BLOG vom: 19.01.2012
Beznau-Rundwanderung: Im Herzen der dichten Energieregion
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Die Kriminalgeschichte lehrt, dass Täter tatsächlich häufig an den Tatort zurückkehren und dass dies nicht nur eine Redensart ist. Oft geht es einfach darum, die Kontrolle über das weitere Geschehen zu behalten oder einfach: um den Fortgang der Geschichte mitzuerleben.
Weil ich mich während meiner aktiven Berufsjahre als Redaktor am bürgerlichen „Aargauer Tagblatt“, dem auch die Energiepolitik anvertraut war, immer wieder bei oder in Kernkraftwerken aufhielt, ist es wohl nicht erstaunlich und nur folgerichtig, dass ich jetzt, im höheren Alter, immer wieder an Tatorte zurückkehre. So geschah es auch am 14.01.2012, als ich mich bei eiskaltem, sonnigem Wetter wieder einmal auf die grosse künstliche Aareinsel Beznau begab, auf der die beiden identischen Kernkraftwerkblöcke 1 und 2 als „Kernkraftwerk Beznau“ pro Jahr zusammen rund 5 Milliarden kWh Elektrizität erzeugen und 8 benachbarte Gemeinden mit Fernwärme versorgen („Refuna“). Die beiden Reaktorblöcke arbeiten seit 1969 bzw. 1973 untadelig, abgesehen von kleinen Havarien; man kann ihnen nichts vorwerfen. Sie sind die ältesten der 5 Schweizer Kernkraftwerke.
Am unteren, südöstlichen Beznau-Inselzipfel bzw. am Ende eines künstlichen Oberwasserkanals, fischt das zwischen 1898 und 1902 erbaute Niederdruck-Wasserlaufkraftwerk Beznau im Jahresmittel 130 Mio. kWh Elektrizität aus dem Fluss, der 11 Propellerturbinen in Schwung hält. Das Wasserkraftwerk nutzt das Aare-Gefälle auf einer Strecke von 7,4 km. Das reicht für etwa 8000 Haushalte. Das Geschwemmsel wird zur Reinigung der Aare mit schräg gestellten Rechen (Gitterstäben) aufgefangen, aus dem Fluss geholt und ordnungsgemäss entsorgt. Zudem steht auf der energiegeladenen Insel noch ein 380-kV-Unterwerk der Axpo (vormals NOK = Nordostschweizerische Kraftwerke AG), ein dichtes Gewirr aus Schalt- und Leitungsanlagen – ein Wunder, dass sich der Strom darin nicht verirrt.
Das Zurzach-Gebiet (Zurzibiet) ist die erstrangige, dichteste Stromregion der Schweiz, der Aargau seinerseits der bedeutendste Stromkanton der Schweiz. Dass ausgerechnet eine Aargauerin, Bundesrätin Doris Leuthard, am 25.05.2011 aus wahltaktischen Gründen voreilig und offensichtlich ohne die Folgen bedacht zu haben, den Ausstieg aus der Kernenergie zu propagieren begann. Das war ein Aberwitz, der die Schweiz in mancherlei Hinsicht sehr teuer zu stehen kommen wird. Auch weil dadurch die Kernenergieforschung weitgehend abgemurkst wird – mit dem Sinnbild PSI und dem Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung (EIR) im nahen Würenlingen AG.
Wer einen Ausflug in den Raum Schloss Böttstein/Beznau/(Klein-)Döttingen unternimmt, sucht infolgedessen nicht purlautere Natur – diesbezüglich kenne ich attraktivere Gebiete –, sondern er interessiert sich für die Technik mit ihren landschaftsgestalterischen Dimensionen. Und im Zusammenhang mit den momentanen Energiediskussionen unter dem Motto „schrittweiser Ausstieg“, kein Resultat tief schürfender Überlegungen, sondern des reinen Post-Fukushima-Populismus, wäre es angezeigt, wenigstens hinterher den kühlen Sachverstand wieder etwas aufzupolieren.
Das Axporama beim Schloss Böttstein
Wer von Brugg aus das Aaretal hinunter fährt, wendet sich bei Rein der Gemeinde Villigen zu. Und nach der Passage des angesehenen Paul-Scherrer-Instituts (PSI), ein vielgestaltiges Forschungsinstitut mit starkem Energiebezug, erreicht er nach dem Schmidberg genannten Hügel alsbald das schöne Schloss Böttstein, hoch über dem linken Aareufer und direkt gegenüber der Beznau-Kraftwerke. Der Name von Schmid verweist auf eine adlige Familie aus dem Kanton Uri, die das Schloss 1674 erwarb, Die Familie, die u. a. den bekannten „Hauptmann“ Joseph von Schmid hervorbrachte, sorgte für Wohlstand in der Gegend, wie es heute noch die Energieproduktionsanlagen tun. Das heutige Schloss, 1607 erbaut, ist ein währschaftes Herrenhaus mit einem baumbestandenen Innenhof, mit den bemalten Fensterläden, bei denen gelb-schwarze, gewellte Strahlen vom Zentrum ausgehen. Es dient seit 1974 als Landgasthof, in dem auch Wanderer willkommen sind. Zur Anlage, die einen durch und durch einladenden Charakter hat, gehört auch eine Schlosskapelle.
