BLOG vom: 26.03.2012
Reflexionen übers Kochen im kleinen und grossen Umfang
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Wenn Sie für 2, für 20 oder gar für 200 Personen dasselbe kochen, wird das Resultat ganz unterschiedlich ausfallen. Erwärmen Sie zum Beispiel eine beliebige Masse in einem kleinen Pfännchen einer- oder in industriellen Massstäben in einem beheizbaren 1000-Liter-Kessel anderseits, spielen sich vollkommen verschiedene physikalische und chemische Prozesse ab.
Zwischen der Verteilung der Wärme und der Löslichkeit in einer Suspension bestehen enge Beziehungen. Daraus ergeben sich neue Anforderungen an die Operationen des Mischens. Die Konstruktion der Rührer sind in grossen Kübeln von Bedeutung (rotierende, vibrierende Rührer), sogar die Rührerform (Blatt-, Gatter-, Anker- oder Propellerrührer). Ihre Geschwindigkeit und Grösse haben Einfluss auf das Kochgut; bei kleinen Mengen sind die Verhältnisse einfacher. Die Viskosität und damit das Fliessverhalten, die Sedimentationsgeschwindigkeit usf. spielen mit. Ich weiss das noch von meiner Forschungstätigkeit bei der Roche AG in Basel her; im „Kilolabor“ mussten wir die in Gramm-massstäblichen Laborversuchen ausgearbeiteten Rezepte für die Produktion im Kilogrammstil umarbeiten, was ganz neue Technologien erforderte.
Bei grösseren Mengen wird zum Beispiel die Dauer der Aufheizung länger, der Kontakt des Kochguts mit der Wärmequelle vermindert und über eine längere Zeit verteilt, und in diesem Fall hier muss intensiver gerührt werden (mit der Gefahr der mechanischen Beeinträchtigung), damit die Wärme jede Stelle erreicht. Oft ist eine grosse Sorgfalt mit dem Gefühl für den richtigen Zeitpunkt für ein hervorragendes Gelingen nötig, so etwa beim Risotto-Kochen.
Wenn zu Beginn der Zubereitung der Reis ins heisse Fett/Öl gegeben wird, müssen die Reiskörner durcherhitzt werden, und dazu ist es nötig, ununterbrochen zu rühren, was eine Maschine ebenfalls könnte. Die Reisstärke wird derart verändert, dass sie eine cremige Konsistenz erhält. Jetzt muss der Fonds etappenweise zugefügt werden. Man schüttet nach, wenn der Fonds aufgesogen wurde und rührt und rührt. Der Reis nimmt Flüssigkeit auf, und die Stärke wird von der Oberfläche der Körner freigesetzt, wodurch der Risotto samtig wird. Solche Vorgänge könnte man gewiss auch elektronisch steuern, aber ich wage zu behaupten, dass die Zuwendung und das Fingerspitzengefühl des Kochs unübertrefflich sind und die besten Resultate hervorbringen.
Zudem spielen die Wärmequalitäten eine Rolle: Das Kochen auf Holzfeuer, Gas oder Elektrizität hat verschiedene Auswirkungen; das Holz-und das Strohfeuer sind ideal. Gas kommt nahe daran heran; aber der elektrische Kochherd, der Induktionsherd und insbesondere der Mikrowellenherd fallen weit ab. Man kann das beim Essen leicht feststellen. Der Grund liegt wahrscheinlich bei den elektromagnetischen Schwingungen, welche Feinstofflichkeiten zertrümmern.
Nahrungszubereitungsprozesse im Haushaltsstil und solche in industriellen Dimensionen sind nicht zu vergleichen. Als im „Kassensturz“ des Schweizer Fernsehens vor längerer Zeit eine hausgemachte Basler Mehlsuppe mit einer Basler Beutelmehlsuppe vergleichend degustiert wurden und die Beutelsuppe abgefallen war, sagten die Industriesuppenproduzenten sinngemäss, sie hätten sich wohl ans überlieferte Grundrezept gehalten, doch der industrielle Herstellungsprozess erfordere eben ganz andere Verfahren. Das trifft den Kern der Sache.
Allerdings wäre es eine verkürzte Annahme, würde man feststellen, das häusliche Zubereiten sei der industriellen Grossproduktion im Zeichen der Rationalisierung immer überlegen. So kann man beispielsweise einen ausgezeichneten Blätterteig, der etwa 200 Mal gefaltet und in den das Fett perfekt eingearbeitet ist, praktisch nur maschinell herstellen. Zudem: Wer mag ein Blätterteiggipfeli vor dem Frühstück von Grund auf eigenhändig zubereiten? Selbst hauchdünne Fasnachtschüechli aus der industriellen Produktion schmecken eher besser, vorausgesetzt natürlich, dass erstklassige Zutaten verwendet wurden. Und unumwunden gebe ich zu, dass ich bevorzugt rote und weisse Bohnen aus der Büchse verwende, weil ich das Gefühl habe, die Industrie beherrsche das Kochen von getrockneten Hülsenfrüchten besser als ich.
In Haushalt und Industrie sind die Ellen ungleich lang. Die häusliche Küche kann mit Rohstoffen aus der Nähe (Gartenfrische) arbeiten, braucht die Zubereitungen nicht zu konservieren, zu verpacken, herunterzukühlen und über verschiedene Wege und Umwege dem Verbraucher zuzuführen. Nur wenige Gerichte danken das Aufwärmen mit so viel Lustgewinn wie das Sauerkraut. Manchmal entstehen beim Verdoppeln der Koch- und Backprozesse neue Produkte: Zwieback, Fried Rice nach asiatischer Art (in der Pfanne zusammen mit allerhand Zutaten gebratener Reis), Altbrot (erhält eine neue Geruchs- und Geschmacksdimension) usw.
