Textatelier
BLOG vom: 04.08.2012

Feldberg-Botanik: Bärwurz, Blutwurz und Alpen-Milchlattich

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Am 31.07.2012 unternahm unsere Powerseniorengruppe eine Wanderung, diesmal auf den Feldberg (1493 m), den höchsten Berg des Schwarzwalds. Ausgangspunkt war der Parkplatz vor dem Naturschutzzentrum. Von dort führte uns der Weg an der Talstation der Seilbahn vorbei; dann wanderten wir links bergan über neu errichtete Steinstufen bis zur Abzweigung Richtung Felsenpfad. Im Wald ging es auf steinigen und wurzeligen Wegen nur langsam vorwärts. Nach 75 Minuten erreichten wir eine Anhöhe des Feldberggipfels. Wir strebten jedoch nicht auf die Aussichtsplattform und der höchsten Erhebung zu, sondern gingen rechts zum Baldenweger Buck und zur Baldenweger Hütte, wo wir ein kleines Mittagsmahl einnahmen (Spezialitäten: Heidelbeerwein, Käsespatzen, Schnitzel, Gemüsesuppe). Nach der Stärkung ging es wieder auf einem Teil des abenteuerlichen Felsenweges zurück zum Parkplatz.
 
An diesem Tag fuhr uns bei leichter Bewölkung ein eisiger Wind durch die Glieder. Ich schätzte die Temperatur an den windigen Stellen auf 10 °C (im Tal waren es 24 °C bei der Abfahrt in Schopfheim). An geschützten und sonnigen Plätzen war die Temperatur angenehm, so dass wir unsere Wanderjacken ausziehen konnten. Kaum war die Sonne hinter Wolken verschwunden, wurde es wieder kälter, und wir mussten mehrmals die Jacken an- und ausziehen. Aber einen Vorteil hatte diese Wanderung: Unsere Schweissproduktion hielt sich in Grenzen.
 
Wanderfreund Bernd, der als Pilzsammler schon Furore machte, entdeckte in der Nähe eines Baumes und teilweise unter Heidelbeerbüschen versteckt, 2 Steinpilze, die er dann auch mitnahm.
 
Da ich schon Blogs über Feldbergwanderungen verfasst habe (siehe Blogaufstellung am Schluss dieser Arbeit), will ich mich diesmal auf die botanischen Besonderheiten beschränken. Und an solchen gab es viele zu sehen. Das Feldberggebiet ist nämlich ein Eldorado für Pflanzenfreunde. Hier hat sich eine alpine Flora erhalten. Ich entdeckte auf dieser Exkursion folgende Pflanzen: Rippenfarn, Bärwurz, Arnika, Gelber Enzian, Johanniskraut, Wilder Thymian (Quendel), Baldrian, Pestwurz, Schafgarbe, Blutwurz (Tormentill), Wiesenkerbel, Schlangen-Knöterich (Wiesen-Knöterich mit seiner dickwalzlichen Blütenähre), Weidenröschen, Wald-Engelwurz, Dost, Kreuzkraut. Links und rechts des Felsenwegs befanden sich viele Heidelbeersträucher. Da konnten wir uns nicht mehr zurückhalten und begannen mit dem Naschen.
 
Später sah ich das Mädesüss (Spierstaude) und eine mir zunächst unbekannte Pflanze. Diese wurde dann von Heinrich Abraham und Frank Hiepe als Alpen-Milchlattich identifiziert (ich sandte nämlich beiden ein schönes Foto). In den deutschen Bestimmungsbüchern war diese Pflanze nicht aufgeführt, dagegen aber im Werk „Alpenblumen“.
 
Alpen-Milchlattich
Der zur Familie der Korbblütler gehörende Alpen-Milchlattich (Cicerbita alpina) ist eine krautige Pflanze, die mit ihrem unverzweigten Stängel 60 bis 140 cm hoch heranwächst. Mir fiel auf, dass an halbschattigen oder schattigen Plätzen im Wald die Pflanzen immer in die Höhe streben, als ob sie wüssten, dass sie auf diese Weise die meisten Sonnenstrahlen abbekommen. Besonders schön sind die etwas an einer Wegwarte erinnernden hellblauen Blüten, die sich dem Betrachter in einer Rispe am Ende des Stängels präsentieren. Bestäubt wird der Alpen-Milchlattich von Hummeln, Schwebfliegen und Käfern.
 
Die Pflanze ist bei den Bergbauern sehr beliebt, weil sie angeblich die Milchleistung der Kühe steigert. In manchen Gegenden der Westschweiz wird die Pflanze als Zugras für Futterzwecke gesammelt. Die Lappen sammeln die bitter schmeckenden Stängel und kochen diese in Rentiermilch. Dies ist für diese Bewohner des hohen Nordens ein Gemüseersatz.
 
Heinrich Abraham aus Leifers (Südtirol) schrieb mir in einer E-Mail am 01.08.2012 dies: „Der Alpen-Milchlattich ist eine sehr kostbare Wildgemüsepflanze, die in den alpinen Regionen Italiens zu Delikatessen zubereitet wird. Die Triebsprossen werden im Frühjahr gleich nach der Schneeschmelze gesammelt und in einem Essig-Ölgemisch eingelegt. Ein Glas mit 100 g Radicchio dell’orso (so heisst die Pflanze bei den Italienern) kostet zirka 35 Euro. Die Pflanze ist durch intensives Sammeln bedroht, so haben z. B. einige Regionen in Oberitalien Sammelbeschränkungen erlassen. In der Nachbarprovinz Trient läuft derzeit ein Kulturversuch mit Cicerbita alpina, woran auch ich indirekt beteiligt bin. Eine nicht einfache Kultur, denn man muss diese Pflanze im Halbschatten und an einem feuchten Standort anbauen. Der Kulturversuch ist teilweise gelungen, denn es wurden uns die Sprossen geklaut, zugleich auch die Pflanzen zerstört.“
 
