Textatelier
BLOG vom: 16.10.2011

Kloster und Schloss Salem D: Honiglecken, auch fürs Auge

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Der Mensch hat zu allen Zeiten seinem Repräsentationsbedürfnis nachgegeben und dabei je nach finanzieller Potenz auch seine Unterkunft festlich ausgestattet bzw. ausstatten lassen. Selbstverständlich kann das auch aus dem eigenen Wunsch nach einer kunstvoll ausgeschmückten Umgebung geschehen. Die Unterkünfte für Nutztiere aber sind meistens Zweckbauten, die gewisse Bedingungen erfüllen müssen (sollten), damit es den Tieren gut geht und ihre Pflege rationell gestaltet werden kann.
 
Käme es jemandem in den Sinn, für seine Kutsch- und Reitpferde und die Tiere seiner Gäste einen Stall im Stil des Barock einzurichten und dafür hervorragende Künstler beizuziehen? Genau das ist 1734 im Kloster Salem (Linzgau, Baden-Württemberg) geschehen. Der sogenannte Marstall (marah = Pferd, Mähre) besitzt reich verzierte eichenhölzerne, geschnitzte Pferdeboxen, ein Hauch vom Chorgestühl, wie man es in katholischen Kirchen antrifft. Die als 2 Flachtonnen gestaltete Diele, die auf kräftigen Wandpfeilern ruht, ist mit pastellfarbig bemalten Stuckdekorationen geschmückt. An den Wänden des doppelten Pferdestalls (je 14 Boxen, 1,8 × 2,7 m) mit Sattelkammer und Kammer für die Stallknechte sind inzwischen etwas verblasste und teilweise stark beschädigte Malereien nach Stichvorlagen von Philipp Rugendas zu sehen oder zu erahnen, die Pferdemotive mit Wagen, Krieg und Frieden usf. darstellen. Beim Ansatz der Decke stehen annähernd lebensgrosse Figuren aus der antiken Mythologie herum. Die farbig gefassten Holzskulpturen auf den Gesimsen stammen von Joseph Anton Feuchtmayer (1696‒1770), einem der bedeutendsten Barockkünstler. Auf ihn gehen auch die Skulpturen aus Arvenholz zurück, die sandsteingrau gefasst sind, ein konservativ anmutender Prunkrahmen. Im Freien und ganz in der Nähe ist die alte Pferdeschwemme in der ins Klosterareal umgeleiteten Salemer Aach: schräge Abgänge zum Wasser, in dem die Pferde getränkt, gereinigt und abgekühlt werden konnten. Sozusagen das Badezimmer.
 
Fürstliche Marställe, die es seinerzeit hier und dort gab, betonten die Bedeutung des Pferds für das herrschaftliche Zeremoniell – einige Aspekte davon sind bis heute erhalten geblieben.
 
Natürlich sind die Stallungen nur ein verschwindend kleiner Teil des aus Kloster und Schloss bestehenden Klosterdorfs Salem, das sich rund um einen barocken Formengarten gruppiert, den „Lust-, Baum- und Kuchelgarten“, ein Nutz- und Ziergarten mit Wasserbassins, Brunnen und Fontänen. Die Blütezeit geht zur Neige, und im Garten machte sich zur Zeit unserer Besichtigung bereits die Herbstmüdigkeit breit. Aus dem Kuchelgarten wurde die klostereigene Apotheke im Unteren Tor der Schlossanlage mit Heilkräutern versorgt.
 
Die 1134 gegründete Zisterzienserabtei Salem bezeugt in Bezug auf Umfang und Ausschmückung einen unwahrscheinlichen Reichtum. Ihre Ländereien reichten über weite Strecken am Bodensee bis tief ins Hinterland, wo auch intensiv Rebbau betrieben wurde; ich habe eine gewisse Vermutung, weshalb dem so gewesen sein könnte ... Die Abtei hatte wegen der Klosterzucht, dem Leben nach strengen Grundsätzen und hoffentlich bei etwas Weinseligkeit, ein hohes moralisches Ansehen. Sie war im Mittelalter eine Vermittlerin zwischen Papst und Kaiser. Der Alltag der Mönche war streng, einfach, und sie mussten arm bleiben, ein Beitrag zur Mehrung des klösterlichen Reichtums (je 8 Stunden beten, arbeiten und ruhen). Die Handarbeit war der Kopfarbeit gleichgestellt. Dies schlug sich auch in der zisterziensischen Baukunst nieder: demonstrative Schlichtheit und Einfachheit, an die man sich in Salem (Betonung auf dem A), dem Ort des Friedens (Bedeutung des Namens), später allerdings nicht mehr unbedingt hielt.
 
Die Anlage, auf einem flachen, ins Tal der Salemer Aach vorspringenden Plateau erstellt, wurde im 17. Jahrhundert (1697) durch einen Brand fast vollständig zerstört und 1697‒1706 unter der Leitung des Vorarlberger Baumeisters Franz Beer grosszügig neu aufgebaut. 1804 ging sie im Rahmen der Säkularisation in den Besitz der Markgrafen von Baden über, und 2009 kaufte das Land Baden-Württemberg den grössten Teil der Gebäude. Die Verwaltung ist offensichtlich gewillt, sie instand zu halten. Vielerorts sind Restaurateure am Werk.
 
