Textatelier
BLOG vom: 09.09.2012

In Basel unterwegs: Stepperbikes und eine ruhige Fähre

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Am 02.09.2012 reiste ich mit meinem Nachbarn Ewald Greiner mit der Bahn des Regio Verkehrsverbundes Lörrach GmbH (RVL) nach Basel, um den schon lange geplanten Besuch des Anatomischen Museums nachzuholen. Wir fuhren bis zum Badischen Bahnhof, dann ging es per Pedes über die Schönaustrasse und Feldbergstrasse bis zur Johanniterbrücke. Von dort war es nicht mehr weit ins Museum, das sich an der Pestalozzistrasse 20 befindet.
 
Da wir nicht unter Zeitdruck standen, schlenderten wir in einem gemütlichen Tempo ab 10.15 Uhr vom Bahnhof ausgehend durch die erwähnten Strassen. Auf unserem Weg konnten wir etliche Besonderheiten erblicken, die man sonst bei der Fahrt mit dem Auto oder einem schnellen Wanderschritt nicht zu sehen bekommt. Ich kenne Wanderer, die durch die Gegend sausen und kaum etwas von ihrer Umgebung wahrnehmen.
 
Velos vor den Häusern
Was mir sofort auffiel, waren die vielen Fahrräder (Velos) am Bahnhof und vor den Häusern. Die Velos waren abgeschlossen und lehnten an den Häuserwänden oder standen am Rande der Gehwege herum. Wir rätselten, warum das so ist. Wahrscheinlich wohnen hier viele Studenten und Immigranten, die in ihren Häusern keinen Fahrradkeller oder eine andere Abstellmöglichkeit haben. Dann wird eben das Rad vor das Haus gestellt. Vor 2 etwas heruntergekommenen Häusern (auch das gibt es in Basel) waren 5 Räder abgestellt.
 
An einem Fahrrad war das Hinterrad entfernt worden. Das mit Staub bedeckte Fahrrad war mit Taubendreck verziert. Da dachte ich mir, dieses Rad stehe schon lange dort. Bei den vielen Velos am Bahnhof könnte es so sein, dass viele Studenten an den Wochenenden mit dem Zug nach Hause fahren und die Räder zum Bahnhof und von dort zum Quartier benutzen.
 
Oberhalb einer Baugrube, die quer über den Gehweg sich erstreckte, war ein Fahrrad mit einer Schnur an einem Zaun befestigt. Ein findiger Fahrer hatte wohl gedacht, hier klaue ihm keiner das Rad, zumal die Baugrube umzäunt war. Es könnte aber auch sein, dass ein Bauarbeiter das im Wege stehende Rad dort aufgehängt hat.
 
Etliche kleine Lebensmittelgeschäfte in der Feldbergstrasse hatten geöffnet. Ewald kaufte eine Kleinigkeit und erfuhr, dass die Verkäufer ihre Geschäfte von 10 bis 10 Uhr (22 Uhr) offen hätten.
 
Wir kamen auch an einer Brockenstube und am „Marcel`s Toy & Antik-Shop“ in der Feldbergstrasse 19 vorbei. Hier wird altes Spielzeug angekauft und verkauft. 2 Auslagen waren voll mit Gegenständen von anno dazumal. Ganz lustig fand ich einen auf dem Rücken liegenden Bär, der auf seinem Bauch eine Sparkasse mit Schlitz hatte. Als ebenso amüsant empfand ich einen Rollerfahrer, der mit seinem Gefährt und einem grossen gelben Kasten auf dem Rücksitz mit der Aufschrift „Pizza-Blitz“ an uns vorbeifuhr. Er steuerte sein Gefährt mit rasantem Tempo in die Feldbergstrasse hinein und parkierte an einer Pizzeria.
 
Kirche mit Hausnummer
Ewald, der seine Umgebung immer genau beobachtet, sah über dem Portal der Matthäuskirche die Hausnummer 81. Das war für mich neu. Ich habe noch nie eine Kirche mit einer Hausnummer erblickt. Ewald wollte schon einen Fussgänger befragen, ob er die Hausnummer 81 kenne, aber er hielt sich zurück. Die Nummer hätte wohl nur der Pfarrer gekannt. Die Nummer wäre mir nie aufgefallen, obwohl ich immer meinen fotografischen Blick schweifen lasse, um gute Fotos zu machen. Zu zweit sieht man auf jeden Fall mehr, besonders dann, wenn man einen guten Beobachter an seiner Seite hat.
 
