BLOG vom: 18.06.2012
Flohmärkte in Düsseldorf: Weisheit des lächelnden Lebens
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
Ein häufiges, sonntägliches Vergnügen ist für meine Frau und mich der Besuch eines Flohmarkts. Jeden Monat, meist an unterschiedlichen Wochenenden, finden 2 solche Märkte in Düsseldorf statt, einer auf dem Gelände und in den Hallen des Grossmarktes; einer auf dem weitläufigen Parkplatz der Düsseldorfer Messe im Norden der Stadt, und ausserdem gibt es noch einen mitten in Krefeld auf dem Sprödentalplatz.
Alle 3 sind auf ihre Art unterschiedlich: Auf dem Sprödentalplatz sind mehr Privatanbieter, auf dem Grossmarkt mischen sich Händler und Privatanbieter, und auf dem Messeplatz wird auch Neuware angeboten.
Während das Parken in Düsseldorf kein Problem darstellt, ist der Parkplatz am Sprödentalplatz schon morgens gegen 9 Uhr überfüllt, und man muss 1 bis 2 Kilometer in den Wohnbezirk ausweichen. Dort muss man dann meistens nicht bezahlen, im Gegensatz zu den ausgewiesenen Parkplätzen, die zwischen 2 und 3,50 Euro kosten.
Das Angebot ist vielseitig. Von Gebrauchs- und Luxusgegenständen, Spielzeugen und Möbeln über Kleidungsstücke aller Art bis zu CDs und Langspielplatten und natürlich Büchern ist ziemlich alles vorhanden, was man sich so denken kann. Die Dinge stammen entweder aus diesem Jahrhundert oder sind antik und antiquarisch.
Sie könnten noch einen leichten Überziehmantel für den Sommer gebrauchen? Kein Problem, den finden sie bestimmt! Sie interessieren sich für den „Kladderadatsch“, eine politisch-satirische Zeitschrift aus der Weimarer Republik? Auch die finden Sie hier. Ich habe heute ein Teleskop-Mikroskop erstanden und hoffe, die Objektive seien noch in Ordnung. Dazu kam ein wunderschönes Fotobuch „Mikrokosmos“ mit dem Untertitel „Das Volk in den Gräsern“. Die Insekten im Flug sind sehr professionell fotografiert, was auch schon vor 20 Jahren möglich war.
Natürlich kommen meine Frau und ich oft mit Dingen nach Hause, nach denen wir nicht speziell gesucht haben, denn es ist für mich immer wieder überraschend, was so alles in den letzten 100 Jahren produziert worden ist. Noch habe ich mich damit zurückgehalten, mir eine Modelleisenbahn in Miniformat anzuschaffen. Sowohl Gleise als auch Loks und Anhänger, wie auch Bahnhofanlagen, Häuschen, das gesamte elektrische Equipment ist zu bekommen.
Zur Fussball-Europameisterschaft erschien es mir passender, ein „Tipp-Kick“-Spiel zu kaufen, und ich freue mich schon darauf, es beim nächsten Besuch mit meinem Enkel zu spielen.
Während meine Frau nach Kleidungsstücken für die Enkelkinder und auch für sich selber schaut und oft auf „spottbillige“ Stücke guter Marken stösst, nehmen mich Bücher und CDs in Beschlag. Ich finde nicht nur beliebte Unterhaltungsliteratur und Krimis, die mich nicht besonders interessieren, sondern auch Bücher der Weltliteratur mir bekannter und unbekannter Schriftsteller und Sachliteratur aller Art. Und immer wieder stosse ich auf „Schätzchen“, die mich begeistern. Heute war es ein Buch von Lin Yutang mit dem Titel „Weisheit des lächelnden Lebens“ aus der Büchergilde Gutenberg in Frankfurt am Main D. Darin findet sich ein Kapitel mit der Überschrift „Von der Kunst, auf anmutige Weise alt zu werden“ und „Chins (ein Kritiker aus dem 17. Jahrhundert) dreiunddreissig glückliche Augenblicke“. Es verspricht auf jeden Fall, interessant zu werden. Ein weiteres Buch ist ein Taschenbuch von Johannes Jansen, „Verfeinerung der Einzelheiten“ aus der Edition Suhrkamp. Auf dem Buchumschlag auf der Rückseite steht „Die wenigen Eindrücke, die mir zum Leben notwendig erschienen, waren in ihrer Winzigkeit eindringlich genug, um ein Universum in ihnen zu entdecken.“ Ein Zitat aus dem Buch: „Völlig verzettelt auf dem Weg, das Wesentliche zu finden, war es uns doch denkbar erschienen, dass alles, was uns bestimmt sein könnte, bereits in uns wohnt.“ So etwas kann man doch nicht liegen lassen!
