BLOG vom: 12.04.2012
Visite in Château-d’Œx: Wo Ballonfahrer für Auftrieb sorgen
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Rund 12 Kilometer westlich von Saanen im Berner Oberland befindet sich ein anmutiges Dorf: Château-d’Œx (deutsch: Oesch; das Wort hat einen Bezug zu Wiesen und Weiden). Die Versammlung von teilweise wunderschönen Holzbauten ziert das waadtländische Pays d’Enhaut (Hochgau) und liegt am rechten Saane-Ufer. Weil es durch die Kette der Vanils vor den Nordwinden geschützt und häufig nebelfrei ist, hat es sich nicht nur zu einem Winterkurort, sondern auch zu einem Zentrum der Ballonfahrer entwickelt, wie ich annehme. Seit 1979 wird alljährlich eine internationale Heissluftballonwoche veranstaltet. Bereits beim Abflug ist man auf fast 1000 m Höhe. Allerdings können starke Fallwinde an den Berghängen gelegentlich für Ballonfahrer gefährlich werden; doch Ballonfahrer kennen sich aus.
Dank des normalerweise milden Klimas haben sich die Berghänge zu richtigen Blumengärten entwickelt. Geologisch handelt es sich beim Raum Château-d’Œx um eine Flyschmulde mit Schiefern, Sandsteinen und Konglomeraten.
Die Geschichte des Pays d’Enhaut, Zankapfel zwischen den Grafen von Greyerz und Bern, war seit der ersten Ansiedlung von Gallo-Römern und Burgundern turbulent. Von 1000 bis 1554 war das Land im Besitze der Grafen von Greyerz, und die Bevölkerung wurde oft für Kriegsdienste eingesetzt. 1555 kam das Pays d’Enhaut bei der Teilung der Beute der Schlacht bei Murten gegen Karl den Kühnen zu Bern (Freiburg verzichtete). Bern setzte die Reformation durch und liess die Talschaft der Reihe nach von 44 Landvögten verwalten. Nach dem Sturz Berns am 05.03.1798 wurde Château d’Œx gegen den Willen seiner Bewohner an den Kanton Waadt verwiesen, woran sich die Menschen allerdings bald einmal gewöhnt haben sollen.
Bei einem Besuch des Tals spürt man den welschen Einfluss deutlich. Dazu trugen auch 3 Brände bei, welche Château-d’Œx am 22.05.1664, am 01.04.1741 und am 28.07.1800 verwüsteten und alte Kulturspuren tilgten; beim 3. Brand wurde sogar die auf einem Hügel über dem Dorf thronende Kirche von den Flammen erfasst.
Die Gemeinde hat ein lebendiges Dorfzentrum, dessen Strassen und der Platz oben an der Grand Rue beim Hôtel de Ville soeben mit verschiedenen Natursteinen neu belegt und geschmackvoll gestaltet wurden; ein Brunnen mit langen Wasserläufen belebt das Ortsbild mit seinen Bauten aus dem frühen 19. Jahrhundert. Und auch ein bronzener Bär steht noch herum.
Rund ums Kerndorf gibt es verstreute Siedlungen und Einzelhöfe – und allzu viele fabrikmässig hergestellte Châlets als kalte Zweitwohnungen, oft Massenware ohne Authentizität. Die reformierte Pfarrkirche ihrerseits schaut vom eigenen Hügel ohne einen Anflug von Arroganz aufs Dorf hinab. Sie wurde nach dem Brand von 1800 wieder aufgebaut und hat die spätmittelalterliche Architektur bewahrt. Der ins Kirchenschiff einbezogene Chor ist mit einem Kreuzrippengewölbe überdeckt.
Die Gemeinde Château-d’Œx, zu der auch L’Etivaz an der Nordrampe des Col des Mosses gehört, brachte viele berühmte Männer hervor, wie etwa den Architekten Jean-Rodolphe Perronet (1708-1794) und die Banquiers Gebrüder Henchoz. Neuerdings steht der Lausanner Wissenschaftler und Abenteurer Bertrand Piccard hoch im Kurs, weil er am 01.03.1999 zusammen mit dem Briten Brian Jones als Co-Pilot ausgerechnet in Château-d’Œx mit dem „Breitling Orbiter 3“ zu seinem weltumrundenden Ballonflug startete und am 21.03 nach 45 755 km Fahrt in Ägypten landete. Der Jubel war grenzenlos und nachhaltig, schafften die beiden doch die erste Erdumrundung ohne Zwischenlandung.
Château-d’Œx weiss, was man solchen Helden schuldig ist. Bereits auf dem Verkehrskreisel vor dem unteren Dorfeingang grüsst ein stilisierter Ballon. Und beim oberen Dorfplatz ist in einem opulenten Haus mit farbigen Fensterläden ein Ballonmuseum entstanden, das ich am späten Sonntagnachmittag, 25.03.2012, kurz besucht habe (Eintritt: 10 CHF). Der Innenraum ist offen; denn schliesslich ist ein Ballon ein sperriges Fluggerät, und ein solches mit viel Farbenfrohmut ist hier fragmentarisch montiert. Daneben gibt es an den Wänden auf verschiedenen Emporen Ausstellungsstücke, die zur Geschichte der Luft- und Ballonfahrt gehören. Die letztere hat bekanntlich mit den Brüdern Montgolfier begonnen. Und immer wieder wird das Geräusch, das beim Entzünden und dem Brennen einer mit Sauerstoff gepushten Gasflamme zur Heissluftproduktion entsteht, eingeblendet, ohne dass von dieser akustischen Stimmungsmache, die einen Flammenstoss nachbildet, eine Brandgefahr ausgeht. Ein Film erzählt, wie man einen Ballonkorb flechten kann. Und auf Schautafeln wird erläutert, wie anspruchsvoll das Ballonfahren ist, weil Windrichtungen und Windstärken einbezogen werden müssen.
Vor dem Museum am oberen Dorfrand ist die gelbe Orbiter-3-Kapsel (eigentlich der Ersatz für den Korb auf Langstreckenflügen) zum Denkmal geworden. Das Ballonfieber grassiert in Château-d’Œx an vielen Orten mit innen beschrifteten Metallbögen, auch am Kirchweg.
Doch lebt der Mensch nicht von Ballonen allein. Deshalb werden im Ort auch regionale Produkte wie der L’Etivaz-Alpkäse verkauft, den ich in der „Boucherie et Laiterie de Château-d’Œx“ von Patrick und Eliane Buchs fand; sie haben den stimmungsvollen Laden am späten Sonntagnachmittag jeweils offen. Der von Kennern geschätzte und gelobte Käse wird im Sommer bis gegen 2000 Höhenmeter hinauf über dem Holzfeuer produziert und duftet schon etwas nach Alpenkräutern, die ihm die Würze einverle(a)ibt haben. Neben verschiedenem anderem Käse, auch solchem von Schafen und Ziegen, sind dort zudem traditionelle Wurstsorten zu haben, etwa solche aus der Boucherie campagnarde de L’Etivaz. Als ich tags darauf nochmals in diesem Laden vorbei ging, schenkte mir der Verkäufer eine Tranche hausgemachter Terrine, in die ein Schuss Absinth eingeflossen war und die ich nach meiner Heimfahrt über Greyerz und Bulle zu süsser Preiselbeerkonfitüre genüsslich vertilgte – Hochlandgefühle.
Schliesslich kann man auch hinsichtlich der Leibesfülle für einen Ballon sorgen, der zwar keinen Auftrieb hat, sondern im Gegenteil die Erdverbundenheit fördert.
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