BLOG vom: 28.07.2011
Ein paar Kostproben aus dem Kanton Freiburg: Moitié-Moitié
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Zwischen Rossens und Marly (beide im freiburgischen Saane-Bezirk) schlängelt sich die Saane (französisch Sarine) besonders eindrücklich durch das Molassehügelland, oft von fast senkrechten, bis 100 Meter hohen Sandsteinfelsen in ihrem Drang zu Kapriolen in Schranken gewiesen. Dieses Gebiet unmittelbar südlich von Freiburg/Fribourg war mir bisher unbekannt, und ich freute mich auf diese Neuentdeckung, für die ich mir den 22.07.2011 reserviert hatte, einen Tag mit wechselhaftem Wetter in allen Variationen zwischen Sonnenschein und scharf umrissenen, weissen und manchmal grauen Cumuluswolken, die sich über dem grünen Hügelland, in das saubere Dörfer eingebettet sind, auftürmten und stossweise entleerten.
Start bei Tuffstein
Als Ausgangspunkt wählte ich La Tuffière (610 m ü. M.) zwischen Arconciel und Posieux, das von vielen Steinbrüchen umgeben ist. Dort arbeitete einst eine Mühle. Eine alte Eisenbrücke, der Pont de La Tuffière, existiert seit 1835. Sie verbindet die Gemeinde Corpataux/Magnedens, auf deren Gebiet die Brücke steht, und Arconciel. Der Tuffsteinbruch, der bist 1950 ausgebeutet wurde, gab dem Weiler den Namen.
An Parkplätzen besteht keinerlei Mangel. Gleich neben dem Parkplatz ist ein Wanderwegweiser, der einen Rundweg nach Hautervie (2 Std. 15 Min.) anzeigt. Ich überquerte die Saane und erhielt auf der Brücke einen Eindruck von den bescheidenen Dimensionen des tief in den Sandstein eingeschnittenen Gewässers, das von einem üppigen Saum aus Bäumen und Sträuchern begleitet wird. Vorerst kümmerte ich mich nicht um den Chemin de randonée pédestre (Wanderweg), sondern bog nach wenigen Metern von der Route de la Tuffière nach links (Westen) ab, gegen den Hof La Cua. Ich hoffte, so zum Fluss zu kommen und ihm folgen zu können. Der stattliche, 3-stöckige, gemauerte Hof mit dem Satteldach und der nach oben führenden Einfahrt zum hölzernen Wirtschaftsgebäude mit einer quergestellten, angebauten Scheune ist offenbar durch die Zucht von Holstein-Bullen berühmt, wie viele an die Holzfassade genagelte Auszeichnungen belegen. Ein ebenfalls an der Aussenwand angebrachtes Bild im Stil der Appenzeller Bauernmalerei veranschaulicht einen Alpaufzug von Schwarzfleck- bzw. Holsteinvieh, 2 spitzigen Bergen entgegen. Schwarz und Weiss sind die Farben des Kantons und des Freiburger Kantonswappens.
Bei einem Freilaufstall genossen die Kühe die frische Luft und eine Bürstenmassage. Statt des Kuhreihens („Ranz des Vaches“) mit seinem „Liôba, liôba“, von Sennen (allerdings solchen aus dem im Greyerzerland) gesungen, eilte mir in getragenem Laufschritt ein kräftiger Berner Sennenhund von stattlicher Grösse und langem gewelltem Haar entgegen. Das Fell glänzte neben etwas Rostrot ebenfalls in den unbunten Freiburger Farben, Zeichen von Noblesse. Er nahm seine Funktion als zuverlässiger Wachhund wahr und bellte mich mit sonorer Bassstimme an, schaute aber eher gutmütig unter den mandelförmigen Lidöffnungen hervor. Um keine Zeichen von Angst von mir zu geben, ging ich auf ihn zu, beruhigte ihn, sagte, er solle sich doch nicht unnötig aufregen. Ich hatte aber gerade vergessen, dass man hier auch zu Tieren französisch sprechen musste. Im 2. Stock des Bauernhauses öffnete sich ein Fenster, und ein jüngerer Bauer rief: „Viens!“ (Komm!) – der Hund verstand diese flektierte Form von venir, liess von mir ab, im Wissen, dass er seine Aufgabe grandios erfüllt hatte.
