Textatelier
BLOG vom: 01.05.2012

Bangalore: Ständige Jagd nach der Rarität Trinkwasser

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D, zurzeit in Bangalore/Indien
 
Ich gehe unter die Dusche. Badewannen gibt es hier in Bangalore zwar auch in einigen Wohnungen, sie sind aber kein Standard; meistens steht bloss eine Dusche zur Verfügung. Meine versorgt mich, wenn auch nur in einem dünnen Strahl, mit heissem Wasser. Der Boiler sei an ein Solarsystem angeschlossen, erklärt mir mein Vermieter. Ich muss millimetergenau mit den beiden Drehknöpfen die Einstellung vornehmen, damit der Strahl nicht zu heiss oder nur kalt ist.
 
Warmes Wasser zu haben, ist nicht selbstverständlich; denn es gibt viele Duschen, die nur kaltes Wasser haben. In preiswerten Hotels habe ich das öfters erlebt. Damit kann man in diesen Breiten auch leben. Es ist nicht so kalt, dass man anschliessend frieren würde.
 
Ich habe Glück, denn heute steht Wasser zur Verfügung. Es gab die letzten Wochen damit nämlich ab und zu Probleme. Neben oder unter dem Haus gibt es einen Wassertank, einen gemauerten Hohlraum mit 2 Kammern, der von oben durch eine Abdeckung hindurch gefüllt werden kann oder auch durch ein Rohr aus der öffentlichen Wasserversorgung. Es passen ungefähr 700 l Wasser hinein. Im Haus wohnen 5 Personen.
 
Das Problem hier war, dass dieser Tank irgendwo ein Leck hatte. Nach 2 Tagen war bereits die Hälfte des Wassers weg. Es war einfach durch dieses Leck ins Erdreich geflossen. Es war also notwendig geworden, einen Handwerker heranzuziehen. Der 1. hat zwar einiges abgedichtet, aber das kleine Loch nicht gefunden. Der 2. fand das Leck im Übergang von der 1. zur 2. Kammer.
 
Das hört sich so einfach an, aber finden Sie einmal einen Handwerker! Es ist wie überall: Er sagt, er komme morgen, dann wartet man vergebens, oder er ruft an, dass er die Strasse nicht gefunden habe oder hat eine ähnliche Ausrede. Letztendlich war er dann doch da, und nach anderthalb Tagen war der Schaden behoben, jedenfalls hofft das mein Vermieter. Als ich das Problem einer Kollegin schilderte, sagte sie mir, bei ihr gäbe es die gleiche Situation, und auch sie suche einen guten Handwerker.
 
Aus dem Wassertank wird das Wasser dann in einen 200-Liter-Tank, einen grossen, runden, schwarzen Plastikbehälter, elektrisch aufs Dach gepumpt. Diese meist schwarzen Behälter stehen auf fast jedem Haus: Gut sehen kann man das z. B. aus der Metro heraus, die auf 20 m hohen Stelzen über der Strasse daher kommt, so dass man als Passagier gut auf die Dächer schauen kann.
 
Es gibt noch das System, Regenwasser aufzufangen, das dann auch z. B. für die Wohnungsreinigung benutzt werden kann. Es ist nicht ratsam, dieses als Trinkwasser zu gebrauchen, denn bei den Abgasen, die hier in der Stadt in die Luft geblasen werden, geraten garantiert Schadstoffe ins Regenwasser. Jeder Bauherr eines Neubaus hat übrigens die Verpflichtung, ein Regenwasserauffangsystem einzubauen. Allerdings regnet es hier nur zur Monsun-Zeit, und die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Menge an Niederschlag in den nächsten Jahrzehnten nachlassen wird.
 
Ausserdem gibt es in manchen Häusern eine Grundwasserpumpe. Da die Stadt unterschiedliche Bodenverhältnisse hat, einmal Gneis und dann wieder Lehmboden, ist die Tiefe, in der das Grundwasser zu finden ist, unterschiedlich: von wenigen Metern bis zu 60 m, was allerdings davon abhängig ist, wie viel abgepumpt wird und wie regenreich der Monsun war.
 
Das Bangalore Water Supply Board und das Kanalisation Board (BWSSB) sind für die Versorgung der Stadt mit Trinkwasser verantwortlich. Über 80 % des Wasser für die Stadt wird den Flüssen Cauveri und Arkavathi entnommen und in die Stadt gepumpt, die auf etwa 920 m Höhe liegt. Die Flüsse entspringen in den West Ghats, also in jenem Gebirge, das sich in einiger Entfernung von der Stadt von Norden nach Süden durch verschiedene Bundesländer zieht. Der Fluss Arkavathi mündet zirka 90 km von der Stadt entfernt mit einem Wasserfall in den Fluss Cauveri. BWSSB bringt über einige Kilometer hinweg derzeit täglich 900 Millionen Liter Wasser in die Stadt, aber die eigentlich erforderliche Menge würde 1,35 Milliarden Liter für insgesamt 9 Millionen Menschen betragen.
 
