BLOG vom: 23.09.2012
Abstimmungen: Mehr Musik, gleichviel Eigenmiete und Rauch
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Jede Abstimmung ist ein Kriminalroman mit mehr oder weniger Spannung: Geht es um viel, um Wesentliches, ist die Spannung grösser, stehen jedoch nur Bagatellen zur Debatte, hält sich die Neugier in Grenzen. Deshalb fällt es auch keinem Krimiautor ein, seine Geschichte an einem Taschendiebstahl aufzuhängen, bei dem 5 Schweizerfranken und sonst nichts erbeutet wurden.
Um Existenzielles ging es bei den 3 Abstimmungsvorlagen nicht, die dem Schweizervolk am 23.09.2012 zum Frasse oder zur Deponierung im Massengrab des Verworfenen = Weggeworfenen unterbreitet worden war, so geschehen mit der Antiraucher-Zwängerei und dem Bemühen um die Abschaffung des Eigenmietwerts.
Musik ist immer gut
So war über den unbestrittenen „Bundesbeschluss über die Jugendmusikförderung“ zu befinden, der es darauf abgesehen hat, die Musikbildung von Kindern und Jugendlichen zu stärken – beim Sport hat man das schon. Böse Zungen behaupteten, es gehe bei dieser Förderung vor allem um die Arbeitsbeschaffung oder -sicherung für Musiklehrer, selbst in den diesen Zeiten des Sparens. Sicher, gegen eine intensive Musikbildung ist nichts einzuwenden, auch nichts gegen vermehrte Anreize für den Nachwuchs, „sich musikalisch zu betätigen“, wie es in der bundesamtlichen Abstimmungsbroschüre heisst; denn die musikalische Bildung sei für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig, las man. Warum nicht? Doch könnte man dasselbe in Bezug auf den Zeichen- und Malunterricht sagen. Und ebenso wäre eine vermehrte Förderung des Lesens und Schreibens ein wahrer Segen, ein Schutz vor der vorzeitigen Verdummung und damit eine Grundlage für eine einigermassen selbstbestimmte Lebensführung und für sinnvolle Abstimmungsentscheide. Warum muss es denn eigentlich ausgerechnet die Musik sein? Warum nicht eine breitgefächerte kulturelle Bildung mit Einbezug handwerklicher Talente? Warum will man nicht das kritische Denken fördern?
Solche breiter gefasste Betrachtungsweisen sind heute unüblich. Und weil gegen die Musik als solche (abgesehen vom US-Importschrott, mit dem uns vor allem Radiostationen terrorisieren) kein vernünftiges Argument vorgebracht werden konnte und sie eine riesige Lobby hat, bildete sich kein Antikomitee. Gegenargumente traten kaum auf, nicht einmal mit Bezug auf die noch absolut unbekannten Kosten des intensiveren Musizierens. Die finanzielle Seite spielt sonst immer herausragende eine Rolle. Wer etwas gegen den Aufstieg auf den Tonleitern und den Ausbau der Schlagzeugschlägereien gesagt hätte, wäre als Banause heruntergemacht worden. Der Initiative wurde folgerichtig von 72,7 % der Stimmenden und von allen 23 Ständen applaudiert. Es fehlte nur noch, dass dabei "Zugabe!" geschrien worden wäre.
Der unbeliebte Eigenmietwert ... bleibt
Die 2. Vorlage betraf die Volksinitiative „Sicheres Wohnen im Alter“, eingereicht vom Schweizerischen Hauseigentümerverband. Dabei ging es um die Abschaffung des Eigenmietwerts, ein aus der Schweizer Steuergesetzgebung herausgewachsener Begriff, dem weniger intensiv zugejubelt wird. Dieser Eigenmietwert entspricht dem Betrag, der bei einer Vermietung des Wohneigentums vom Hausbesitzer einkassiert würde. Da niemand genau wissen kann, was in diesem hypothetischen Fall herauszuholen wäre, muss der Wert durch Schätzungen, bei denen auch die Besonderheiten des Grundstücks wie die Verkehrslage des Hauses und sein Alter, der Ausbaustandard usf. zu berücksichtigen sind, festgelegt werden. Auch Garagen, Abstellplätze und dergleichen werden einbezogen. Was dabei herauskommt, wird auf 1 Jahr hochgerechnet und muss als Einkommen versteuert werden. Im Gegenzug können Schuldzinsen, Unterhaltskosten, Versicherungsprämien usf. abgezogen werden. Wer sein Haus vollständig abbezahlt hat, wie ich das getan habe, um schuldenfrei und unabhängig zu sein, versteuert dann eben ein fiktives Einkommen. Mir persönlich wäre als die Abschaffung der Besteuerung des Eigenmietwerts zustatten gekommen; doch denke ich immer auch an die Bedürfnisse der Öffentlichen Hände.
Man sprach seit Jahren von einer Liquidation des Eigenmietwerts. Doch hatte man schon früh das Gefühl, das Ansinnen sei nicht mehrheitsfähig, zumal in der Schweiz bloss 12 Prozent der steuerpflichtigen Personen Rentner mit selbst genutztem Wohneigentum sind. Das Argument der Privilegierung der kleinen Gruppe betagter Hauseigentümer konnte nicht ausbleiben und ist je nach Standpunkt berechtigt oder auch nicht (das verdiente und angesparte Geld wurde ja von den Eigenheimbesitzern schon mehrfach versteuert). Nur gerade die Schweizerische Volkspartei (SVP) sagte zur Initiative Ja.