Die evangelisch-reformierte Kirche, die auf dem Matthäusplatz im Matthäus Quartier steht, wurde von 1893‒1895 nach Plänen von Felix Henry aus Breslau erbaut. Beim Bau wurde sehr häufig Sandstein aus den Vogesen verwendet. Der Sockel besteht aus Gotthardgranit. Die Matthäuskirche hat einen 80 m hohen Turm, welcher der höchste in Basel ist. Das Basler Münster besitzt einen 62,7 m und die Elisabethenkirche einen 72 m hohen Turm.
 
Ein Stepperbike im Schaufenster
In einer Auslage eines Fahrradgeschäftes sah ich zum ersten Mal ein Stepperbike. Dieses wird auch Streetstepper oder Stepperrad genannt. Das Fahrrad hat keinen Sattel und muss stehend gefahren werden. Es ist ähnlich aufgebaut wie ein BMX oder wie ein Tretroller. An Stelle von Pedalen steht man auf Trittbretter. Durch die Auf- und Abwärtsbewegungen mit einem speziellen Getriebe werden diese in Vorwärtsbewegungen umgewandelt. Dieses Fahrrad eignet sich besonders zur Erreichung einer Fitness und für Leute, die unter Rücken- oder Kniegelenksbeschwerden leiden. Man bekommt bei längeren Fahrten keine Druckbeschwerden oder Schwielen an seinem Hinterteil.
 
Schmerzhaftes, unsichtbares Leiden
Als wir zum Haus Nr. 55 in der Feldbergstrasse kamen, beachtete ich einen Schaukasten mit Informationen des „Zentrums Selbsthilfe“ (www.zentrumselbsthilfe.ch). Mir fiel sofort ein Artikel mit dem Titel auf. Der Artikel war in der „Basler Zeitung" vom 22.06.2012 publiziert worden. In diesem Artikel schildert die heute 33-jährige Andrea B. ihr Leiden. Sie hatte während ihren Monatsblutungen unerträgliche Schmerzen im Unterleib. Über Monate steigerten sich die Beschwerden, die in Magenkoliken gipfelten. Auch wurde Blut im Urin nachgewiesen. Die Diagnose lautete Endometriose. Die Frau wurde 2010 zweimal operiert.
 
Bei der Endometriose bildet sich gebärmutterschleimhautähnliches Gebilde ausserhalb der Gebärmutterhöhle. So können sich Herde im Eileiter, Bauchraum, Eierstock, Darm, in der Harnblase, am äusseren Genital und in der Bauchdecke bilden. In seltenen Fällen können entfernt liegende Organe, wie Lunge und Gehirn, befallen sein.
 
Die Krankheit kann verantwortlich sein für eine Unfruchtbarkeit. Die Ursache ist nicht bekannt, auch besteht keine Möglichkeit einer ursächlichen Behandlung oder einer Vorbeugung.
 
Bei stärkeren Beschwerden werden die Herde operativ entfernt. Bei leichteren Beschwerden kann eine Hormonzufuhr mit hohem Gestagenanteil helfen. Auch Andrea B. hat Hormone bekommen, diese aber schlecht vertragen. Und wer einen Kinderwunsch hegt, darf die Hormone nicht anwenden. „Ich kenne Frauen“, sagte die Betroffene, „die wurden von ihren Männern verlassen, weil es wegen der Endometriose nicht klappte.“ Sie erwähnte laut dem Zeitungsbericht auch, dass Frauen mit dieser Krankheit beim Arbeitgeber auf wenig Verständnis stossen, wenn sie krankheitsbedingt öfters fehlen. Sie will jetzt eine Selbsthilfegruppe gründen, um Betroffene zu beraten.
 
Inzwischen gibt es 190 Selbsthilfegruppen. Im Internet konnte ich über die Basler Organisation nachlesen, was Selbsthilfegruppen bewirken und leisten: „In Selbsthilfegruppen schliessen sich Menschen zusammen, die sich austauschen, einander beistehen, stützen und unterstützen wollen. Gemeinsam ist den Teilnehmenden die Suche nach einem selbstbewussten und eigenverantwortlichen Umgang mit der Krankheit, einer Behinderung oder einem anderen schwierigen Lebensumstand.“
 
Im Anatomischen Museum
Da ich einen Besuch im Anatomischen Museum schon einmal in einem Blog beschrieben habe (Blog vom 09.02.2005: „Erlebnisse im Reich der Skelette und Organe“), beschränke ich mich diesmal nur auf einige Hinweise: Zurzeit ist dort die Sonderausstellung „Unerwünschte Gäste“ zu sehen. Dem Besucher wird ein Eindruck über die Strassentaube und ihr Leben in der Stadt vermittelt. Die Sonderausstellung ist bis 20.02.2013 zu sehen. Über diese Ausstellung wird in einem gesonderten Blog berichtet.
 
