BLOG vom: 29.03.2011
Biberstein im Zeichen des Fusings von Gold, Glas und Leuten
Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
Würden alle die modernen Fusionen in den politischen und wirtschaftlichen Bereichen so wirkungsvolle Kreationen hervorbringen wie die uralte Glasverarbeitungstechnik, die fachsprachlich „Fusing“ heisst, dürfte man sich uneingeschränkt freuen. Kunstschaffende, die ihre Werke vom 25. bis 27.03.2011 im Schloss Biberstein AG ausstellten, brachten genau dies zustande. Sie hatten nicht allein verschiedene Glasstücke zusammengeschmolzen, sondern vereinigten auch Gold, Glas, den Kunststoff PET, Platin sowie einen graubraunen Rohdiamanten einerseits und übereinander gelegte Fotos anderseits zu neuen, aussagekräftigen, berührenden Werken.
Die Kulturkommission Biberstein hatte die folgenden Künstler zur thematischen Ausstellung „Gold und Glas“ eingeladen:
• Annemarie Gygax, Biberstein, Schmuck-Designerin, die viele anerkannte Wettbewerbe gewonnen hat. Sie sprüht vor Fantasie, was schon bei der Materialwahl beginnt. So wurden beispielsweise edle Metalle wie Gold und Platin mit dem alltäglichen Kunststoff Polyethylenterephthalat (PET) und einem Diamanten zum „Men-Ding“ – also zu einem Männerschmuck, vereinigt: eine Art Blüte, die aus der Jeanshosentasche quillt und vielleicht ein Fruchtbarkeitsmerkmal ist. Die Verbindung solcher Materialien mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften ist eine kunsthandwerkliche Herausforderung.
• Ähnliches ist über die Werke aus dem Atelier von Regi (Regula) Vonrüti in Münchwilen TG zu sagen. Sie hat ein Flair fürs Grosszügige, fast schon Monumentale und arbeitet mit 650 bis 1400 Grad C heissem Glas, in das alle möglichen farb- und strukturgebenden Materialien eingeschmolzen und verschmolzen sind. Im Eingangsbereich des Schlosses stand die von ihr geschaffene, angeblich grösste Glasvase der Welt: 1,1 m hoch und 80 kg schwer. Sie erinnert an einen sich nach unten verjüngenden, gedrehten Vorhang mit lockeren Wölbungen und ist mit erfrischenden Farbelementen belebt. Für solche imposante Stücke bedarf es eines überdimensionierten Brennofens und eine oft Monate dauernde Zeit für die Abkühlung, um Spannungsrisse zu vermeiden, was auf die hochstehende Technik hindeuten mag.
• Aus dem benachbarten Rombach stellte Priska Jacobs aus, die mit Studioglas umzugehen weiss und ihm lebendige Aussagen einhaucht. Die tiefsinnige Glaskünstlerin zeigte oft zu Gruppen kombinierte Glasfiguren – Mitläufer und Einzelgänger, Streber, Sieger und Denker. Die Plastik „Time to Think" (Zeit zum Nachdenken) besteht aus einer milchig-weissen Menschengruppe, die in geordneter Formation eine Treppe empor steigt. Ein blaues Männchen sitzt am Treppenrand und denkt wohl über Sinn und Unsinn der Aufwärtswanderung auf der Karrierenleiter nach. Der in Biberstein wohnende KKW- und Brückentechniker Manfred Hesse liess angesichts dieses Werks seiner lyrischen Begabung freien Lauf:
Gläserne Stufen
Auf Stufen nach oben,
Nicht ermatten,
Doch monoton,
Einer hält an,
Zeit zum Denken,
Vergangene Schatten,
Freiheit und Musse
Als Lohn.
• Und zum Thema Fusing bzw. Fusion passen die grossen Fotofusing Werke des Rombacher Arzts Beat Haldemann ausgezeichnet. Er verschmilzt 2 Fotos, zum Beispiel eine spiralförmige Vase und ein Baumskelett, das heisst die digitalen Bilder werden übereinander gelegt und die Flächen mit Farben gestaltet, so dass vollkommen neue Eindrücke und Botschaften resultieren. Ungleiche Dinge lassen einander stehen oder gehen ineinander auf, stützen sich gegenseitig oder schaffen neue Räume – eine Vielfalt mit Bezug zum Ganzen. Im erwähnten Fall werden die digital fotografierte Spirale der Vase – eine Urform der Natur – und der Baum symbiotisch zu einem dreidimensional wirkenden Ort der Kraft. Dann wird das Werk mit einem Plotter auf ein lichtbeständiges, auf eine Aluplatte aufgezogenes Spezialpapier ausgedruckt, das zudem mit einer Kunststofffolie überzogen ist. Die Werke sind frisch, leuchtend, voller meditativer Anregungen und wie einer farblich explodierenden Naturgewalt entsprungen, so dass man sie alle gern aufhängen würde.
An der gut besuchten Vernissage, die von der Basler Harfenistin Carina Walter umrahmt wurde, sprach Wolfgang Schulze, der Präsident der Bibersteiner Kulturkommission, die einführenden Worte: Kunst mache sichtbar, sagte er mit Bezug zu Paul Klee. Totem Material werde eine Seele eingehaucht – ein Schöpfungsprozess, zu dem der Mensch seit Urzeiten befähigt sei, sprach der ehemalige reformierte Pfarrer. Dabei zähle das Gold zu den begehrtesten Materialen – es ist Bestandteil vieler Exponate im Schloss. Aber erst bei seiner Gestaltung bekomme es seinen Glanz, und besonders durch die Fusion mit anderen Materialien werde es zur Kunst.
Auch das Glas hat als Werkstoff eine jahrtausendealte Tradition; schon vor 3600 Jahren war es in Ugarit (heute Syrien) bekannt, und nach wie vor fasziniert es durch seine Klarheit, seine Leuchtkraft, sein Spiel mit dem Licht. Selbst die Glasfusing genannte Verarbeitungstechnik ist alt, war schon den alten Ägyptern bekannt. Dahinter verbergen sich das Schmelzen und das Formen, wobei beim Zusammenschmelzen von Glasstücken die Kompatibilität der verwendeten, verschiedenartigen Gläser ein Erschwernis ist – Spannungsunterschiede können beim sogenannten Fulllfuse-Brand zum Bruch führen, und dann muss das Glas entsorgt werden. Damit alles gut geht, darf das Glas zuerst nur erweicht werden; der 2. Brand dient der Formgebung, und dann kommt die breite Palette der Fusinggläser zum Zug, von denen einzelne mit Gold und Silber irisierend bedampft sind und dem Künstler einen riesigen Auslauf offen lassen.
Kunst sei Experimentieren, eine Auseinandersetzung mit dem Material, sagte Wolfgang Schulze noch. Und Kunst führt zu angeregten Gesprächen, wie dem beizufügen ist. Die Ausstellung im Schloss Biberstein war an jenem Wochenende ein Brennpunkt des Austausches von Gedanken ... beispielsweise über Fusionen und Spannungszustände. Und da war nichts, das in Brüche ging. Im Gegenteil: Neue Bekanntschaften wurden geknüpft – eine zusätzliche und nicht minder sympathische Fusing-Variante.
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