BLOG vom: 06.01.2012
Rupperswil-Auenstein: Baggergeburt einer Aarelandschaft
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Landschaften formen sich normalerweise in erdgeschichtlichen Zeiträumen aus, ein langsamer Prozess, der kein Ende kennt. Eigentlich ist jedes Landschaftsbild immer bloss eine Momentaufnahme. Alle Lebewesen nehmen auf den Organismus Landschaft Einfluss – das war schon immer so. Sie haben auch Kulturlandschaften mit deren besonderen ökologischen Gesetzmässigkeiten geschaffen.
Die besonders brutalen anthropogenen Einflüsse haben sich seit dem Aufkommen von Maschinengiganten beschleunigt; Pflanzen und Tiere drängte man zurück. Gewässer wurden wie körperlich ausufernde Damen von einst in ein Korsett oder eine versteifende Schnürbrust ohne Rücksicht auf die Beschädigung innerer Organe eingezwängt – im Interesse der platzsparenden Schlankheit. Im Falle von Flüssen bedeutet dies Landgewinn. Aber wenn in Hochwassersituationen die kanalisierten Flüsse ihre Dämme sprengen, sozusagen die Miederversteifungen aufplatzen, entfaltet sich eine besonders grosse, aufgestaute Wucht, die im Kultur- und Bauland massive Schäden anrichtet. Oft werden Überschwemmungen, die im Prinzip in der ungebändigten Natur, vor allem in Auengebieten, belebende Ereignisse sind, vorerst einmal flussabwärtsverschoben, ähnlich dem Jackpot von Lotterien, der vor sich hergeschoben und ständig gemehrt wird. Bei Auf- und Ausbrüchen bricht dann eine Flut herein, die kaum zu bewältigen ist.
Wie eine Landschaft , so verändert sich auch das kollektive menschliche Denken, manchmal in einer günstigen, oft genug in einer weniger günstigen Richtung. Das hat sichtbare Folgen. Ein Beispiel: Die flach wurzelnden Fichten-Försterplantagen im Waldbau, reinem Kommerzdenken entsprungen, haben sich als so störungs- und sturmanfällig wie die Monokulturen in der Landwirtschaft erwiesen. Die Lehrmeinung ändert sich. Die Überwindung dieser Ausrutscher setzt allmählich ein. Die Einsicht reift, dass die Natur als Waldgestalterin unübertroffene Qualitäten hat. Ein weiteres Beispiel: Die Gewässerkorrektionen ihrerseits werden, wo immer Einsichten vorhanden sind und es die Verhältnisse erlauben, rückgängig gemacht, wobei der Kultur-, Bildungs-und Wasserkanton Aargau eine Pionierrolle spielt. Hier ein paar Details dazu:
Mehr Platz für Flüsse
Auf den „Auenschutzpark Aargau“, die Wiederherstellung von Auen neben den grossen Flüssen betreffend, habe ich schon mehrere Lobeshymnen abgesungen. Die diesbezüglich umfangreichsten Landschaftsveränderungen spielen sich sozusagen vor meiner Haustür ab, drüben im Schachen zwischen Aarau/Rohr und Rupperswil/Auenstein, rechtsufrig neben oder mitten in der Aare; der Spaziergang an die nahen Orte des Geschehens dauert weniger als eine halbe Stunde. Bei Auenstein gab es grosse Dämme, die nun zum Teil eingerissen sind, damit sich die Aare bis zu vorgegebenen Grenzen, wo die Kulturlandschaft Oberhand behält, frei bewegen kann.
Wo einst der trostlose Rupperswiler Fussballplatz war und im weiteren Umkreis haben die Bagger im Jahr 2011 freundlicherweise fleissig gewirkt und eine dynamische Flussaue wiederhergestellt, die selbstverständlich bis zur üppigen Besiedelung mit Pflanzen und Tieren noch einige Zeit braucht. Aber schon jetzt ist das Gebiet derart attraktiv, dass ganze Menschenkolonnen diese neu entstandene Welt, das Herzstück des Auenschutzparks, besuchen und wohl auch bewundern.
Am 26.12.2011, als die milde Sonne bis in diese Niederungen vorgedrungen war, machte ich einen nachmittäglichen Verdauungsspaziergang von der einspurigen, durch eine Insel zweigeteilte Aarebrücke rund 500 m unterhalb des Wasserkraftwerks Rupperswil-Auenstein; der Flussübergang war zusammen mit dem Werk um 1942 erbaut worden. Ich wanderte bis in die Nähe von Wildegg AG, dem Hochkamin der Jura-Cement-Fabriken (JCF) zusteuernd.