Die Industrienahrung kommt dem Zeitmangel, der Bequemlichkeit und der schwindenden Bedeutung des genüsslichen Essens entgegen und fördert diese Zeitzeichen allein schon dadurch, dass es die Industriekost gibt. Sie ist eine logische Folge der Rationalisierung in fast allen Lebensbereichen (mit Ausnahme des Herumtelefonierens), dem Bedürfnis nach Zeiteinsparung. Allerdings wird die gewonnene Zeit nur in Ausnahmefällen für Betätigungen eingesetzt, welche die Lebensqualität verbessern.
Im Zeichen des Kulturzerfalls in den USA, weltweit imitiert, wird die für die Ernährung aufgewendete Zeit als Zeitverschwendung heruntergemacht. Die McDonaldisierung lehrt, dass der Schnellfrass die zeitgemässe Ernährungsart ist. Kochbuchautoren sprangen auf den sich beschleunigenden Schnellzug auf und verkündeten immer nervösere Zubereitungen von der „schnellen Küche“ bis zur „Blitzküche“, wozu der Schnellfrass (Fast Food) als Basis moderner Abfütterung gehört. Das kultivierte, genüssliche Essen wurde zum Fressen; für Tiere aber gilt dieses Wort nicht, da sie sich nach wie vor naturgemäss ernähren, zwingt man ihnen nicht ebenfalls Industriefood auf. Sie essen.
Die Architekten liessen die Küchen früh schon in weiser Voraussicht zu Aufwärmvorrichtungen schrumpfen. Das durchrationalisierte Kochen findet mit Hilfe industrieller Vorleistungen statt und braucht keine weiteren Vorkenntnisse.
Die Kochkunst wird zur Kunst des banalen Aufwärmens, passend zur tief unten einebnenden Globalisierung, die das Denken überflüssig macht und in der nächsten Phase dann wohl verbieten wird. Die Sache hat Tradition. Früher agierten die christlichen Kirchen bildungsfeindlich.
Die Milch für Kinder schlummert in trockener Form in Kindermilchschnitten, und ganze Gerichte werden im Plastikbeutel angeliefert. Die Kochkünste beschränken sich nur noch auf das Aufschneiden von Frischhalteverpackungen, die so heissen, weil sie das Verderben minim verlangsamen. Selbst der gewaschene Salat kommt aus dem Plastikbeutel, zu dem Fertigsaucen ideal passen. Einige Zusatzstoffe, die aus technologischen Gründen bei solchen Vorfabrikationen unumgänglich sind (etwa zur Verbesserung der Back-, Streich- oder Rieselfähigkeit), nimmt man in Kauf; man ignoriert sie, um sich den Appetit nicht verderben zu lassen.
Kinder brauchen keinen Hauswirtschaftsunterricht mehr; die eingesparte Zeit kann für Kinder ab 4 Jahren zur Förderung der Frühestsexualität verwendet werden, die via vorgezogenem Sexualunterricht von einigen Pädagogen mit grosser Inbrunst vorangetrieben wird. Ein weiteres Symptom des Niedergangs.
Viele Gaststätten geniessen die Segnungen aus den Industrieküchen: Convenience Food hilft, teure Arbeitsstunden einzusparen. Die Serviererin kann zwischenhinein die Mikrowellenschalter gleich selber betätigen, das von innen heraus dampfende Gericht schön arrangieren und mit einer garantiert frischen Petersilie garnieren, eine Spur von Ersatz für die meisten zerstörten Antioxidantien und Konsorten.
Die Nahrungsindustrie hat einerseits auf den veränderten Lebensstil reagiert und anderseits selber zu dessen Veränderung beigetragen. Dabei es ist keineswegs so, dass sie der Menschheit nur Schlechtes servieren und antun will. Ich habe in der letzten Zeit beim Studium von Verpackungen feststellen können, dass sie sich Mühe gibt, den (verkaufsbehindernden) Chemikaliencocktail abzubauen, die relative Naturbelassenheit zu fördern, mehr Naturprodukte zu verwenden und ihre Produkte noch schneller an den Konsumenten heranzutragen.
Es ergibt sich ein eigentlicher Wettlauf zwischen der Grossmutter-, der Mutter- und der Industrieküche, der bei rein zeitlicher Betrachtungsweise selbstredend von den Nahrungsunternehmen gewonnen wird; aber die bewährte häusliche Küche mit ihren immer neuen, spontanen geschmacklichen Ausprägungen wird niemals zu übertreffen sein. Wenn die Mütter oder Hausväter auch häufig ihr eingespieltes Rezeptreservoir herunterspulen, ist doch eine gewisse Abwechslung wegen der Tagesform der Köchin oder das Kochs, der wechselnden Intuitionen beim Kochen und die Beschränkung auf das, was an Zutaten gerade zur Verfügung steht, gewährleistet. Deshalb ist selbst eine ziemlich gleichförmige Hausküche auf Dauer zu ertragen. Der Verleider aber stellt sich ein, wenn sich streng Genormtes in immer unveränderter Form einstellt.
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Das kleine Pfännchen hat seine Vorteile. Die negativen Auswirkungen des Trends zur Grösse und zum endlosen Grössenwachstum bestätigen dies sinngemäss allerorten. Bequemlichkeit und Preisvorteile durch industrielle Rationalisierung sind attraktiv, und jedermann muss und darf selber bestimmen, worauf es ihm bei der Nahrungszufuhr ankommt: Tempo. Kaltes oder heisses Grausen. Genuss. Lustempfinden. Lebensstil. Man hat die Wahl.
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