BLOG vom: 09.07.2012
Die Übermacht der gebrochenen und der verdrehten Worte
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
„Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel.“
Charles Robert Darwin (1809‒1882)
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Heute Morgen gilt das und vielleicht schon am späten Abend das Gegenteil davon. Versprechen werden gebrochen, wie es sich gerade so ergibt. Am Ende übt man sich in der Kunst der Schönrednerei, der Verdrehungen oder des Totschweigens als Gegenstück zum Aufbauschen. Und inzwischen gibt es Politiker, bei denen das Verdrehen schon Programm ist. Sie sind ein Teil der Veränderung und müssen sich genau diesen Veränderungen eben anpassen. Das Palavern, einmal hüst (links), einmal hott (rechts, – in der Sprache der Zugtiere), geht weiter; es gehört zur Tagesordnung. Nichts gegen notwendige Anpassungen an veränderte Verhältnisse, aber alles gegen das ständige Liquidieren von Versprechen und von Grundsätzen.
Wenn die Medien falsch und (der Kürze zuliebe) unvollständig berichten, Fakten unterdrücken, kommt es darauf auch nicht mehr an. Man wurstelt sich durch, pflückt aus dem chaotischen Haufen ungeordneter und zerstückelter Informationen, was einem in den Kram passt. Und das Leben geht weiter, auf und ab, spiralförmig, dann im Zickzack. Der Mensch muss flexibel sein und alles mitmachen.
Verdrehungskunstwerke gab es schon immer, doch wohl noch nie in dieser Massierung wie in den letzten Jahren. Die Rechtstaatlichkeit hatte einst ihren festen, dominanten Platz. Wie die Männer als Opfer des Kampffeminismus, wurden ganze Völker weichgespült, unterworfen. In den zum Wachstum verpflichteten Wirtschaftsunternehmen läuft es genauso: Kein Stein bleibt auf dem anderen. Die Verunsicherung begleitet und verschlechtert als lähmendes Element die Arbeit; Ein- und Abstürze sind programmiert. Man sagt dem „New Economy“: Massenproduktion im Zeichen der weltweiten Vernetzung (Globalisierung) – eine potenzierte EU-Katastrophe. Hoch 3, eher hoch 4.
Die Erdoberfläche ist wegen solcher Plattwalzungen bald einmal kein Hort der Vielfalt mehr. Das Artensterben grassiert nicht nur bei Pflanzen und Tieren, sondern auch im Kleingewerbe, bei Läden, politischen Einheiten (Gemeinde- und Länderfusionen), und der Rest wird, dank der Geistesverwirrung namens Globalisierung, zu einem immer dichteren Netz verwoben. Die EU muss zum Einheitsstaat werden, wenn sie als Union überleben will, ein verhältnismässig lockerer Zusammenschluss individueller Nationen ist Gift für die Grossmannssucht. Ein einziges Loch in einem Netz bewirkt, dass das Netz als Ganzes zu nichts mehr taugt – aus einem kaputten Fischernetz schwimmen die Fische davon. Bei der erdweiten Vernetzung haben Abstürze und Pannen, die in der Vielfalt ohne weiteres verkraftet würden, Folgen für alle: Vernetzte Gebilde leiden mit, wenn etwas irgendwo schief geht. Nur das Internet ist beweglich genug, örtliche Pannen zu umschiffen – es scheint nach technischen Naturgesetzen zu funktionieren, ohne dass jemand weiss, wieso es eigentlich klappt.
Die Gesellschaft reagiert auf Einzelereignisse übertrieben, verrennt sich in einem unüberlegten Aktionismus, insbesondere nach den besonders beliebten Katastrophen, die medial bis zum Gehtnichtmehr ausgeschlachtet werden und ins Laufrad ständiger Wiederholungen geraten. Um dramatische Ereignisse drehen sich selbst die Alltagsgespräche, bei denen sich schwere Krankheiten als Motiv einer besonderen Beliebtheit erfreuen. Irgendwelche Vorkommnisse, selbst wenn sie ferne Kontinente betreffen, werden gierig herbeigezogen, um irgendwelche Hyperaktivitäten zu rechtfertigen, die sonst nicht durchzubringen wären, oder um Profilierungsgelüste zu befriedigen. Die Gedankenlosigkeiten lösen ihrerseits wieder Pleiten, Pech und Pannen aus, an die man sich anzupassen hat.
