BLOG vom: 08.09.2011
Schweiz: Grenzenloser Unsinn des grenzenlosen EUR-Kaufs
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Würden Sie sich an ein Schiff festbinden, das am Untergehen ist? Sie würden sich nur dazu entschliessen, wenn Sie lebensmüde wären.
Die Schweiz hat das mit ihrem Franken (CHF) am 06.09.2011 getan – und alle Unabhängigkeitsmüden im Lande sind in ein grosses Freudengeschrei ausgebrochen: Wirtschaft, Finanzprofessoren, Politiker und die mit diesen auf Gedeih’ und Verderb verbandelten Medien, die links von der Mitte operieren und den Untergang gern noch beschleunigen würden.
Die Rede ist hier von den Massnahmen der Schweizerischen Nationalbank (SNB), den starken Franken durch eine praktisch unlimitierte Geldschaffung so zu manipulieren beziehungsweise zu schwächen, dass 1 Euro (EUR) nie billiger als zu 1,20 CHF zu haben ist. In der Mediensprache: „SNB-Chef Philipp Hildebrand (48) will künftig einen Kurs des Franken von weniger als 1,20 Franken je EUR nicht mehr akzeptieren.“ Der Trick, um dieses Ziel zu erreichen, geschieht mit unlimitierten EUR-Käufen auf der Grundlage einer wunderbaren Geldvermehrung, ein Wunder von geradezu biblischen Dimensionen. Da keine Druckpresse so viele Banknoten zu produzieren vermag, wird die Frankenschaffung einfach digital bewerkstelligt, was zum Computerzeitalter passt und zudem energie- und rohstoffsparend ist.
Am Tag des allseits bejubelten Hildebrand-Coups schoss der EUR-Kurs, ganz im Sinne der Erfinder, von etwa 1,11 auf knapp über 1,20 CHF hinauf. Die nationale Begeisterung in der Schweiz kannte ob dieses „drastischen Schritts“ keine Grenzen mehr. Die politische Linke wäre lieber noch weiter gegangen, auf 1,30, auf 1,40 oder gar auf 1,45 CHF. Aber wenigstens hatte die Schweiz ein markantes Zeichen im Hinblick auf die Aufgabe ihrer finanzpolitischen Unabhängigkeit gesetzt. Lust am Untergang. Die NZZ, die sich längst in den Mainstream eingeordnet hat, empfand den SNB-Entscheid als mutig und nötig; etwas vorsichtiger zeigte sich der Tages-Anzeiger: waghalsig. Die Politik schien ebenso betäubt zu sein wie die Devisenmärkte. Selbst der SMI (CH-Aktienindex mit den wichtigsten Namen) löste sich für einmal von den US-Vorgaben (was er sonst niemals tut) und rutschte nach oben, obschon rund ums Schweizerland Depressionsängste für Unsicherheiten sorgten.
Die ganze Finanzwissenschaft und Politik scheinen gerade vergessen zu haben, dass der EU-Raum in eine nicht mehr zu behebende, existenzbedrohende Schuldenkrise geraten ist und der Euro-Crash absehbar ist. Die Währungsunion, die als solche nicht funktionieren kann, ist am Zerbrechen. Verschlampte Länder wie Griechenland werden vorerst noch gerettet. Doch alle Mittel werden nicht ausreichen, um etwa Italien aus dem Sumpf zu ziehen, dieses „Scheissland“ (nach den Worten Silvio Berlusconis). Die Retter ihrerseits werden von den Rettungsmassnahmen in den Schuldenstrudel gezogen und sind bald einmal selber nicht mehr zu retten. Nach Maastricht-Kriterien ist der deutsche Schuldenberg schon heute zu hoch. Solche Erkenntnisse sind bereits Ladenhüter und werden auch von der grössten Rettungsinstitution Deutschland offen anerkannt. Selbst der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnte soeben vor einem Scheitern der Europäischen Währungsunion. „Der Sprung in die gemeinschaftliche Haftung ohne eine Einschränkung der nationalen Souveränität würde bedeuten, dass der institutionelle Rahmen der Währungsunion seine Konsistenz verliert“, berichtete der Notenbanker.
