BLOG vom: 12.10.2011
Meersburg D: Wo die Aus- und Seesicht fast zu schön ist
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Das alte Schloss
Auf der Burg haus' ich am Berge,
Unter mir der blaue See,
Höre nächtlich Koboldzwerge,
Täglich Adler aus der Höh',
Und die grauen Ahnenbilder
Sind mir Stubenkameraden,
Wappentruh' und Eisenschilder
Sofa mir und Kleiderladen.
Schreit' ich über die Terrasse
Wie ein Geist am Runenstein,
Sehe unter mir die blasse
Alte Stadt im Mondenschein,
Und am Walle pfeift es weidlich,
‒ Sind es Käuze oder Knaben? ‒
Ist mir selber oft nicht deutlich,
Ob ich lebend, ob begraben!
Mir genüber gähnt die Halle,
Grauen Tores, hohl und lang,
Drin mit wunderlichem Schalle
O Langsam dröhnt ein schwerer Gang;
Mir zur Seite Riegelzüge,
Ha, ich öffne, lass die Lampe
Scheinen auf der Wendelstiege
Lose modergrüne Rampe,
Die mich lockt wie ein Verhängnis,
Zu dem unbekannten Grund;
Ob ein Brunnen? ob Gefängnis?
Keinem Lebenden ist's kund;
Denn zerfallen sind die Stufen,
Und der Steinwurf hat nicht Bahn,
Doch als ich hinab gerufen,
Donnert's fort wie ein Orkan.
Ja, wird mir nicht baldigst fade
Dieses Schlosses Romantik,
In den Trümmern, ohne Gnade,
Brech' ich Glieder und Genick;
Denn, wie trotzig sich die Düne
Mag am flachen Strande heben,
Fühl' ich stark mich wie ein Hüne,
Von Zerfallendem umgeben.(Annette von Droste-Hülshoff: „Das alte Schloss“)
Mit der sogenannten Dichterstadt Meersburg D verbindet sich vor allem der Name der deutschen Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff (1797‒1848). Sie stammte aus dem Münsterland und wohnte bei ihren Besuchen am Bodensee jeweils bei ihrer Schwester und ihrem Schwager, dem Sammler Joseph von Lassberg und Maria Anna von Droste zu Hülshoff („Jenny), auf der Meersburg mit dem umfassenden Seeblick.
Dieses Alte Schloss, einst eher eine Schutz- und Trutzburg (militärischer Stützpunkt), mit umfassendem Seeblick, Rundtürmen, Viereckturm mit Staffelgiebeln, wie man sie im alemannischen Raum häufig sieht, soll auf die Merowinger unter König Dagobert I. im 5. Jahrhundert zurückgehen. Es wurde im 16. Jahrhundert durch verschiedene Um- und Anbauten verändert. Wohl keine andere Burg Deutschlands habe alle Geschichtsepochen so unversehrt überstanden wie jene oberhalb des Schwäbischen Meers, las ich im Buch „Der Bodenseeraum“ von Georg Richter (Bibliothek Deutsche Landeskunde, 1977).
Ihre Schreibarbeiten bewältigte Annette Droste entweder in Westfalen oder im „Fürstenhäusle“ (Fuggerhäusle, Winzerhäuschen) ob den Reben, hoch über der Stadt Meersburg, das sie gekauft hatte und das nach ihrem Tod zu einer Gedenkstätte wurde. „Die Aussicht ist fast zu schön“, schrieb die Dichterin einmal an eine Freundin.
Beim Neuen Schloss handelt es sich um die von den Fürstbischöfen von Konstanz in Auftrag gegebene Barockresidenz; sie hatten zwischen 1526 und 1803 das Sagen. Der noble Bau ist zur Zeit (bis Ende 2011) in Renovation begriffen, und bald wird die romantische Vergangenheit auch innerhalb des Barockbaus ab 2012 in festlichem Glanz erstrahlen. Dann werden wohl auch wieder die traditionellen Meersburger Schlosskonzerte stattfinden, und das im Schloss eingerichtete Dornier-Museum dürfte wieder zugänglich sein.
Meersburg, am Übergang vom Obersee zum Überlingersee gelegen, ist von der Schweiz aus mit der Fähre Kreuzlingen/Konstanz innert weniger als einer halben Stunde zu erreichen. Wenn die herbstliche Abendsonne mit ihrem weichen Licht den kompakt überbauten Uferhügel anstrahlt, wie ich das am 04.10.2011 von der oberen Aussichtsplattform der Fähre aus erlebte, zückt man unwillkürlich die Kamera, um diesen Eindruck mit Burg und Neuem Schloss festhalten und mitnehmen zu können. Das farbenfrohe, touristisch geprägte Städtchen klebt an einem recht steilen Hang und fasziniert durch seine schmalen, verwinkelten, belebten Gassen mit ihrer verspielten Architektur und insbesondere durch die blumengeschmückten Riegelbauten (Fachwerkhäuser).