Es ist immer wieder überraschend, wie die Händler ihre Preise finden. So gibt es Händler, die ihre Bücher nicht unter 6 Euro verkaufen und andere, die auch gebundene Bücher für 1 Euro anbieten und Taschenbücher für 50 Cent.
Immer häufiger tauchen Händler auf, die offensichtlich Haushalte aufgelöst haben, mit einer ganzen Reihe von Kisten, in denen alles Mögliche unsortiert zum Herumwühlen liegt. Meine Frau mag diese Präsentation nicht, es erinnere sie zu stark daran, dass die bisherigen Eigentümer höchstwahrscheinlich verstorben sind, sagt sie.
Natürlich ist das Herunterhandeln des Preises Pflicht. So verhandelte meine Frau schon vor einigen Monaten mit einer Händlerin über eine hochpreisige Marken-Damenhose, die „das Sahneteilchen“ ihres Angebots sei. Heute ist sie über ihren Schatten gesprungen und hat ihr das Stück günstiger verkauft, als sie eigentlich wollte.
Selbstverständlich fehlen auch die Imbissstände nicht, und so gibt es zur Stärkung immer ein Brötchen mit Ei, und inzwischen sind auch die Stände bekannt, die einen hervorragenden Kaffee anbieten.
Die Art und Weise, wie die Händler ihre Ware persönlich anpreisen, ist auch immer wieder überraschend. Ein professioneller Händler, der mit einem Lieferwagen auch dem Gelände steht und darum seine Ware auf schmalen Tischen ausbreitet, ist schon aus 20 m Entfernung zu hören, so schreit er immer wieder sein „Kaufen Leute, hier ist es günstig!“. Oft wird bei Preisverhandlungen geduzt. „Das kanns’ du für 3 Euro kriegen, billiger kriegste dat nich’!“ Ein Händler spielt auf seiner Gitarre bekannte Schlager zwischen seinen Verkäufen; manchmal muss der Kunde auch warten, bis er zu Ende gespielt hat.
Viele Figuren, kleine Statuen, Bilder und andere Dinge empfinde ich als richtigen Kitsch. Heute bekam ich noch ein Gespräch einer Händlerin mit ihrer Kollegin mit. Die Verkäuferin erzählte, dass sie die Dinge, die sie ganz furchtbar fand, schon ganz früh verkauft habe.
Ein erfolgreicher Flohmarkttag ist natürlich auch wetterabhängig. Wenn es regnet, macht es einfach keinen Spass, und wenn es zwischendurch anfängt zu regnen, decken die Anbieter ihre Waren mit Plastik zu und man sieht nichts mehr. Spätestens dann ist es Zeit, aufzubrechen.
Irgendwie empfinde ich einen Flohmarktbesuch auch als sportliche Betätigung. Immer wieder bleibt man stehen, bückt sich, hebt etwas auf, sucht kniend die Bücherkiste durch. Man ist doch einige Stunden, nur durch die kleine Pause unterbrochen, in Bewegung. Meine Frau und ich sind danach immer müde. Dann können wir uns an unseren erstandenen Schätzen erfreuen.
Hinweis auf weitere Flohmarkt-Berichte
18.09.2010: Die geköpfte Helena auf dem Londoner Ramschmarkt
21.05.2006: Wie „Die Lorelei“ den Geduldsfaden schützen kann
29.10.2005: Das Flair der Flohmärkte: Trödel, Bücher, KuhglockenHinweis auf weitere Blogs von Bernardy Richard Gerd
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