In diesem Moment setzte ein kurzer Gewitterregen ein, und ich nutzte die Gelegenheit, unter dem Scheunenvordach etwas Schutz zu suchen und meine Landeskarte 1:25 000 „Rossens“ (Blatt/Feuille 1205) zu studieren, die aus dem Jahr 1955 stammt. Auf ihr verlieren sich die Wege im Sarine-Bereich. Das könnte sich seither geändert haben, dachte ich, und ging weiter, in nördlicher Richtung einem Maisfeld folgend, der Saane entgegen. Ich kam erwartungsgemäss in einen Wald. Der Weg drehte nach Osten, folgte dem Flusslauf in mehr als Sichtdistanz. Rheumatiker könnten hier Heilung finden, weil die Brennnesseln die Unterschenkel traktieren, falls man kurze Hosen trägt. Immer mehr Stauden bemächtigten sich des Wegs, und der Fluss, den ich eigentlich erreichen wollte, rauschte irgendwo still vor sich hin. Kein Trampelpfad-Trampler und kein Wegbauer hatten sich in den letzten 5 Jahrzehnten hierhin verirrt. Reumütig machte ich Rechtsumkehrt, wanderte zurück. Der Sennenhund hatte sich an mich gewöhnt und kam für einen kurzen Abschiedsgruss vorbei. Wau.
Diesmal folgte ich den Wanderwegweisern unterwürfig, die wenig oberhalb der La-Tuffièrer-Brücke in den Wald zeigten. Dessen Name Bois d’Avaux geht möglicherweise auf französische Einflüsse zurück, die nicht nur das Geistesleben betrafen. Vorbei an einer Beige vermoderter Baumstämme (man kann also ganze Stämme kompostieren) führte ein landesüblicher Waldweg, der gelegentlich scheinbar willkürlich abdrehte, ziellos, und der dann die Hauptrichtung Nord wieder fand – ohne Flusskontakt. Ich mag etwas länger als eine halbe Stunde gewandert sein, als ich den Entschluss fasste, zum Auto in La Tuffière zurückzukehren und linksufrig nach Posieux (heute zur Gemeinde Hauterive gehörend) zu fahren.
Posieux
Genau als ich das Strassendorf Posieux zwischen Glâne und Saane über dem felsigen Abfall zum Saanegraben erreichte, setzte wieder Regen ein. Hier war in grauer Vorzeit eine der vielen hallstattzeitlichen Handelsstationen zwischen Nordsee und Mittelmeer, worauf die archäologischen Fundstätte Chatillon mit ihren uralten Scherben hinwies. Mir war die Gegenwart wichtiger, selbst wichtiger noch als die Herz-Jesu-Kapelle auf dem Hügel von Sapex – die Gegenwart zum Beispiel in Gestalt des Restaurants „La Croix Blanche“. Der mittägliche Hunger hatte sich angemeldet. Ich begab mich in die Brasserie des Weissen Kreuzes, wo grosse Kupferbehälter ehrend der Brauerei gedachten. An einem Nebentisch knobelte ein älterer Man an einem Kreuzworträtsel herum, und ein weiterer männlicher Gast im reiferen Pensionsalter studierte die Zeitung „La Liberté“. Er erfuhr, wie schlecht es um die griechische Freiheit bestellt war, wurde doch das Land, wo sicher gerade die Sonne schien, mit weiteren Milliarden-Versprechen noch spürbarer unter die EU-Fuchtel gestellt. Die Schlagzeile lautete: „La zone euro accouche dans la douleur d'un accord sur la Grèce“ – da war also in der Euro-Zone in Schmerzen eine Einigung über den Pleitestaat Griechenland geboren worden – auf Französisch tönt das halt schon angenehmer. Dennoch wird der Schmerz noch während Jahren, wahrscheinlich Jahrzehnten, anhalten. Auf Seite 3 wurde nachgedoppelt: Griechenland sei vor dem Ertrinken gerettet worden („La Grèce suvée de la noyade“). Die Weltuntergangsstimmung konnte entfliegen.
Ein fröhlicher, grossgewachsener, junger Kellner brachte mir die Speisekarte, und ich wählte in einer Phase von finanzpolitischer Zerstreutheit Poulet-Cordon bleu (mit Greyerzer Käse und Schinken gefüllt und von einer festen Paniermehl-Panade umgeben), Pommes frites und Blumenkohl, dessen Blütensprossen in der letzten Phase des Zusammenhalts waren, unmittelbare Zerfallszeichen auch hier. Ich hatte gerade vergessen, dass ich eindeutig nicht der Cordon-Bleu-Typ bin, denn ich esse solche Zutaten lieber getrennt, weil ich sonst an den Mac von McDonald’s-Konstruktionen erinnert werde, was meinen Appetit in höchste Gefahr bringt. Aber da musste ich durch, spülte mit dem selbst den Autofahrern erlaubten 1 dl Rosé de Provence nach, der seine Leuchtkraft etwas eingebüsst hatte. Vielleicht war das Verblassen auf die Abwesenheit der Sonne zurückzuführen, so dass es nicht viel zu reflektieren gab. Immerhin muss ich nachholen, dass die einleitende Suppe Bonne-Maman, vielleicht nach einem Conveniencefood-Hersteller benannt, sehr gut schmeckte, wahrscheinlich weil sich der Mikrowellenoperateur daran nicht vergriffen hatte.