Siehe Fukushima-Erdbeben und -Tsunami, die eine unheimliche Verwüstung anrichteten und auch japanische Kernkraftwerke beschädigten. Nach neuesten Untersuchungen trugen auch menschliche Schlampereien dazu bei, wie man sie den zuverlässigen, disziplinierten Japanern noch zuletzt zugetraut hätte. Die Medien machten daraus eine reine Atomkatastrophe, ignorierten die Flut, soweit sie übersehen werden konnte. Die Politiker, kopflos geworden, nutzten die aufgeheizte Stimmung, dachten mehr an die nächsten Wahlen, wollten nur noch raus aus der Atomenergie und bedachten nicht, dass auch das gravierende Folgen hat. Als dann allmählich ans Licht kam, was das für die Umwelt und die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft heisst und kostet, begann das allmähliche Zurückkrebsen, das jetzt gerade im Gange ist.
Der politische Stil ist jetzt stillos. Leseprobe aus http://bazonline.ch vom 03.07.2012 zum Staatsvertrag der Schweiz mit Deutschland über die Anflüge auf den Flughafen Kloten: Auch wenn Bundesrätin Doris Leuthard das Gegenteil behauptet und einige Nationalräte, die nicht sehr nahe am Geschehen sind, ihr glauben: Der neue Vertrag ist nicht nur gegenüber heute, sondern auch gegenüber dem 2002 abgelehnten Staatsvertrag ein klarer Rückschritt.“ Das kam wenige Tage, nachdem die Verkehrsministerin der Schweiz eine 2. doppelspurige Autostrassenröhre durch den Gotthard mit dem gesetzlich festzunagelnden Versprechen verkauft hatte, das zweispurige Bauwerke werde selbstverständlich nur einspurig genutzt ...
Ausser Kontrolle und in viele widersprüchliche Behauptungen verpackt sind insbesondere die Finanzmärkte, die sich auf den GAU (den grössten anzunehmenden Unfall) zu bewegen. Die Krisensitzungen jagen sich rund um die Uhren, und es werden Löcher mit immer mehr wunderbaren, masslosen Geldvermehrungen gestopft, auch wenn alle wissen, dass dies eine reine Finanzkollaps-Vorbereitung ist. Hinter all den Kalamitäten stehen Kräfte, die auf diesem lodernden Feuer ihre Süppchen kochen und notfalls noch etwas Öl ins Feuer giessen. Bei der Niederhaltung des Konkurrenten Europa setzten die USA z. B. ihre Ratingagenturen ein, die auf undurchsichtigen Grundlagen schwer erkrankten Finanzinstitutionen in geeigneten Momenten den Todesstoss zu geben versuchen. Sie stufen herunter, damit das am meisten überschuldete Land, die USA, in seiner wirtschaftlichen Armut nicht so weit abgeschlagen auf weiter Flur steht.
Der Plan scheint aufzugehen. Die Europäische „Union“ ist krank. Und das Therapiearsenal, das täglich ausgeweitet wird, provoziert das Siechtum. Das sich immer deutlicher abzeichnende Auseinanderbrechen der EU ist ein überdeutliches Zeichen für die destabilisierende Wirkung des Supranationalismus (Europa als Einheitsstaat). 172 deutschsprachige Wirtschaftsprofessoren haben am 05.07.2012 ihrer Verzweiflung in einem Offenen Brief, einem Protestaufruf, an Bürger und Politik gewandt. Sie zeigen sich über die beim Gipfeltreffen der EU-Länder in die Wege geleitete Bankenunion besorgt. Dabei geht es um die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems. Wörtlich: „Die Bankschulden sind fast dreimal so gross wie die Staatsschulden und liegen in den 5 Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro. Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind. Banken müssen scheitern dürfen. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen sollte und auch kann: die Gläubiger selber, denn sie sind das Investitionsrisiko bewusst eingegangen und nur sie verfügen über das notwendige Vermögen.“