Das Ergebnis ist Wassermangel. (Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, dass es in dieser grossen Stadt kein öffentliches Schwimmbad gibt.) Es gibt Gegenden, da kommt überhaupt nichts mehr durch die Wasserrohre an. Erschwert wird die Situation noch durch den täglichen Stromausfall von bis zu 60 Minuten Dauer, in der dann nichts gepumpt werden kann. Für unterversorgte Gebiete, vor allem im Osten der Stadt, in der auch ich wohne, hat die Behörde 42 Tankwagen im Einsatz; ausserdem versorgen noch 131 private Tankwagen diese Gebiete. Luxushotels z. B. werden täglich mehrmals pro Stunde angefahren.
 
Ist der Wassertank leer, ruft mein Vermieter eine der privaten Tankwagenfirmen an. Der Fahrer eines der Wagen kommt vorbei, was manchmal etwas länger dauert, macht den Tank voll und kassiert 500 Rupien für 700 l Wasser. Die vielen kleinen Slums in der Stadt (es wird die Zahl von 1000 genannt, einmal sind es 5 Mal 20 oder mehr Hütten oder Plastikplanenverschläge) bekommen das Wasser gratis. So sieht man täglich viele Menschen mit den bunten, einfarbigen bauchigen Wasserbehältern mit der engen Öffnung, deren Rand nach unten abgerundet ist und damit gut transportierbar, durch die Strassen laufen, öfters werden die Behälter auch von Frauen auf dem Kopf transportiert.
 
Laut BWSSB soll das Wasser Trinkwasserqualität haben. Viele Menschen trinken es auch. Entweder aus dem Kran (Hebevorrichtung mit dem Hals eines Kranichs) oder in den vielen Imbissbuden und an den Ständen stehen überall Plastikkannen, aus denen Kunden oder auch Vorbeigänger das Wasser kostenlos trinken, und zwar so, dass es ohne Lippenberührung in den Mund gegossen wird.
 
Es stehen immer wieder Meldungen von Erkrankungen durch verseuchtes Wasser in der Zeitung, also ganz ausschliessen kann man nie, dass es nicht in Ordnung ist. In Restaurants gibt es Wasserstellen mit Wasserfiltern; es werden Becher zur Verfügung gestellt. Auch das Wasser trinke ich nur ausnahmsweise in teuren Restaurants; wie gründlich und wie oft die Filter gereinigt werden, ist nämlich völlig unsicher.
 
In sehr vielen Haushalten gibt es einen durchsichtigen Wasserbehälter aus Plastik mit 20 l Inhalt, der versiegelt im Geschäft für 50 Rupien (rund 30 Eurocent) gekauft werden kann; ich habe mir auch einen solchen angeschafft. Er wird umgedreht auf einen runden Behälter, der nach oben offen ist, aufgelegt; der untere Behälter hat einen kleinen Kran, aus dem man dann das Wasser entnehmen kann. Der Austausch ist einfach: Man geht in einen Laden oder an einen Kiosk, die sie auch verkaufen und lässt sich den Behälter ins Haus liefern. Der Bote installiert ihn gleich und nimmt den leeren wieder mit. Das ist im Preis inbegriffen. In Deutschland sind solche Behälter in Firmen, Behörden usw. ebenfalls zu finden.
 
Natürlich können Sie auch überall Plastikflaschen mit Wasser kaufen, gekühlt oder ungekühlt, mit oder ohne Kohlensäure, für etwa 15 Rupien die Literflasche. Es wurde mir bei meinen ersten Indienaufenthalten immer gesagt, dass man bei den Flaschen auf die feste Versiegelung achten soll, denn man könnte auch an Flaschen geraten, die einfach am Wasserkran nachgefüllt worden sind.
 
Wie man sich denken kann: Trinkwasser ist bei der momentanen Hitze von 35‒38  Grad C am Tag enorm wichtig für den Körper und auf jeden Fall preiswerter als Fruchtsäfte. Diesen Genuss lasse ich mir aber trotzdem nicht nehmen. Mein Lieblingsgetränk ist „Mint lime“, im Mixer gut gemischter Zitronensaft mit zerkleinerten Minzeblättern. Es kostet 10‒12 Rupien pro Becher und schmeckt hervorragend, was man vom Wasser aus meinem Behälter in der Küche nicht unbedingt sagen kann, das ja auch nicht gekühlt wird. Aber dabei kommt es auch nicht so sehr auf Geschmack an!
 
 
Hinweis auf weitere Indien-Berichte von Richard Gerd Bernardy
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst