Textatelier
BLOG vom: 11.04.2011

Wer inszeniert und manipuliert denn die Politik der Strasse?

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
In einer geordneten Demokratie, die den Namen verdient, sind die Möglichkeiten zur erwünschten Mitwirkung der Bevölkerung genau festgelegt, herausgewachsen aus Volksentscheiden. Dazu bedarf es eines jahrzehnte-, ja jahrhundertelangen Reifungsprozesses, der sich ständig vervollkommnen sollte. Demokratien, die halten, was der Name verspricht, die Volksherrschaft nämlich, sind Raritäten. In der Regel hat man es nicht mit direkten, sondern mit repräsentativen Demokratien zu tun: Das Volk darf seine Vertreter wählen, hat dann aber nichts mehr zu sagen. Natürlich agieren die Politiker nicht im luftleeren Raum, sondern sie lassen sich einerseits von Lobbyisten und anderseits von der vorherrschenden Volksmeinung beeinflussen – je näher die Neu- beziehungsweise Wiederwahlen ins Haus stehen, desto mehr. Wahlvorbereitungen sind ihnen wichtiger als Sachpolitik im Interesse des Ganzen. Der US-amerikanische Popstar-Präsident Barack Obama hat schon anderthalb Jahre im Voraus seine Wiederwahl eingeläutet, und er hofft, dass er 1 Milliarde (in Zahlen: 1 000 000 000) USD an korrumpierenden Spenden- und Schutzgeldern einkassieren wird, um den pompösesten Wahlkampf in der US-Geschichte geniessen zu können. Dass er auch durch eine konsequente, ehrliche Friedenspolitik und die Einhaltung der Versprechen, die er vor seiner Erstwahl lauthals zum Besten gegeben hat, zum Ziele kommen könnte, übersieht er. Selbstredend handelte es sich nur um hohle Sprüche, um Plattitüden, denen mit dem besten Willen keine entsprechenden Taten folgen können.
 
Wer zieht die Fäden?
Je mehr die Menschen mit tatkräftiger, mainstreamiger medialer Mithilfe an der Nase herumgeführt werden und das, was von den Machthabern angerichtet wird, über Sozialabbau und höhere Steuerbelastungen zu bezahlen haben, desto deutlicher tritt eine „Politik der Strasse“ in Erscheinung, manchmal friedlich, und dann wiederum artet sie zu kriegsähnlichen Schlachten aus. Polizeitruppen müssen aufgerüstet werden, und das Militär wird zunehmend ebenfalls für den Einsatz im Landesinneren vorbereitet. Es geht um den zivilen Widerstand, mit anderen Worten um Abschreckungs- und Widerstandsmöglichkeiten der Zivilisten, deren Drahtzieher und Hintergründe nie genau zu durchschauen sind: Ist ein Widerstand aus dem Volk herausgewachsen, oder aber wurde er durch fremde Agenten in Szene gesetzt, die im Auftrag ausländischer Regierungen der Durchsetzung von deren aussenpolitischen Zielen (wie die Beherrschung rohstoffreicher Länder) dienen? Wer hat zum Beispiel veranlasst, dass in Nordafrika und im Nahen Osten die Diktatoren wie Dominosteine fallen? Schade ist es nicht um sie, doch wäre es schon interessant, zu erfahren, wer die Strippenzieher sind, die sich die Unzufriedenheit der geplünderten Massen zunutze machen. In Libyen war die soziale Lage nicht besonders schlecht, im Gegenteil. Al-Gaddafi widersetzte sich dem westlichen Imperialismus, schloss dessen Militärbasen und wurde untragbar. Das Hofieren durch westliche Machthaber zeigte zwar Erfolge beim Zugang zu Rohstoffen, kam aber an Grenzen, weil auch China überall in Afrika mitzuspielen begann. In allen beunruhigten Staaten geht es darum, pro-westliche Zustände zu schaffen, die Staaten in den Neoliberalismus einzubinden und aus den globalisierten Machtzentralen zu lenken und im gleichen Atemzug den unverkennbaren Einfluss des immer mächtigeren China zurückzubinden. Imperialismus nennt man das – die Ausdehnung von Einfluss und Macht auf andere Länder, die als lohnende Beute erkannt wurden. Das beschönigende Wort dafür ist heute Globalisierung. US-Streitkräfte sind über die ganze Welt verbreitet.
 
Pleitestaaten
Ist es ein Kampf für Freiheit und Demokratie, was sich in der arabischen Welt abspielt, und wenn ja: für welche Art von Freiheit und für welche Art von Demokratie? Nein, es geht den USA und ihren Adlaten um eine unbedingte Öffnung für westliche Werte, auch wenn diese noch so fragwürdig sind und den Keim der Zerstörung in sich tragen, wie ein Blick auf die jüngste Geschichte der Finanzmärkte lehrt. Die Einbindung in den Westen lassen sich Amerika und seine Verbündeten mit von ihnen finanzierten Beratern und Aufwieglern etwas kosten, auch wenn sich viele Länder von Griechenland über Irland bis Portugal bereits in den Ruin hineinpolitisiert haben und durch EU-Gelder (die es eigentlich nicht mehr gibt) daran gehindert werden müssen, ebenfalls einen Dominoeffekt zu erleiden. Durch solche Staatspleiten und den Verstoss durch die sogenannte No-bail-out-Regel (kein EU-Land darf einem anderen helfen) wird das EU-Fehlkonstrukt selber ruiniert. Da die Idee von der Leistungsgemeinschaft nicht funktionierte, wird sie zur Pleitegemeinschaft.
 