Unsere kleine, zum Teil angegraute, dabei höchst unternehmungslustige, 7-köpfige Gruppe unter der Obhut von Reiseinitiator Magnus Würth fand ihre Unterkunft im familiären Hotel „3 Stuben“ (28 Zimmer), einem angenehm renovierten Riegelbau aus dem Jahr 1600 im oberen Teil der Altstadt (Einzelzimmer-Kosten: 91 Euro, inkl. Frühstück und Kurtaxe). Die Geschäftsführerinnen Tanja Siewert und Brigitte Drewing erwiesen sich als ausgesprochen freundlich, hilfs- und auskunftsbereit. Die letzten Renovationen des Hauses gehen auf die Jahre 1990 und 2010 zurück. Ich war zuoberst einlogiert worden, in einem länglichen, abgeschrägten Raum direkt unter dem Giebel. Durch die Fenster auf beiden Seiten waren verspielte Ziegeldachlandschaften zu sehen, und wenig weiter oben grüsste der Kirchturm. Rücksichtsvollerweise war das Schlagwerk während der Nacht ausser Betrieb, so dass ich jeweils erst um Punkt 7 Uhr morgens geweckt wurde. Das Frühstücksbuffet war mit allem bestückt, was so dazu gehört, einfach, aber ausreichend.
Das Abendessen verleibten wir uns am 1. Abend im Hotel zum Schiff direkt an der Bodensee-Promenade ein. Die Geschichte dieses Gasthauses geht auf das Ende des 13. Jahrhunderts zurück, als es ein Teil der Stadtbefestigung von Meersburg war, das sich aus einer Fischereisiedlung heraus entwickelte. Dann diente dieser Bau auch als Kapitelhof des Domstifts Konstanz, war also für das leitende Gremium bestimmt. Das denkmalgeschützte Haus wird heute von Angelika und Michael Gröer in der 4. Generation geführt. Die Preise sind hier ausgesprochen günstig, das Essen rustikal, auf das regionale Angebot abgestimmt und üppig. Ich hatte brotige Serviettenknödel und Pfifferlinge (Eierschwämmchen) an einer Rahmsauce gewählt; noch selten hatte ich eine so grosse Pilzportion erhalten. Alle waren zufrieden. Nur: Wie sich ein Zwetschgenstein in die Beeren-Nachspeise meines Tischnachbarn verirren konnte, blieb das Geheimnis des Traditionshauses.
Am nächsten Abend verpflegten wir uns im Gasthof „Bären“ am Marktplatz 11. Dieser Bau geht auf das Jahr 1250 zurück; aus dieser Zeit stammen noch die beiden mit Bodenseeweinen gut assortierten Gewölbekeller und die Grundmauern. Über dem Sturz des Renaissanceportals mit den 5 Engelköpfen steht die Jahreszahl „1605“; damals wurde der Bären, vielleicht nach einem Brand, vergrössert. Um 1838 wurde im Bären von Bürgern, darunter der oben erwähnte Joseph von Lassberg, ein sogenanntes Museum (Lesekabinett) eingerichtet. Lassberg kam täglich hierhin, um Zeitungen zu lesen, und seine Schwägerin, Annette von Droste-Hülshoff, verfolgte 1842 hier den Erstabdruck ihrer Novelle „Die Judenbuche“ im Cotta’schen Morgenblatt.
Wie ich jetzt den Übergang zum Entrecôte Café de Paris, das ich zusammen mit Pommes frites im „Bären bestellt habe, bewerkstelligen soll, weiss ich nicht. Frau Droste mit ihrem Hang zum Volkstümlichen und Mystischen hilft mir nicht weiter, höchstens der Hinweis auf ihre manchmal durchbrechende Irrationalität, eine Form von Unvernunft. Gelegentlich kann es zu einem Stilbruch kommen. Aber dieses Gericht mit der schaumig geschlagenen, würzigen, zerfliessenden Buttermischung auf dem Fleisch kam hervorragend an. Ein freundlicher ungarischer Kellner gab sich alle Mühe.
Stilrein waren die Tropfen aus dem Staatsweingut Meersburg: charaktervolle, ziemlich trockene – die Restsüsse wird allmählich überwunden – und angenehm kantige Bodenseeweine, die von Föhn und milden Seewinden vorbereitet worden waren. In bester Erinnerung habe ich den barocken Grauburgunder und einen urtümlichen und dennoch eleganten Spätburgunder behalten.
Alles, was man unter Gastlichkeit versteht, ist in Meersburg auf einem beachtlichen Niveau: nichts von Zerfall, wie ihn Droste-Hülshoff poesievoll verarbeitete. Der starke Hüne hat selbst in diesen für Deutschland schwierigen Zeiten Oberhand.
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