Zur Abtei Hauterive
Noch einmal war ich zu etwas Kräften gekommen, vor dem Verhungern (affamer) gerettet worden. So fuhr ich zuerst einmal an der Siedlung Grangeneuve und damit am Landwirtschaftlichen Institut des Kantons Freiburg und der seit 1974 bestehenden Eidgenössischen Forschungsanstalt für viehwirtschaftliche Produktion, die 2004 in Agroscope Liebefeld-Posieux umbenannt wurde, vorbei, die auf einem ehemaligen Landgut des Klosters steht. An jenem Freitagnachmittag machte die Anlage einen etwas verträumten Eindruck, als ob sich die klösterliche Ruhe aus dem Tal bis in diesen Sektor ausgeweitet habe.
Von hier aus tauchte ich in Richtung Saanetalsohle ab, weil dort unten die in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts die Zisterzienserabtei Hauterive (Altenryf) steht, die mehr als genug Platz für die etwa 20 Mönche bietet, denen materielle, zeitliche Güter nichts bedeuten; sie leben bescheiden und gehorsam, erliegen nicht der Schuldenwirtschaft.
1848 war das Kloster aufgehoben worden und ging mit allen Gütern in den Besitz des Kantons Freiburg über, beherbergte dann eine Landwirtschaftsschule und bis 1940 das kantonale Lehrerseminar. 1939 zogen wieder Mönche aus Wettingen-Mehrerer ins Priorat ein, zu dem das Kloster nun geworden war, eigentlich ein Studienheim, und das Beten und Arbeiten („Ora et Labora“) gingen munter weiter. Diese Lebensphilosophie findet in der architektonischen Strenge der Klostergebäude ihren Ausdruck.
In einem grossen, von einer Mauer umgebenen Garten sah ich durchs Gittertor einen Mönch mit grauer Kapuze, der Gemüse einsammelte; denn es gilt in diesem Orden, den Lebensunterhalt eigenhändig zu erarbeiten. Der etwas verwilderte Zustand des Gartens erinnerte mich an meinen eigenen, der mir soeben eine 3 kg schwere Gurke schenkte. Im Übrigen hält sich mein Mönchtum in sehr engen Grenzen, nicht wegen des Arbeitens, aber wegen des Betens.
Eine Kirche mit Dachreiter bildet den Nordflügel des aus barocken Konventbauten bestehenden klösterlichen Gevierts von stattlichem Umfang. Die dreischiffige Kirche kann durch ein gestuftes Portal betreten werden. Ein durchlaufendes Spitztonnengewölbe nach Burgunder Art weist zu den Farbfenstern im Chor, eigentlich eine unerlaubte Ausschmückung, denn der Zisterzienserorden verbot Glasmalereien. Die Mode der Gotik war im 14. Jahrhundert stärker. Die Fenster zeigen Szenen aus dem Leben Christi und der Gottesmutter, auch Apostel stehen herum, wie es sich gehört. Eindrücklich sind die Wandmalereien im Querschiff, die der Kreuzigung und Beweinung gewidmet sind. Die Trauer als menschliche Befindlichkeit ist ein intensiv ausgelebtes christliches Element. Dafür lässt wenigstens ein Kreuzgang nach der Ordensregel des heiliggesprochenen Benedikt das Paradies vorausahnen, den (den Kreuzgang) ich aber nicht sah.