Verzweiflung herrscht auch im hereingelegten Österreich. „Die Presse“ vom 06.07.2012 brandmarkte die Geschichte der Euro-Rettung als eine „lange Kette von gebrochenen Versprechen“: „Hätten die Österreicher vor der Volksabstimmung über den EU-Beitritt 1995 gewusst, dass ihnen dieses Votum – neben zahllosen günstigen Auswirkungen – im Jahr 2012 plötzlich via Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) Haftungen für spanische Banken und andere Pleitekandidaten im südlichen Europa in Höhe von knapp 300 Milliarden Schilling in damaliger Währung aufhalsen wird, so wäre Österreich vermutlich heute noch nicht Mitglied der Europäischen Union. Denn der ESM ist so ziemlich genau das inhaltliche Gegenteil der damaligen politischen Eide, nie und nimmer für die Verbindlichkeiten anderer EU-Partner haften zu müssen, mit denen damals die Euro-Skeptiker sediert worden sind.“
Neben den Wirtschaftskriegen werden weiterhin heisse Kriege gefördert, um die „New World Ordner“ (Neue Weltordnung) schneller durchsetzen zu können, wie beim euphemistisch sogenannten „Arabischen Frühling“, wo allerdings die Demokratievorstellungen nach westlichem Muster oft Schiffbruch erleiden. Die Araber haben sich gefälligst in die Wertegemeinschaft einbinden zu lassen. Kriegerische Flächenbrände sind eine Wirtschaftsbelebung der besonders einträglichen Art. Die Schäden haben Andere zu tragen, werden sozialisiert – vor allem das verkaufte Volk, das nicht erfassen kann, was mit ihm geschieht. Beispiel: Bei einem liederlich geplanten Nato-Luftangriff im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet wurden im November 2011 nicht weniger als 24 pakistanische Soldaten getötet. Und es dauerte über ein halbes Jahr, bis sich die USA (Hillary Clinton) unter dem Druck der Verhältnisse zu einer Entschuldigung aufrafften ... damit die Nachschubwege für Kriegsmaterial durch Pakistan nach Afghanistan wieder freigegeben wurden. Von Unterstützungen der Hinterbliebenen der Todesopfer ist in solchen Fällen keine die Spur.
Im Moment wird von US-Geheimdiensten und westlichen Unterstützern der in 2 Lager aufgeteilten Söldner-Rebellen alles getan, um Syrien einen Krieg aufzuzwingen, das Land zu zerschlagen und gefügig zu machen; dieses Vorgehen gehört zu den besonders hässlichen imperialistischen Auswüchsen. Das syrische Volk leidet heute mehr als vorher unter dem Regime des brutalen Machthabers Baschar al-Assad; so viele Menschenrechtsverletzungen gab es wohl noch nie, wie selbst aus der konfusen, einseitigen, pro-westlichen Informationslage geschlossen werden muss.
Bei den mit Hinterlist komponierten Beunruhigung der arabischen Frühlingsländer, die eine breite Blutspur gezeichnet haben oder noch zeichnen, wird der Anschein erweckt, die ferngesteuerte Opposition bestehe aus lauter Friedensstiftern. Aufruhre gegen Machthaber, die aus der Bevölkerung hervorgehen, wären verständlich, von ausländischen Interessen diktierte und finanzierte Beunruhigungen und Bürgerkriege aber sind unerlaubte Einmischungen und provozieren Kriegsverbrechen. Der Krieg als Politik mit brutalen Mitteln basiert auf der verloren gegangenen Ethik und ebenso auf Geistesschwäche; denn Probleme müssten auf friedliche und intelligente Art angegangen werden.
Die Rhetorik und das Handeln driften zunehmend mehr auseinander. Die Welt ist polymorbid, leidet an einer Riesenmenge von Krankheitsbeschwerden. Und es ist wie in der Medizin: Die Behandlung ist oft folgenschwerer als die Krankheit selber.
Das Vertrauen ist kaputt, hat sich im Kleinen und Grossen in ein Misstrauen verwandelt, das dann selbst der Wahrheit, sollte sie wieder einmal auftauchen, ungläubig gegenübersteht.
Mattias Claudius sagte einmal, die grösste Ehre, die man einem Menschen erweisen könne, sei die, dass man zu ihm Vertrauen habe.
Irgendwo im grenzenlosen Riesenchaos muss noch ein bisschen gerechtfertigtes Vertrauen versteckt sein. Doch leider ist es heute fast unmöglich, es zu finden. Noch einmal „Die Presse“: „Der (...) an sich angebrachte Vertrauensvorschuss ist nicht nur aufgebraucht, sondern schon längst überzogen. Vertrauensmässig ist die (österreichische) Regierung ungefähr so pleite wie Lehman Brothers.“
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
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