Im Klosterdorf leben heute 400 bis 450 Personen, besonders im berühmten, englischsprachigen Internat, in dem sich Schüler, aus wohlhabenden Familien in 16 Ländern stammend, von weltlichen Lehrern ausbilden lassen; die Schule ist nicht mehr religiös geführt. Das reine Schulgeld beträgt etwa 800 Euro pro Monat, der Internatsaufenthalt insgesamt 2500 bis 3000 Euro monatlich, wie die Klosterführerin A. Lebrenz sagte. Früher blieb das Lesen und Schreiben dem Klerus und dem Adel vorbehalten. Beim momentanen Zustand des amerikanisierten Bildungswesens nähern wir uns wieder solchen Verhältnissen.
 
Die strenge, schlichte Fassade der hochgotischen, geosteten (also zum Licht ausgerichteten) Klosterkirche mit den Masswerkfenstern und Harfengiebeln aus dem Jahr 1179, die erst unter Abt Petrus Ochser (1417‒1441) vollendet werden konnte, ist eine mehrschiffige Basilika mit Verhältnismässigkeiten 1:3, mit Dachreiter (statt Turm), Querhaus und Hallenumgangschor. Das Innere des Münsters ist vollgestopft mit Alabaster-Schmuck im frühklassizistischen Stil, ein durchkomponiertes Schaustück ohnegleichen und Ausdruck der Machtfülle der Salemer Äbte. Die Fassade der unmittelbar benachbarten Prälatur, in der ein Feuerwehrmuseum unterbebracht ist, wird jetzt renoviert. Das Museum gedenkt damit der Leistungen der Mönche hinsichtlich des Brandschutzes.
 
Der anderthalbstündige Rundgang durch die Klosteranlage war überwältigend, selbst für jemanden wie ich, der von sakralen Hinterlassenschaften übersättigt und davon nur schwer zu begeistern ist. Das auf einem hohen Niveau überschäumende Bedürfnis nach Ausschmückungen übersteigt in Salem die üblichen Ausmasse weit. Die gewölbte Diele im Bernhardusgang im Ostflügel des Konventgebäudes mit der Stuckorgie beispielsweise wird nur noch von der Stuckdecke von Michael Wiedemann und seinen Stuckateuren im Sommerrefektorium übertroffen. Darin steht auch ein prunkvoller Ofen aus farbig glasierten, weissgrundigen Kacheln, die biblische Szenen darstellen und vom einstigen Ordensleben berichten. Der Boden aus Solnhofer Stein hat sich seit 1742 bewährt, und er bringt etwas optische Ruhe in die Überfülle aus Formen, Gemälden und Verzierungen. Der Kaisersaal, ein Prachtstück, ist gerade in Erneuerung begriffen, und es war kaum erlaubt, durch die geöffnete Tür ein Auge voll von diesem Luxus zu erhaschen, weil die Restauratoren ihre Arbeit abseits von Publikum verrichten möchten, wie uns gesagt wurde. Das Fotografieren war auf dem Rundgang nicht erlaubt.
 
Immerhin konnten wir noch die historische Schmiede mit dem Inventar aus dem 19. Jahrhundert im oberen Langbau in Aktion besuchen, wo gerade an grossen, glühenden Ziernägeln herumgehämmert wurde. Nebenan, im Unteren Langbau, formte die Goldschmiedemeisterin Sabine Wissen das Edelmetall zu modernem Schmuck um.
 
Damit fand man an jenem 05.10.2011 allmählich wieder in die Gegenwart zurück. Man erinnerte sich an den Putto „der Honigschlecker“ von Johann Georg Dirr, ein Schüler Feuchtmayers, dem wir kurz vorher im Münster begegnet waren. Das Schleckmaul ist als molliges Kerlchen neben einem Bienenkorb dargestellt, und es regte uns zu einem Besuch des Markgräflich-Badischen Gasthofs „Schwanen“ im Klosterareal an. Das Gebäude wurde vor gut 300 Jahren als Postwirtshaus des damaligen Klosters errichtet. Zu (aus Schweizer Sicht) günstigen Preisen kann man dort Spezialitäten wie Zuchtfische aus eigenen Weihern, Wild aus eigenen Wäldern und markgräflich-badische Weine geniessen. Wir sprachen dem jungen, lilafarbenen Suser (angegorenem Traubenmost, auch Sauser genannt) zu, bis die Reserven dieses süssen Nektars erschöpft waren, schleckten die Gläser leer. Die Wildschweinbratwürste waren trotz des naturgemäss bescheidenen Fettgehalts schmackhaft und die Bratkartoffeln perfekt.
*
Ob dieser Text zu den unnützen Blog zu zählen ist, wage ich nicht zu beurteilen. Ein oberschwäbischer Mönch, Arsenius Sulger (1641‒1691) sprach jedenfalls zu seiner Zeit von „Musae fatuae seu scripta inutilia“ – von törichten Musen oder unnützen Schriften. Darunter fielen selbst seine eigenen Gedichte und Texte seiner Mitbrüder. Immerhin sei durch sie der Müssiggang der Autoren vermieden worden, fügte der Mönch bei. Und so etwas tröstet und motiviert unsereinen schon.
 
Benutzte Quellen
Knapp, Ulrich: „Ehemalige Zisterzienserreichsabteil Salem“, Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2007.
Mueller, Carla et al.: „Kloster und Schloss Salem“, Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2009.
Schlechter, Armin: „Unnütze Bücher“. Die schöne Literatur in der Klosterbibliothek Salem, Verlag Lorenz Senn, Tettnang 2007.
Siwek, Alberich: „Die Zisterzienserabtei Salem. Der Orden. Das Kloster. Seine Äbte“, Erzbischöfliches Münsterpfarramt, Salem 1984.
 
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