es für sie kein Halten mehr. Elsie regte sich auch über die Verunstaltung des Naturprodukts Kuhmilch auf. Sie schrieb den betroffenen Produzenten, platzierte Artikel in Zeitungen, wehrte sich an Versammlungen. Ihr letzter diesbezüglicher Einsatz galt der respektlosen Entsorgung von ausrangierten Legehennen, die man ihrer Ansicht nach doch noch als schmackhafte Suppenhühner verwenden könnte. Ich habe sie aus Überzeugung mit meinem Blog vom 28.06.2009: „Wo die Moral versagt: Suppenhühner für die Biogasanlage“ unterstützt.
An vielen Raclette-Abenden in Taugwalders schönem Haus am Geissfluhweg 9 in CH-5000 Aarau, wo die beiden die kleinen Naturwunder im lebenserfüllten Garten exakt beobachteten und zum erbaulichen Gesprächsthema machten, habe ich Elsie auch von ihrer privaten Seite kennen gelernt. Auffallend waren ihre zugängliche und einfühlsame Art, ihr ausgesprochenes Interesse an allen Facetten des Lebens, das aus ihrer Mimik und totaler Aufmerksamkeit abzulesen war, und ihre persönliche Zurückhaltung, ja Bescheidenheit. In allem was sie tat, zeigte sich ihr Format, selbst wenn sie zur Vorspeise einen Carpaccio-Teller nach Walliser Art aus erlesenen Zutaten zusammenstellte. Und wenn man sie dafür loben wollte, wehrte sie heftig ab; das sei doch nicht der Rede wert.
Ich habe mich immer wieder über die herzliche Verbundenheit zweier eigenwilliger, starker Persönlichkeiten gefreut, die einander schätzten, achteten, liebten. Er nehme sein Elsie jeden Morgen beim Aufstehen in die Arme, sagte mir Hannes, und mit dieser einfachen und wirksamen Methode leitete er ihre gemeinsamen Tage ein, die von Harmonie erfüllt waren.
Die beiden Kämpfer-Naturen wussten um die Begrenztheit ihres Tuns und behielten ihren enormen Charme und ihre uneingeschränkte Liebenswürdigkeit. Beide schätzten Verschiedenartigkeiten als Bereicherung und fühlten sich in ihrer durch nichts zu erschütternden Zuneigung verbunden. Elsie folgt ihrem Hannes nun zur letzten Ruhe nach Zermatt. Sicher fehlten ihr die morgendlichen Umarmungen.
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