Das Wort (Auen-)Park für eine aus Menschenhand geschaffene Anlage mit Rabatten, Baumpflanzungen und dergleichen mehr hat zurzeit am Aarelauf noch eine gewisse Berechtigung. Doch je deutlicher die Natur das gestalterische Zepter übernehmen wird, umso weniger wird es zutreffen. Die vertraute Landschaft hat sich rückwärts verändert. Und wir empfinden das als schön, vielleicht weil wir unsere Kindheit suchen ... aber nur Attrappen, das heisst Nachbildungen, finden. Das dahingegangene Lebensgefühl des Naturalismus, das wir vor allem noch aus alten Zeichnungen kennen, erwacht – die Natur als übermächtige Wirklichkeit, als regulierendes Gesetz.
Plötzlich geht alles schnell. Unterhalb der Brücke Rupperswil/Au-Auenstein trennt eine spitz zulaufende, lanzettliche Insel aus schön gefugten Steinquadern und einigen liegend eingebauten Baumstämmen ein Seitengewässer vom Aarehauptlauf ab. Dieser Wasserteiler, in den etwa 3000 Tonnen Granitsteine aus dem alten, nach allerhand Widerständen entfernten Damm eingebaut wurden, wird sicher bald überwachsen sein und, wo die Baumstämme integriert sind, mit der Zeit etwas zerfallen, so dass sich der Eindruck von mehr Naturnähe ständig vergrössern wird.
Das 1,5 km lange Seitengewässer wurde anfangs November 2011 nach einer knapp zweijährigen Bauzeit unter der Projektleitung von Bruno Schelbert geflutet. Aus dem Rinnsal und den von Fliesswasser nur minim bewegten Tümpeln bei Vertiefungen wurde nun ein vitaler Fluss, der einigermassen sein Eigenleben führen darf. Noch im Herbst 2011 habe ich das im Entstehen begriffene Seitengewässer barfuss überqueren können. Da und dort gekippte Bäume wurden selbstverständlich nicht ab- bzw. aufgeräumt, so dass ein naturbetontes Bild entstanden ist. Es wird ein Faszinosum sein, dieses Gebiet immer wieder zu besuchen, die Veränderungen mitzuerleben, die insbesondere durch willkommene Überschwemmungen beschleunigt werden.
Die Flussufer aus grobem Kies und Sand und herumliegenden Baumstrünken erinnern hier und dort noch an den Einsatz der Bagger; diese Spuren werden bald ausradiert sein. Noch aber kommt man als Spaziergänger im Molassetrog am Jurasüdfuss zu Begegnungen mit Studienobjekten zur Geologie, Kalken aus der Juraformation und geschliffenen Steinen vom Schwarzwald, die vor erdgeschichtlichen Zeiträumen von Norden her ins Becken verfrachtet wurden.
Lok erzählt die Vorgeschichte
Die vorangegangene Landschaftsveränderung in diesem Gebiet aber geschah vor verhältnismässig kurzer Zeit. Davon erzählt die Feldbahn-Lokomotive „Auenstein“, die im Auensteiner Schache (in der Nähe von Werkhof und Feuerwehrmagazin) unter einem schützenden Dach ihren Ruhestand geniesst. Sie war zusammen mit 30 anderen Loks zwischen 1944 und 1947 auf einem Streckennetz von 35 km Länge im Einsatz und transportierte mit diesen zusammen nahezu 3 Millionen Kubikmeter Aushub-Material bis Biberstein und Wildegg, wie auf einer Informationstafel des seit 2005 bestehenden Vereins Dampflok Auenstein (Präsident: Heinrich Frey) nachzulesen ist. Nach diesen Angaben kam die relativ kleine, schwerfällig anmutende Lok 1958 noch für eine Pistenverlängerung des Flughafens Kloten zum Einsatz und rostete dann bei einer Autoabbruchfirma in Kaufdorf BE still vor sich hin. Sie wurde vom erwähnten Verein nach Auenstein zurückgeholt, in 3500 Fronarbeitsstunden gründlich renoviert, und viele Gönner beteiligten sich finanziell. Die Lok präsentiert sich heute als gepflegtes Schaustück. Das mit Wappenflaggen mit Rosenrosetten geschmückte, ausrangierte Arbeitstier, dessen Tender als Blumenkiste dient, erinnert an die Dammbauten, die zur Zeit des 2. Weltkriegs errichtet wurden.
Die Auensteiner Südlage gleich nebenan hat in den letzten Jahren zu einer starken Zunahme der Wohnbautätigkeit geführt, ähnlich wie im westlich angrenzenden Biberstein. Für diese Lebensräume wie auch für den ganzen Raum Aarau erweist sich die Aare-Renaturierung als eine zusätzliche Attraktion, als eine herzerfreuende Lektion in Ökologie während allen Jahreszeiten und zugleich als fortgesetzte Bereinigung der Landschaftsgeschichte.
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