BLOG vom: 19.06.2011
Brüssler Torte: Das Rezept auf dem 5-Millionen-Mark-Schein
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
Kürzlich besuchte ich den 90-jährigen Clemens Fabrizio in seinem Domizil in Schopfheim D. Anlass war die Publikation seiner Lebensgeschichte „Zwischen zwei Stühlen“. Darüber werde ich demnächst berichten.
Während unseres Gesprächs kamen wir auf Rezepte und auf meine Backlust zu sprechen. Das Thema wurde deshalb angeschnitten, weil mein Gesprächspartner eine Sammlung älterer Kochbücher und einige besondere Rezepte hat. Was mein Interesse besonders erweckte, war ein Rezept der „Brüssler Torte“ von seiner Schwiegermutter Frida Schöni. In dem handgeschriebenen Koch- und Rezeptbuch entdeckte Fabrizio einen Notgeldschein vom 20.08.1923 (Datum der Unterschrift!) in Höhe von 5 Millionen Mark. Diese Reichsbanknote wurde vom Reichsbankdirektorium unterschrieben. Der Text lautete: „5 Millionen Mark zahlt die Reichsbankhauptkasse in Berlin gegen diese Banknote dem Einlieferer. Vom 01.10.1923 ab kann diese Banknote aufgerufen und unter Umtausch gegen andere gesetzliche Zahlungsmittel eingezogen werden.“
Das Rezept- und Kochheft stammt aus dem Jahre 1896. Die spätere Schwiegermutter von Fabrizio war bei der Niederschrift 16 Jahre alt und besuchte die Kochschule von Schopfheim, die in der damaligen Realschule ihre Unterrichtsräume hatte.
Sie werden es kaum glauben: Auf der Rückseite des Reliktes aus der Inflationszeit war das Rezept der Brüssler Torte in deutscher Langschrift mit Bleistift aufgeschrieben.
Die Deutsche Inflation von 1914−1923 (nach Kriegsende hatte die Mark schon die Hälfte ihres Wertes verloren) war laut Wikipedia die radikalste Geldentwertung, die eine grosse Industrienation erlebt hat. Von 1922−1923 gab es die Hyperinflation. Diese wurde im November 1923 durch die Einführung der Rentenmark beendet.
Wie Clemens Fabrizio betonte, hat er das Rezept einer „Brüssler Torte“ in keinem seiner Kochbücher gefunden. Die „Brüssler Torte“ war auch bei der Dr. Oetker Versuchsküche in Bielefeld unbekannt. Ich erhielt jedoch ein ganz anderes Rezept zugesandt, nämlich das von einer „Brüssler-Beerentorte“. Die hatte andere Zutaten und sah auf einem Foto ganz anders aus.
Ich schrieb deshalb an die Versuchsküche, weil in dem Rezept das Backpulver von Dr. Oetker aufgeführt war.
Hier das Rezept für alle backwilligen Leserinnen und Leser. Das Rezept wurde von mir etwas variiert.
Rezept „Brüssler Torte“
Zutaten: 3 Eier, 400−450 g Mehl, 250 g Butter, 1 Päckchen Dr. Oetker Backpulver
Zutat für die Füllung: 500 g Himbeermarmelade
Zubereitung: Alles zu einem Teig in einer Schüssel verarbeiten. Laut Originalrezept wurden nur 250 g Mehl notiert; der Teig war jedoch zu weich, deshalb fügte ich nach und nach weiteres Mehl hinzu (total 400−450 g), bis der Teig sich vom Boden der Schüssel löste. 1 Stunde ruhen lassen, dann wird der Teig gedrittelt. 2/3 kommen in eine Kuchenform (26 cm im Durchmesser). Der Teig wird mit den Händen flach gedrückt und am Rand der Form etwas hochgezogen. Man kann den Teig auch auswellen, das ist jedoch schwierig, weil der weiche Teig brechen kann.
Auf dem Teig wird dann die Himbeermarmelade gleichmässig verteilt.
Das restliche Drittel des Teigs wird ausgewellt und in Streifen geschnitten. Die Streifen kommen dann in Gitterform auf den Kuchen. Die Gitterchen werden zum Schluss mit Eigelb bestrichen.
Backzeit: Etwa 45−60 Minuten bei 180 °C.
Guten Appetit!
Anmerkung: Die „Brüssler Torte“ schmeckte allen Probanden gut. Clemens Fabrizio lobte sie in den höchsten Tönen. Einige meiner Verkoster schätzten jedoch die von mir schon mehrmals produzierte Linzer Torte mehr.
Internet
http://de.wikipedia.org (Stichwörter „Inflation 1923“)
www.rezeptbuechlein.de („Kuchen" anklicken, dann „Brüsseler Torte". Diese ist nicht mit der im Blog beschriebenen identisch.)
Literatur
Fabrizio, Clemens: „Zwischen zwei Stühlen“, Druckerei Uehlin Schopfheim, Eigenverlag 2011.
Faissner, Waltraud: „Linzerische Torten auf andere Art“, Österreichisches Landesmuseum, Linz 2010.
Weiss, Rita Theresia: „Wiener Küche“, Eigenverlag, Wien (ohne Jahrszahlangabe).
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