Gleich daneben hat die Stromproduzentin Axpo AG, die heute rund 1800 Arbeitskräfte beschäftigt, sich an den höchsten Sicherheitsstandards misst und in der Nordostschweiz etwa 2,5 Millionen Personen mit Strom beliefert, 2006 das Besucherzentrum Axporama eingerichtet. Darin erhalten Kinder und Erwachsene auf spielerische Art ein Grundwissen in Energie vermittelt: Es gibt Angaben zu den natürlichen Energien wie Sonne und Wind, über den Energieverbrauch, Biogas, Wasserkraft und Kernenergie; vor und Nachteile der Stromproduktionsarten sind aufgelistet. Der Eintritt ist frei; für Gruppen von 4 und mehr Personen wird gratis auch ein Führung angeboten (www.axpo.ch/axporama).
Spaziergang über die Beznau nach Döttigen
Vom Innenhof des Schlosses Böttstein aus führt eine Treppe und dann ein Zickzackweg hinunter zum Aarekanal; man hat auf diesem Weg die Fassade der Kernkraftwerke Beznau direkt vor sich. Der Aarebogen ist am Prallhang betoniert und am oberen Ende der Befestigung mit einer betonierten Plattform versehen, die sich im Normalfall gut als Fussweg eignet. Beim Wehrkraftwerk kann der Wanderer auf die Insel Beznau hinüber gelangen. Er passiert neben hohen, doppelten Sicherheitszäunen und einem Heer von Überwachungskameras die Kernkraftwerke Beznau 2 und dann 1 mit ihren kuppelförmigen Sicherheitsgebäuden. Er folgt somit dem Oberwasserkanal mit den Kühlwassereinläufen. In der unteren Inselhälfte führt eine Brücke schräg über den Kanal ins Gebiet Junkerhau und damit aufs Festland. Man folgt dem Kanal zum hydraulischen Kraftwerk, ein lang gezogener, klassischer Industriebau von damals. Dann folgt der Spaziergänger dem Aarelauf auf einem breiten Fussweg gegen Döttingen, fast ohne die sich verdichtenden Infrastrukturanlagen auf der Böschung zu bemerken. Erst nach einer knapp halbstündigen Marschzeit wird er von der Zivilisation im Gebiet „Chäppeli“ wieder voll erfasst. Das Schwimmbad ist auf seiner ganzen Länge durch eine rund 2 m hohe Betonmauer von der Aare abgetrennt – eine Zumutung an die Badenden; nur im dorfnahen Teil gibt es einige Durchblicke, weil Beton durch ein stabiles Gitter ersetzt ist.
Döttigen ist ein ausserordentlich überschwemmungsgefährdetes Dorf, weshalb sich neue Betonmauern, die da nicht einfach als Sichtschutz dienen, der Aare entlang fortsetzen. Auf der Höhe des Ortszentrums führt eine breite Stassenbrücke nach Kleindöttigen, auf welcher der heilig gesprochene St. Niklaus von Myra seines Amts als Schutzpaton der Flösser waltet, obschon es seit den Kraftwerkbauten keine Flösser mehr gibt. Dabei hätte der freundliche Niklaus gerade bei der italienischen Insel Giglio in der Toscana viel zu tun gehabt, wo das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ zu nahe an die Küste gesteuert wurde und umkippte. Ein tragischer Fall.
Döttingen – Böttstein
In Gedanken versunken wanderte ich linksufrig zum Schloss Böttstein zurück. Die Sonne tauchte allmählich hinter den gelichteten Baumkronen unter und verhalf noch dem Sumpfgebiet „Weerd“ mit den Weihern hinter dem Damm , eine kleine Auenlandschaft, zu einem silbernen Glanz. Der Mergelweg führt in einem leichten, dem Aarekanal angepassten Bogen, durch den Wald, dessen Laub am Boden lag und manchen einen Durchblick ermöglichte, dem Schlossgebiet Böttstein entgegen.
Beim Beginn des betonierten Damms, dem Ausgangspunkt meiner Rundwanderung, folgte ich einem gelben Wanderwegweiser unter einem ausserordentlich steilen Rebhang aufgrund der Vermutung, das sei der kürzeste Weg zum Schlossparkplatz, wo mein Prius wartete. Neben dem Rebhang dreht der Weg und steigt steil an. Doch dann kam ich nicht mehr weiter. Ein Berg von abgesägtem Gebüsch und Bäumen versperrte den Aufstieg. Für eine Umgehung war der Hang zu steil und zu feucht. Bei schwindendem Tageslicht ging ich zur Aare zurück, wanderte weiter gegen den Strom und sah bald einen anderen Weg, der in den Hang verlief und mit kleinen Übergängen die Bachseiten wechselte. Dann stieg der Pfad, der sich vom Frost nicht hatte befreien können, steil gegen das bewohnte Gebiet im „Graben“ an. Ein grosses, etwas verformtes Trampolin, das offenbar vom Winde verweht worden war, lag mitten auf dem Weg, konnte immerhin umgangen werden. Doch unmittelbar danach stand ich vor einem Holzhag mit gekreuzten, oben spitzzulaufenden Latten und einem Gartentürchen, das mit einer Kette und einem Sicherheitsschloss versiegelt war. Der dahinter abgelagerte Bauschutt taugte nicht als Rampe. In einem nahen Haus brannte Licht, und kein Hund bellte – trotz der Warntafel „Hier wache ich!“
Und hier stand ich. Da die Anlage einen wenig einladenden, abweisenden Eindruck machte, kehrte ich noch einmal zur Aareböschung zurück, wanderte auf der Betonverbauung bis unters Schloss Böttstein weiter und machte mich an den Aufstieg auf dem bekannten Zickzackweg, auf dem ich meine Wanderung begonnen hatte. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen.
Das KW Beznau war in der Dunkelheit nun festlich beleuchtet. Das war auch gut so. Schliesslich verbraucht man die Elektrizität am besten gleich dort, wo sie produziert wird. Übertragungsleitungen sind in diesem Fall überflüssig.
Damit rundet sich alles.
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