Anleitung zum Aufstand
Die unzufriedenen Massen werden, wie damals in Serbien, von Agenten der Weltmächte in Aufstandstaktiken und der Unterminierung von diktatorischen Regimen ausgebildet. In den Schriften von Gene Sharp wie The Politics of Nonviolent Action (1973) kann man nachlesen, wie Volksputsche aus der Retorte gezaubert werden können. Vor allem die vermassten Jugendlichen mit ihrem leicht auch ins Gegenteil verkehrbaren Hang zur Heldenverehrung – der Knabe Justin Bieber (17), der Chicken Nuggets von McDonald’s und Süsses wie Traubenzucker liebt, bringt die Teenies bis zur Schmerzgrenze und zum Rippenbruch zum Kreischen, wenn er „Love me“ singt – lassen sich leicht dirigieren. Die modernen Kommunikationsmittel wie Twitter und Facebook sind dabei effiziente Hilfsmittel.
 
Die Unzufriedenen werden darin unterwiesen, wie man die Angst vor staatlicher Gewalt verliert, müssen dann aber ihren eigenen Kopf hinhalten. Die Westmedien werden eingespannt, lassen unisono und wie von Geisterhand geführt gehätschelte Freunde von einem Tag auf den anderen zu grausamen Feinden werden. Sie bereiten die aufrührerische Stimmung vor, auch wenn sie bis anhin die Zusammenarbeit mit den Neu-Bösen, als diese noch Alt-Gute waren, mit Lobeshymnen bedacht haben. Flexibilität über alles! Am Schluss wird das militärische Eingreifen als Befreiungsschlag und Nothilfe empfunden, untermauert von humanitärem Gerede. Und wiederum haben die Völker Opfer und Verluste zu tragen. In Ägypten wurde die Mubarak-Diktatur durch eine Militärdiktatur ersetzt.
 
Destabilisiertes Afrika
Soeben habe ich wieder einmal im 2008 geschriebenen Buch „Barack Obama. Wie ein US-Präsident gemacht wird“ von Webster Griffin Tarpley (Kopp Verlag), US-Historiker und Geheimdienstfachmann, gelesen, dass Obamas Vordenker und graue Eminenz Zbigniew Brzezinski schon vor der Obama-Wahl auf eine Destabilisierung und ein Chaos in Afrika unter Aufsicht des neuen Afrika-Kommandos der USA (AFRICOM, als jüngstes Regionalkommando der US-Streitkräfte 2007 eingerichtet) hinwirkte. Die US-Politik ziele darauf ab, die Chinesen aus Afrika zu vertreiben. In der Washington Post vom 30.11.2007 kündigte Brzezinski an, die Chinesen vom Nachschub von Öl, anderen Energiequellen und Rohstoffen auf dem afrikanischen Kontinent abzuschneiden.
 
Die „Neue Zürcher Zeitung“ vom 31.03.2011 stellte unter dem Titel „Chinesische Unternehmen packen in Afrika an“ fest, die chinesische Industrialisierung des afrikanischen Kontinents komme auf leisen Sohlen: Im Zuge der exponentiell wachsenden Handelsbeziehungen zwischen China und Afrika – von 10 Mrd. $ im Jahr 2000 auf derzeit 110 Mrd. $ – sind im vergangenen Jahrzehnt auch Chinas Investitionen in Afrika überproportional angestiegen. Die entsprechenden jährlichen Direktinvestitionen verdoppelten sich laut ,BRIC and Africa’, einer Monatspublikation der südafrikanischen Standard Bank, allein zwischen 2006 und 2009.“ Und während die Nato ihre Bomben in Nordafrika entsorgt, bemüht sich China gerade, sich über den Kauf des kanadischen Bergbaukonzerns Equinox Zugang zu Kupferminen in Sambia zu verschaffen. Der Ausbau der strategischen Partnerschaft China/Afrika geschieht auf friedlichem Wege, nicht unter einem Bombenhagel. Das Resultat ist ähnlich.
 
Konolialismus in Neuauflage
Mit diesen Ausführungen möchte ich nicht den Eindruck erwecken, bei den Agitationen und den Nato-Bombardierungen mit radioaktiv strahlender Munition vorerst in Libyen gehe es nur um ein Zurückbinden des China-Einflusses. Diese militärischen Eingriffe sind vielmehr eine Randerscheinung beim Bemühen um einen leichteren Zugang zu afrikanischen Rohstoffen und damit um eine neue Form von ausbeuterischem Kolonialismus, mit dem die afrikanischen Strukturen schon einmal zerstört wurden. Der Kontinent wurde damals neu aufgeteilt, in Interessengebiete zerstückelt – und davon und von der Sklaverei hat sich Afrika bis heute nicht erholt. Schon zu jenen Zeiten gab es Massaker an der angestammten Bevölkerung – Hinweise auf eine verrückte, nekrophile Welt. Die Langzeitfolgen sind unter anderem an den Geschehnissen in Ruanda oder im Kongo abzulesen. Despoten wurden vom Westen an die Macht gebracht und verteidigt, so lange sie ihm zu Diensten standen. Wenn sie in Ungnade fallen, werden sie via Volksaufstände durch pseudo-demokratische Marionettenregime ersetzt.
 
Wir wissen nicht genau, worauf das basiert, was sich jetzt im Süden und Osten des Mittelmeers jetzt abspielt. Die Wahrheit ist oft so unerträglich, dass man sie am Besten verschweigt. Gleichwohl ist es angezeigt, die Geschehnisse mit kritischem Geist zu verfolgen und nach den Beweggründen zu fragen. Im Wissen, dass uns als Täter oder Mitläufer zufallen wird, was fällig ist.
 
Quellen
Tarply, Griffin: „Barack Obama. Wie ein US-Präsident gemacht wird“, Kopp-Verlag, Rottenburg D 2009.
 
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