Textatelier
BLOG vom: 15.08.2012

Emergenz – Wohin führt das Lesen der Textatelier-Blogs?

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Im Buch „Die Ich-Illusion“ von Michael Gazzinga habe ich folgende Sätze gefunden: „Meiner Ansicht nach wirken alle unsere Lebenserfahrungen, persönliche wie gesellschaftliche, auf unser emergentes mentales System ein. Diese Erfahrungen sind stark und wirkmächtig, und sie formen unseren Geist. Sie steuern unser Gehirn nicht nur, sondern enthüllen auch, dass es die Wechselwirkung verschiedener Ebenen von Gehirn und Geist ist, die unser Bewusstsein schafft, und damit unser gegenwärtiges Erleben“ (Seite 252).
 
Lassen Sie den Satz auf ihr „emergentes mentales System“ wirken. Möglicherweise – mir ging es jedenfalls so ‒ können Sie mit diesem Begriff nicht allzu viel anfangen. Was ist Emergenz? Ich habe nicht vor, in die Emergenz-Debatte der Natur- und Geisteswissenschaftler einzusteigen. Für den vorliegenden Aufsatz sollte eine kurze Definition ausreichen: „Die ‚Emergenz’ (vom lateinischen: für das Auftauchen, das Herauskommen oder das Emporsteigen) ist die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente.“
 
Mit dem„mentalen System“ ist unsere Psyche, unsere Denkfähigkeit, gemeint. Ganz kurz ausgedrückt: Das Ganze ist mehr als seine Teile.
 
„Nichts ist im Verstand, was nicht vorher Wahrnehmung wäre“ (arabisches Sprichwort).
 
Was passiert, wenn Sie ein Blog der Website www.textatelier.com lesen?
 
Sie fragen sich, ob das Thema und der Inhalt Sie interessieren.
Ihr Interesse basiert auf ihren Lebenserfahrungen.
Daraus schöpfen Sie Ihre Motivation.
Der Text bewirkt etwas in Ihnen.
Sie lesen die Beschreibung eines Ausflugs und einer Wanderung.
Sie denken, das könnte ich auch einmal ins Auge fassen.
Sie denken, es freut mich, dass es dem Blog-Schreiber da oben geschmeckt hat!
Sie denken, die beschriebene Landschaft habe ich so auch erfahren.
Sie könnten auch denken, da komme ich zeit meines Lebens doch nicht mehr hin, aber vielleicht fragt mich einer nach Ausflugszielen in dieser Gegend.
Sie lesen Beschreibungen über Erlebnisse in einem Ihnen fremden Land.
Sie denken, das möchte ich auch gern erleben.
Sie denken, aus dieser Sichtweise habe ich das noch nicht gesehen, ich kann daraus etwas lernen und meine Meinung ändern oder meine Vorurteile abbauen.
Sie lesen ein Blog, in dem der Autor seine politische Meinung kundtut.
Sie denken, stimmt, so sehe ich das auch!
Sie denken, macht der Schreiber sich selbst und dem Leser etwas vor?
Sie denken, das sehe ich aber ganz anders!
 
Sie sehen: Die Erfahrungen, die Sie mit dem Lesen dieses Blogs machen, verändern Sie! Ihr Geist wird geformt. Bisher haben Sie gelesen und gedacht. Aufgrund dessen haben Sie eine Einsicht gewonnen. Diese Einsicht kann alles Mögliche in Ihnen bewirken: Sie belassen es dabei. Sie vergessen sie wieder. Sie denken darüber nach und verbinden Ihre bisherigen Einsichten mit den gerade neu gemachten. Aus dieser Denkaktivität heraus formen Sie neue Einsichten und persönliche Erkenntnisse. Sie beginnen, sich mit den Inhalten ausgebreitet zu beschäftigen. Sie besprechen das Gelesene mit ihren Nächsten, mit ihren Nachbarn oder mit anderen. Sie bauen das Gelesene in Ihr Gedächtnis ein und kombinieren es mit ihren Lebenserfahrungen. Sie ändern Ihre Meinung!
 
Und jetzt kommen Sie zu einem physischen Schritt: Sie setzen sich ins Auto und fahren dort hin, von wo aus der Blogschreiber aufgebrochen ist und wandern. Sie überlegen, ob Sie nicht in absehbarer Zeit eine Reise ins Land unternehmen, das im Blog beschrieben worden ist. ‒ Aus der Begeisterung ist eine konkrete Handlung herausgewachsen. ‒ Sie schreiben einen Kommentar zum Blog und schicken ihn ein.
 
Dieses und noch viel mehr kann Ihnen passieren, wenn Sie die Blogs lesen! Denn zur Emergenz gehören 3 Eigenschaften:
-- Irreduzibilität: Sie können das Gelesene in Ihrem Gehirn nicht mehr rückgängig machen.
-- Unvorhersagbarkeit: Was das Gelesene bei Ihnen bewirkt, wissen Sie nicht.
-- Kontextbedingungen: Wenn Sie lesen, ist es erforderlich, sich mehr oder weniger intensiv auf das Gelesene zu konzentrieren.
 
Also: lassen Sie sich überraschen, ändern können Sie es nicht mehr; Sie haben es (hoffentlich) mit Interesse gelesen!
 
Übrigens: Emergenz weist auch auf evolutionäre Prozesse hin! Ich denke dabei unter anderem an den Begriff „Meme“ von Richard Dawkins.
 
Quellen
Michael Gazzaniga: „Die Ich-Illusion“, Hanser Verlag, München 2011.
 
 
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