Und da kommt die bisher neutrale Schweiz und klammert sich an ein untergehendes Gebilde an. Das Resultat ist absehbar. Sogar die NZZ musste ihre Begeisterung etwas zähmen und schreiben, die eigentliche Bewährungsprobe komme dann, wenn neue Verwerfungen an den internationalen Märkten zu riesigen Fluchtbewegungen führten. Und solche Gedanken führte die Financial Times Deutschland weiter: Die SNB müsse jetzt Euros kaufen, „als gäbe es kein Morgen mehr“.
Meines Erachtens kam diesmal ausnahmsweise das Gescheiteste aus Amerika. Das Wall Street Journal kam zu folgendem Schluss: Bei einem Kollaps der Eurozone müsste die SNB bis zu einer Billion Euro aufkaufen ‒ dagegen wäre die Übernahme des US-Finanzministeriums durch China Peanuts ... Der Irrsinn wurde damit treffend zum Ausdruck gebracht.
Ja, die Schweiz ist in ihrer heiligen Einfalt wieder einen Schritt näher an die EU herangerückt: „Willkommen im Euro-Club“ titelte das deutsche „Handelsblatt“: „Das Ende einer Ära. Die Schweiz, die seit jeher Wert auf Selbständigkeit legt, koppelt ihre Währung an den Euro.“ Man staunt, schüttelt den Kopf und sieht voraus, dass das nicht gut gehen kann. Die schwere Krankheit der Europhilitis ist allen Warnzeichen zum Trotze in der Schweiz noch immer nicht überwunden – nur wagt es niemand mehr, öffentlich von einem Beitritt zu sprechen. Im Hintergrund wird noch immer auf ein Mitreisen im sinkenden Schiff hingearbeitet. Dass auch Bundesrat und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, die jüngste Annäherung so bedingungslos bejubeln kann und über sie „ausserordentlich froh“ ist, bedeutet für mich eines der vielen Rätsel, wozu auch die Zustimmung der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gehört. Alle guten Geister scheinen entflogen zu sein.
Was ist denn eigentlich an einer starken Währung für ein Land, das mehr importiert als exportiert, so falsch, so unerträglich? Seit Anfang 2008 hat der CHF gegenüber dem EUR um ein Drittel zugelegt. Weil die Schweiz mehr aus der EU importiert als dorthin exportiert (2009: Exporte in die Schweiz für 88.6 Mia. EUR, Importe aus der Schweiz für 73.8 Mia. EUR) muss sie insgesamt ja von der Frankenstärke stark profitieren, indem wir ja die riesige Warenmenge nach unserem Empfinden günstiger denn je einführen können – doch da merken wir nur wenig davon. Irgendwo versickern Millionen an Währungsgewinnen auf Nimmerwiedersehen.
Nach meiner unbedarften Logik auf der Grundlage einer einfachen Milchbüchleinrechnung sparen wir bei Einkäufen mit dem starken Franken einen Haufen Geld. Einen Teil dieses eingesparten Gelds könnte man dafür einsetzen, der unter der Frankenstärke leidenden Exportindustrie unter die Arme zu greifen, und, was dann übrig bleibt, zu Zwecken der Steuersenkung verwenden.
Ich habe doch lieber Geld im Portemonnaie, mit dem man etwas anfangen kann, als solches, das im internationalen Tauschhandel nicht viel gilt. Doch scheine ich mit solchen Überlegungen ziemlich allein auf weiter Flur zu sein.
Die gewissermassen unlimitierte Geldschaffung ist seit der Abschaffung des Golddevisenstandards (zur Begleichung von Kriegsschulden von den USA propagiert) an der Tagesordnung, und sie wird vor allem von den USA praktiziert. Dass eine praktisch unlimitierte Schuldenwirtschaft in die Katastrophe führt, zeichnet sich mit zunehmender Deutlichkeit ab, auch in den verarmenden Vereinigten Staaten, die ihre Sternenbanner schon längst auf Halb- bzw. Viertelmast wehen lassen müssten.