Das Anatomische Museum ist dem Anatomischen Institut der Universität Basel angegliedert. Es wurde 1824 von Prof. Carl Gustav Jung gegründet. Im Museum selbst sind viele Originalpräparate von menschlichen Organen und Geweben zu sehen. Auch historische Präparate, darunter das von Andreas Vesal 1543 präparierte Skelett (es ist das älteste der Welt), werden in Schaukästen präsentiert.
 
An diesem Tag fiel mir der hohe Frauenanteil (Frauen zwischen 25 und 35 Jahren) unter den Besuchern auf. Diese bestaunten besonders intensiv das Präparat von einem jungen Mann mit Organen, die spiegelbildlich angeordnet waren. So befanden sich beispielsweise die Leber auf der linken und die Milz auf der rechten Seite. Die Ursachen dieser Besonderheit sind noch unbekannt. Möglicherweise sind die Lageveränderungen genetisch bedingt. Die Häufigkeit eines Situs inversus (lat. invertierte Lage) wird auf 1:5000 bis 1:20 000 geschätzt. Die Funktion der Organe ist weitgehend gewährleistet. Das lebensgrosse Objekt (vom unteren Halsansatz bis zum oberen Teil der Oberschenkel) wurde 1947 von Armin Wolf präpariert.
 
Ruhig über den Rhein
Nachdem wir das Museum der Skelette und Organe besichtigt hatten, strebten wir dem Rheinufer zu. Wir sahen gerade, wie die neue Klingentalfähre ablegte und zum anderen Ufer zufuhr. Da entschlossen wir uns, auch eine Fahrt über den Rhein zu machen. Wir warteten geduldig, bis die Fähre zurückkam und wir einsteigen konnten.
 
Die Fähre „Vogel Gryff“ wurde von der Basler Fähri-Stiftung in Auftrag gegeben und von der Firma Jonas Panacek Yacht Design geplant und in der Werft von Kurt Helbling in Jona-Rapperswil gebaut.
 
Bereits 1854 fuhr eine Fähre über den Rhein. 4 Fähren sind heute noch in Betrieb. Vom Fährimaa gesteuert, zieht die Strömung die Fähre an einem Seil über den Rhein von Ufer zu Ufer. Die Fähre braucht keinen Elektro- oder Benzinmotor. Sie ist also ein umweltfreundliches Gefährt.
 
Der Bootskörper ist nicht mehr aus Holz, sondern aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Hüttli und das Deck sind aus Holz. Die 14 m lange schmucke Fähre hat Platz für 34 Personen. Die feierliche Schiffstaufe erfolgte am 25.08.2012.
 
Wir bezahlten beim Färimaa den Erwachsenentarif von 1,60 Euro. Für Kinder und Hunde sind 80 Rappen zu entrichten. Innerhalb von 5 Minuten erreichten wir das andere Ufer.
 
Die Fahrt verlief trotz der Strömung im Rhein überraschenderweise sehr ruhig. Die Fähre ist nämlich breiter und länger als die alte und liegt dadurch ruhiger im Fluss.
 
Was geschieht mit der alten Fähre? Laut einem Bericht in der „Badischen Zeitung“ vom 27.08.2012 wird diese nach einer Revision auf dem Trockenen als mobile Spielstätte für Kinder an wechselnden Standorten in Basel eingesetzt.
 
Die Fahrt war für mich eine aufregende Sache, zumal ich das erste Mal mit einer Fähre über einen Fluss fuhr. Irgendwann werde ich mit einer anderen Fähre wieder so eine Flussüberquerung machen.
*
Der Ausflug nach Basel brachte uns ungeahnte Erlebnisse und neue Erkenntnisse, die ungemein zu einer Horizonterweiterung beitragen. Vorher wusste ich nämlich wenig über Stepperbikes, Fähren und über das Leiden von Menschen, die in Selbsthilfegruppen Ratschläge und auch Verständnis bekommen. Solche Exkursionen möchte ich nicht missen. Sie sind jedermann zu empfehlen.
 
Internet
 
Hinweis auf ein weiteres Blog über das Anatomische Museum
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