Der Bärwurz-Schnaps
Die Bärwurz (Meum athamanticum) ist ein Doldenblütler. Das feine dillähnliche Laub und die Wurzeln haben einen kräftigen Geschmack. Man kann das Kraut als Salatbeilage, zur Herstellung von Kräuterkäse, Kräutersalz und Kräuterquark verwenden. Brennereien im Bayerischen Wald sind besonders erpicht auf die Wurzel, und sie stellen daraus den Bärwurz-Schnaps her. Es wird jedoch heute oft nicht mehr die Wurzel des Bärwurzes, sondern die des Mutterwurzes (Ligusticum mutellina) verwendet.
 
Der „Bärwurz-Schnaps“ wird in zylindrischen, braunen Steingut-Flaschen in verschiedenen Trinkstärken (40 bis 50 %) verkauft.
 
In der Volksmedizin wird die Wurzel bei Blähungen, Verstopfungen, Leber-, Nieren- und Blasenleiden und bei Magenbeschwerden angewandt (Infos unter www.baerwurzquelle.de). Die Bärwurz wird heute auch in der Hildegard-Medizin eingesetzt.
 
Blutwurz zur Magenstärkung
Die Blutwurz (Potentilla erecta) wird auch Dilledapp, Durmedill, Durmentill, Natter(n)wurz, Rotwurz, Ruhrwurz, Siebenfinder oder Tormentill bezeichnet. Die Pflanze mit den meist 4, manchmal auch 5 oder 6 gelb gefärbten Kronblättern ist unscheinbar und wird von den Wanderern oft übersehen.
 
Der Name Blutwurz kommt von der Wurzel, die beim Anschneiden einen roten Saft abgibt. In Baden wurde die Blutwurz gegen alle Krankheiten des Blutes, gegen die „rote Ruhr“ und sogar gegen die Pest verwendet. Eine Sage aus dem badischen Wiesental berichtet von einem Vogel, der ein Mittel gegen die Pest hatte, eben Durmedill und Bibernell. Der Vogel pfiff vom Himmel: „Ässt Durmedill und Bibernell, sterbt nüt so schnell.“
 
Aus dem Wurzelstock gewinnt man auch einen Schnaps, der zur Stärkung des Magens und bei Verdauungsbeschwerden verwendet wird. Nicht nur im Bayerischen Wald, sondern auch im Schwarzwald gibt es diese rot gefärbte Spezialität. So konnten wir neulich einen Blutwurzschnaps in einer Wirtschaft konsumieren. Der Wirt setzt die zerkleinerten Wurzelstöcke mit Obstler an, wie er uns erzählte. Es gibt aber auch alkoholische Auszüge (Tinktur) und einen Tee.
 
Interessant sind die Inhaltsstoffe. Neben 15 % Gerbstoffen (Tanninen) befinden sich in der Wurzel der rote Farbstoff Tormentol, das Glykosid Tormentillin, Falvonoide, Saponine, Phenolkarbonsäure, Harz, Gummi und ätherische Öle. Der Saft hat eine interessante Wirkung. In Laborversuchen wirkte dieser hemmend auf das Wachstum von Bakterien und Viren.
 
Der Saft wirkt zusammenziehend und entzündungshemmend. Die Zubereitungen (Tee, verdünnte Tinktur) werden in Form von Spülungen oder Pinselungen bei entzündlichen Erkrankungen der Mund- und Rachenschleimhaut, bei Entzündungen des Zahnfleisches, entzündete Mandeln und Prothesendruckstellen verwendet. Eine Kompresse oder ein Umschlag ist hilfreich bei aufgesprungenen Lippen, Frostbeulen und Ekzemen.
 
Die Zubereitungen wirken auch gut bei Durchfallerkrankungen und bei Magenproblemen nach einer üppigen Mahlzeit. Meine Wanderfreunde sind begeistert, denn sie sind von der magenstärkenden Wirkung überzeugt. Der Blutwurz-Schnaps schmeckte mir auf jeden Fall besser als der reine Obstler.
 
Im schwäbischen Welzheim gibt es den folgenden Spruch:
 
„´s mag mer fehle, was mer will,
so trink i halt mei Durmedill.“
 
In unserem Heilpflanzenbuch „Arnika und Frauenwohl“ erwähnte ich eine Geschichte von Gärtnermeister Friedrich Schmidtke. Ein Bekannter von ihm bekam nach einem Zechgelage Magenbeschwerden. Er konsumierte einen Blutwurzschnaps und kommentierte: „Mir ist wieder wohl, kann wieder weitersaufen.“
 
Teebereitung: 3-4 g Tormentillwurzelstock mit 150 ml kochendem Wasser übergiessen, 10 Minuten kochen, noch warm abseihen. 2−3mal täglich 1 Tasse frisch bereiteten Tee trinken.
 
Nebenwirkungen: Bei empfindlichen Personen kann es zu Magenreizungen und Erbrechen kommen. Die Anwendung sollte auf 3−4 Tage beschränkt werden.
 
Internet
Weitere Hinweise über Alpen-Milchlattich, Bärwurz und Bärwurzschnaps mittels der Suchmaschine Google.
 
Literatur
Finkenzeller, Xaver; Grau, Jürgen: „Alpenblumen“, Mosaik Verlag, München 1984.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, IPa-Verlag, Vaihingen 2002.
 
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