Wahrscheinlich fühle ich mich wegen der in katholischen Kirchen verbreiteten Dauertrauer ausserhalb von ihnen viel wohler als in ihrem Innern. Die Klosteranlage (l’Abbey) hat einen unmittelbaren Bezug zu einer Schleife der Saane, die in kurzer Distanz von einer Stahlbetonbrücke aus dem Jahr 1974, Nachfolgerin von 2 Hängebrücken, überquert wird. Auch die Sicht von dieser Brücke vermittelt einen Eindruck von einer charakteristischen Saane-Landschaft. Ich gelangte beim Blick in die Tiefe zur Erkenntnis, dass Brücken die besten Überblicke über die Saane und die umgebende begrünte Sandsteinwelt ermöglichen. Glücklicherweise überschreiten viele von ihnen den sonst unnahbar erscheinenden Fluss. Wahrscheinlich waren es neben den Schluchten auch die Schlingen und der stark schwankende Wasserstand, die dazu führten, dass die Saane in dieser Gegend kaum berührt wurde.
Mehr Französisch als Deutsch
Als ich zum Parkplatz zurückschlenderte, begegnete mir eine freundliche Klosterfrau reiferen Alters, die ich mit „Grüezi wohl“ abfertigte, weil mir im Moment nicht einfiel, wie man eine Nonne auf Französisch grüsst. „Bonjour Monsieur“, sagte sie mit verschmitztem Lächeln, und ich doppelte mit einem höflichen „Bonjour Madame“ nach, meine Sprachbegabung zelebrierend ... Sie hatte das Französisch durchgesetzt.
Es fiel mir während der ganzen Exkursion auf, dass in diesem Gebiet eigentlich nur französisch gesprochen wird, obschon die Stadt und die alte Landschaft Freiburg von allem Anfang an (1157) zweisprachig waren. Die Zweisprachigkeit der Kantonshauptstadt Freiburg ergab sich aus ihrer Lage, weil sie im Norden und Osten alemannisches und im Süden und Westen welsches Gebiet umfasste. Ich hielt mich schliesslich gerade im Süden der Stadt auf, also musste es so sein. Andere Sprachen, ein anderes Denken. Eine Belebung. Einheit in der sprachlichen Vielgestalt: Schweiz. Vielleicht haben viele französischsprachige Freiburger unterschwellig noch eine gewisse Angst vor der Germanisierung, so wie wir uns vor der plattwalzenden Amerikanisierung fürchten.
Eine solche Zweisprachigkeit, im Kanton Freiburg heute eine Selbstverständlichkeit, ist immer eine Chance, eine Bereicherung, häufig aber auch eine Ursache für heikle Situationen. Eine solche stellte sich etwa mit dem Eintritt des zweisprachigen Landes Freiburg in die deutschsprachige Eidgenossenschaft 1481 ein, als Deutsch zur Amtssprache erklärt wurde und viele Namen verdeutscht wurden: Bourquinet = Burgknecht (ein Jean Bourgknecht war 1960‒1962 im Bundesrat), Dupasquier = Von der Weid. Die Verdeutschung wurde unter dem französischen Kultureinfluss im 18. Jahrhundert teilweise wieder rückgängig gemacht.
Mit der Helvetik (1798) wurde Französisch zur offiziellen Sprache der Freiburger. 1857 regelte die Staatsverfassung das Sprachenproblem mit 2 Artikeln: „Die Gesetze, Dekrete und Beschlüsse sollen in französischer und deutscher Sprache veröffentlicht werden. Der französische Text ist der Urtext“ (Artikel 21). Und der Artikel 61 lautete: „Die Mehrheit sowohl der Mitglieder als auch der Ersatzmänner des Kantonsgerichtes soll der französischen und der deutschen Sprache mächtig sein.“
In der Praxis des öffentlichen Geschehens aber dominierte das Französische, und an den Schaltern der Staatsverwaltung wurden Deutschsprachige früher nur unwillig bedient, wie es hiess. Es gab viele Bemühungen, den Deutsch- und Welschfreiburgern zur Gleichberechtigung zu verhelfen, so etwa von Dr. med. Peter Boschung, Flamatt, der 1959 die Deutschfreiburgische Arbeitsgemeinschaft (DFAG) gründete (www.dfag.org). Und 1968 gab das von Gonzague de Reynold, ein Freiburger Patrizier, Schriftsteller und Professor, gegründete Freiburger Institut eine Sprachencharta heraus – eine Sammlung allgemeiner sprachenrechtlicher und sprachenpolitischer Grundsätze. Die Welschfreiburger ihrerseits blieben nicht untätig. Einige vereinigten sich in der „Communauté romande du Pays de Fribourg“ und sehen sich als Hüter der Sprachgrenze, wollen die Ausbreitung des Deutschen und die Entstehung deutschsprachiger Inseln verhindern.