Wenn eine der 3 Vorlagen Krimiaspekte aufwies, dann war es diese. In den Hochrechnungen, die jeweils schon eine halbe Stunde nach der Schliessung der Abstimmungslokale vorliegen, gab es vorerst noch keinen klar erkennbaren Trend, was bereits eine Überraschung war, bedeutete das doch, dass das Abstimmungsresultat sehr knapp ausfallen würde. Zuerst sagte einmal der Kanton Glarus Ja, doch am Ende wurde die Initiative auf nationaler Ebene knapp abgelehnt; sie scheiterte am Volks- und am Ständemehr (52,6 % Nein; 13,5 Stände verwarfen die Initiative mehrheitlich). Die Diskussionen um den Eigenmietwert dürften dennoch weitergehen. Der Kriminaltango mit seinen dunklen Gestalten und hoffentlich nur mässigem blutrotem Licht wird weitergespielt, was genau zur Musikförderung passt.
Masslose Antiraucherhatz abgeschmettert
Die 3. Abstimmungsvorlage galt der Volksinitiative „Schutz vor Passivrauchen“, eine Ausgeburt der unaufhörlichen Antiraucherkampagnen. Die Raucher werden allmählich noch dort kriminalisiert, wo sie keinen anderen, abgassensiblen Menschen mehr belästigen: Denn seit Mai 2010 ist bereits das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen in Kraft, welches das Rauchen in geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sind oder die mehreren Personen als Arbeitsplatz dienen, verbietet. Gastrobetriebe dürfen bei gewissen Auflagen abgesonderte Raucherräume (Fumoirs) betreiben oder gar als Raucherbetriebe geführt werden, je nach Kanton. Und genau auf diese Gaststätten, in denen sich Raucher wohlfühlen könnten, hatte es die Initiative abgesehen. Fumoirs wären zwar gerade noch gestattet gewesen, doch hätte es darin keine Bedienung geben dürfen, selbst wenn Servierpersonal zur Verfügung gestanden hätte, das selbst gern einmal pafft.
Solche Vorstösse, die über jedes vernünftige Ziel hinausschiessen, sind ein Ausdruck einer zunehmend lustfeindlichen und depressiven Gesellschaft, die niemandem mehr kleine Freuden gönnen will. So hat das CH-Fernsehen kürzlich das Thema „Alkohol im Alter“ behandelt. Darin wurde festgestellt, es gebe halt schon noch viel versteckten Alkoholismus, und es lohne sich, besser auf Indizien zu achten. Wenn etwa ein Altersheimbewohner irgendwo eine Weinflasche – und gar eine angebrochene! – herumstehen hat, liegt doch wirklich der Verdacht nahe, es handle sich um einen versteckten Alkoholiker ... Im Klartext: Die Aufpasser gönnen einem alten Mann oder einer alten einsamen Frau nicht einmal mehr ein Glas Wein, mit dem sie ihren tristen Heimalltag hin und wieder etwas aufzumotzen suchen. Und das alles wird von den Gutmenschen mit dem hehren Begriff Prävention getarnt.
Kein Mensch hat etwas gegen Leute, die auf einen Zigarren-, Pfeifen- oder Zigarettengenuss verzichten, die grosse Bögen um Alkohol machen und dem Fleischkonsum abgeschworen haben, auch wenn eine biologische Kreislauflandwirtschaft ohne den Einbezug von (hoffentlich anständig gehaltenen) Nutztieren unmöglich ist. Niemand geht hin, um die ehrenwerten Enthaltsamen, die den Genussverzicht geniessen, zu bekehren. Aber man muss auch von den Abstinenten Toleranz gegenüber jenen verlangen, die sich die eine oder andere Lebensfreude gönnen und deshalb weiss Gott kein schlechtes Gewissen mit sich herumtragen müssen. Ein gewisses Mass an persönlicher Freiheit musste noch über die Runden gebracht werden. Und man soll zudem den Staat nicht zu Eingriffen zwingen, die ihm selber zuwider sind. Die Schweiz ist kein Polizeistaat.
Selbstverständlich haben wir, die Mehrheit des Schweizervolks, die Volksinitiative der Schweizerischen Lungenliga, in Bausch und Bogen abgelehnt. Die Liga liess sich ausgerechnet von der WHO (Weltgesundheitsorganisation), welche die Pharmainteressen wahrnimmt und sogar den Impfzwang vorantreibt, inspirieren. Auch die Unterwerfung unter internationale Organisationen haben wir satt. Für die Initiative plädierten denn auch bloss die Linksparteien EVP, Grüne und SP. Die Christlich-soziale Partei der Schweiz CSP beschloss Stimmfreigabe.
Die Botschaft des eindeutigen Volksentscheids (66 % sagten Nein, einzig und allein Genf war dafür): Es reicht allmählich. Hört auf, uns zu bevormunden. Ein Meinungsumschwung ist offensichtlich.
Kantonale Abstimmungen
In 14 Kantonen fanden kantonale Abstimmungen statt. Im Aargau werden der Mittelstand und die Besserverdienenden steuerlich entlastet. Im Thurgau werden 2 neue Überlandstrassen gebaut: die BTS (Bodensee-Thurtal-Strasse) und die OLS (Oberlandstrasse). Der Halbkanton Baselland schafft die Pauschalbesteuerung für reiche Zuzüger ab, der Kanton Bern behält und verschärft sie. Doch bei uns im benachbarten Aargau sind auch reiche Zuzüger immer willkommen, besonders jetzt, nachdem die Steuern für Mittelständler reduziert worden sind.
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