Die Schweiz war die löbliche Ausnahme, hielt ihre Ausgaben und damit ihre Finanzen im Griff, hatte Vertrauen, wurde bewundert, galt als Hort der Sicherheit. Und nun hängt sie im Rahmen einer nicht zu Ende gedachten Panikreaktion ihre Sonderstellung an den Nagel und „druckt“ Franken auf Teufel komm’ raus, bloss um den Spekulanten ein Schnippchen zu schlagen und der Exportindustrie zu helfen. Sind die Spekulanten diesen Preis des Anbindens einer kerngesunden Währung an den kranken EUR wert? Ist es sinnvoll, Beschlüsse mit unabsehbaren Folgen zu fassen und einer Inflation Vorschub zu leisten?
Der Hauptfehler in all den finanzpolitischen Überlegungen besteht darin, dass man das Dogma in die Welt setzt, der Franken sei deutlich überbewertet; das ist auch die Haltung der SNB. In Tat und Wahrheit sind der EUR und der USD wegen des Lebens über die Verhältnisse in den betroffenen Ländern im Zerfall begriffen. Daraus resultiert dann eine relative, zu relativierende Frankenstärke – aber überbewertet war er, bezieht man die gesamten Umfelder ein, wohl kaum. Die Schweiz ist ein starkes Land, bisher jedenfalls. Sie war bisher kein „Opfer des Erfolgs“ (CVP-Redensart), sondern profitierte einfach von den Misserfolgen in EU- und US-Raum, die durch eine irritierte Politik herbeigeführt wurden – zum Opfer wurde sie jetzt erst durch die SNB gemacht.
Bei den Rechtfertigungsversuchen des SNB-Entscheids, den CHF mit dem EUR untergehen zu lassen, wird oft das Bild von einer Feuerwehr-Löschaktion heraufbeschworen. Zuerst müsse einmal der Brand gelöscht werden, und erst dann sei es an der Zeit, sich um die Wasserschäden zu kümmern, heisst es. Das ist noch so ein blühender Unsinn: Jede vernünftige Feuerwehr (und ich nehme an, dass das alle sind) wird sich zuerst einmal überlegen, wie sie dem Brand beikommen kann, ohne bei dessen Bekämpfung übermässig grosse Verwüstungen anzurichten. Feuerwehrleute, die wie besessen herumspritzen und mehr Schaden als Nutzen verursachen, würden gescheiter im Feuerwehrlokal jassen. Das Aufflammen der Schuldenbrände müsste im Prinzip gleichermassen behutsam und wohlüberlegt angegangen werden, immer auf die Folgen bedacht.
Die Nationalbank habe unlimitierte Mittel, sagt man. Ja, in ihrer Narrenfreiheit und Unabhängigkeit von der Politik darf sie alles, ungestraft. Nur die Folgen des unlimitierten Versprühens von zunehmend weicher werdenden Franken aus dem Zauberhut für grenzenlose EUR-Käufe trägt dann die Allgemeinheit, die für alle Schäden aufkommen muss. Die deutsche „Handelszeitung“ gab das ebenfalls zu bedenken: „Das Devisenpaar Euro/Franken widerspiegelte 2010 nur rund 2,5 Prozent des weltweiten Devisengeschäftes. Trotzdem entspricht dies einem täglichen Volumen von geschätzt über 70 Milliarden Franken. Je glaubhafter die SNB ihre Instrumentarien und Erfolgschancen offenlegen kann, desto günstiger wird die Intervention letztlich werden ‒ allfällige Kosten trägt zeitverzögert der Schweizer Steuerzahler.“ Diesmal kommen die besten Einsichten aus dem Ausland.
Eine ähnliche Operation der Nationalbank gegenüber der früheren D-Mark im Jahr 1978 mündete in eine schmerzhafte Inflation. Daran denkt noch niemand. Die Löschzüge stehen jetzt in Position, versprühen gutes Geld und spülen zerfallende Euros ins Land. Das segelt unter „Rettung“.
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