Umschau in der Landschaft
De Reynold hat die freiburgische Landschaft als von edler Einfachheit und ruhiger Grösse beschrieben. Ja, ihr Anblick ist angenehm, verhilft mit den sanft geschwungenen Linien nahe bei der Horizontalen zu innerem Frieden. Auf meiner Rückreise bot sich ein herrliches Bild nach dem andern, gekrönt von Wolkentürmen; ich würde von Kalenderbildern sprechen, wäre der Begriff nicht so abgedroschen, verbraucht.
Einen ersten Halt schob ich in Arconciel (deutsch: Ergenzach) ein, diesem auf einem Felssporn in der voralpinen Hügelzone, ebenfalls im Saanebezirk gelegenen Dörfchen. Es ist seit 1475 im Besitz der Freiburger und wurde 1484 zur freiburgischen Landvogtei. Die ehemals grosse Zwillingsburg ist zur Ruine verkommen. Ich begab mich zur Pfarrkirche Saint-Jacques (St. Jakob), die 1082 erstmals erwähnt wurde und ihre heutige Gestalt nach Plänen von Ambroise Villard 1784 bis 1789 erhielt; er muss ein unkomplizierter, rechtschaffener Architekt gewesen sein.
2 Frauen waren mit Reinigungsarbeiten beschäftigt. Ein ebenfalls hier tätiger, grosser Mann, der hinzukam, forderte mich auf, die blitzblanke Kirche zu betreten und mich umzuschauen. Ich verwies auf meine mitgenommenen Wanderschuhe, und er raffte sich zu einer mundartlichen Äusserung auf Deutsch auf: „Macht nüüt“ (Macht nichts). Es sei eine wohltuend einfache, trotz einer barocken Ausschmückung durch ihre Bescheidenheit beeindruckende Kirche, stellte ich fest, in den vertrockneten Windungen meiner Französisch-Ablagerungen im Gehirn verzweifelt grabend. Der Mann, wahrscheinlich der Kirchwart (Mesmer), verstand offenbar, was ich meinte und stimmte mir unter dem Deckengemälde, von dem die Madonna der Skapulierbruderschaft (spezielle christliche Vereinigung für gläubige Katholiken) und die 4 Evangelisten auf uns herunterschauten, lebhaft zu. Er fühlt sich darin wohl.
Die Damen fragten mich bei der Verabschiedung noch, woher ich denn komme, und ich rundete auf „Aarau“ auf, da ich der Beschreibung der genauen Position Bibersteins en français aus dem Wege gehen wollte. „Ahh! Aaro“, wiederholten sie – Aaro, so spricht man den Stadtnamen im Welschen aus. Wer sich als Deutschschweizer ins Welschland verirrt, wird dort wie eine ausserirdische Kuriosität gern gesehen und entsprechend interessiert beachtet.
Vielleicht habe ich den netten Frauen durch Hinterlassenschaften von den Schuhsohlen noch zu einem kleinen Zusatzverdienst verholfen. Das würde mich freuen.
Vacherin fribourgeois aus Marly
Über Ependes fuhr ich nach Marly-le-Grand am nördlichen Talhang des Ärgerenbachs (La Gérine), der von der Plasselb zwischen Muschenegg und Schwyberg herunterkommt, unmittelbar südlich der Kantonshauptstadt. Somit ist man hier noch immer auf Französische kapriziert.
Bei einem Verkehrskreisel ist ein Einkaufszentrum. In der Käsehandlung (Laiterie) deckte ich mich mit 2 Sorten Gruyère-Käse (einer von der Alp) und Vacherin fribourgeois für ein Fondue Moitié-Moitié (halb Greyerzer, halb Vacherin) ein. Viele Kunden kamen hierhin gepilgert, um hier sich mit der berühmten Mischung einzudecken. Sie ergingen sich in einem Lob, wie es nur Connaisseurs hinkriegen.
Ich hatte das gute Gefühl, mich mit einer Portion Freiburger Kultur im weiteren Sinne eingedeckt zu haben. Angesichts dessen, was der Kanton beidseits des Röstigrabens zu bieten hat, wohl nur eine kleine Kostprobe.
Quellen
Camenzind, Erich: „Zur Zweisprachigkeit im Kanton Freiburg“, abgegeben bei der Pressereise vom 07./08. Mai 1918 anlässlich der 500-Jahr-Feier des Eintritts von Freiburg in die Eidgenossenschaft.
Thilo, Eric E.: „La Sarine. Die Saane“, Verlag Vogt Schild AG, Solothurn 1979.
Waeber, Catherine: „Die Zisterzienserabtei Hauterive“, Schweizerische Kunstführer GSK, Bern 2009.
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