Textatelier
BLOG vom: 31.10.2012

Sandy: Ein bisschen Wind zur Weltsensation aufgeblasen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Die Berichte, die uns von der US-amerikanischen Sturmfront an der Westküste erreichen, sind weitgehend amüsant. Da bliesen Winde „bis zu 135 km/h“ ... was ist das schon! So gelten beispielsweise im Genferseeraum bei der klassischer Bisenlage mittlere Windgeschwindigkeiten von 60 km/h und Böenspitzen bis über 100 km/h als normal, nicht der Rede wert. Und wenn es jeweils bei uns in der Schweiz heisst, auf dem Jura-Hügelzug würden Windgeschwindigkeiten von 130 bis 150 km/h erwartet, kräht kein Hahn darnach. Noch nie habe ich bei solchen Gelegenheiten einen Bauern gesehen, der seinen Hühnerstall mit Sperrholzplatten zugenagelt hätte. Nicht einmal die Fensterläden werden geschlossen.
 
Am 16.12.2011 kam es – um ein nicht allzu fernes Beispiel zu nennen – in den Schweizer Alpentälern im Anschluss an eine Föhnphase zu Sturmwinden von 80 bis 100 km/h, die sich auch in tiefere Lagen herunter wagten – das war der muntere „Joachim“. Am Chasseral und am Säntis wurden Böenspitzen von über 170 km/h gemessen, aber auch in den Tallagen wurden Windgeschwindigkeiten von deutlich über 100 km/h verzeichnet. Im Jura und im Mittelland kam es zu ein paar Gebäudeschäden (abgedeckte Dächer), die mit etwa 40 Mio. CHF zu beheben waren.
 
Beim Sturm „Lothar“ (1999) wurden am dem Jungfraujoch 249 km/h und auf dem Zürcher Hausberg, dem Uetliberg, 241 km/h gemessen. Im Flachland wurden 140 bis 160 km/h (Zürcher Oberland) festgestellt, in Brienz BE 181 km/h. Wälder wurden umgelegt; aber die Bausubstanz und Infrastruktur hielten erstaunlich gut stand.
 
Bei den wesentlich langsameren Stürmen in den USA ist es natürlich ganz anders. Bei der dortigen liederlichen Bauweise sind die Schäden auch bei kleineren Windgeschwindigkeiten um Grössenordnungen gravierender. Ich habe bei meinem Besuch in Florida (1994) vor allem im Everglades-Gebiet Haustrümmer gesehen, deren dünne Wändchen wie eingestürzte Kartenhäuser aussahen, und niemand machte sich die Mühe, die Haufen aus billigen Bauteilen aus Kunststoff oder verleimtem Holz wegzuräumen. Der nächste Wind wird sie inzwischen weggeblasen haben.
 
Zu meiner Erinnerung passte die Warnung des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney vom 29.10.2012 vor umherfliegenden Wahlkampfschildern: „Bei starkem Wind können sie gefährlich sein und Häuser und Eigentum beschädigen.“ Und in den US-Städten sollte niemand auf die Strasse, weil dort die ungenügend befestigten Reklametafeln von den Fassaden abfallen – Verletzte und Tote sind bei diesem Sachverhalt unvermeidlich. Die Opfer tun einem Leid.
 
Die Infrastruktur in den USA ist sträflich vernachlässigt, wie allgemein bekannt ist; das Geld für ständige Aggressionskriege und Aufrüstungen – im Moment mit den abscheulichen, hinterhältigen Drohnen, die auch Zivilisten ermorden – herausgeworfen. Vor allem die Elektrizitätsleitungen sind in einem desolaten Zustand, hängen wie Wäscheleinen herum, und somit braucht es nicht mehr viel, bis sie sich von ihren Befestigungen lösen. In New York haben herabstürzende Stromleitungen zahlreiche Brände ausgelöst, wie Bürgermeister Michael Bloomberg mitteilte. Im Stadtteil Manhattan ist eine Anlage des Stromversorgers ConEdison (ein Umspannwerk) explodiert. Durch all dies fiel angeblich an der Ostküste bei mehr als 7 Millionen Menschen der Strom aus, wobei die herumgebotenen Zahlen erheblich schwanken. Zudem ist die Fassade eines viergeschossigen Hauses in Manhattan eingestürzt, was ebenfalls auf die phänomenale Stabilität der US-Bauweise hindeutet ...
 
Dass die wichtige innerstädtischen Verkehrsverbindung, die New Yorker U-Bahn, nicht hochwassersicher ist, versteht sich von selbst. Das Wasser soll darin 1,2 m hoch gestanden haben. Gut, dass es nicht die Amerikaner waren, die den Ärmelkanaltunnel (Eurotunnel) bauten, der über 38 km unterseeisch verläuft.
 
Im Norden des Bundesstaats New Jersey sind Dämme gebrochen. 3 Städte wurden überflutet: Moonachie, Little Ferry und Carlstadt. Das müsste ein Anlass sein, gelegentlich auch den Zustand der Dämme zu hinterfragen (wie vor 7 Jahren in New Orleans, wo inzwischen Verbesserungen erzielt wurden). Atlantic City, das „Las Vegas der Ostküste“, soll unter Wasser sein. Autos lägen ineinander verkeilt in den Strassen, und der weltberühmte hölzerne Pier gleiche einem Trümmerfeld aus Holzplanken, berichtete die „Süddeutsche“.
 
Die Schlampereien betreffen selbstverständlich auch öffentliche und private Einrichtungen. So mussten die Rettungskräfte mehr als 200 Patienten des New Yorker Universitätskrankenhauses evakuieren - darunter 20 Babys. Der Ausfall eines Notstromaggregats hatte diesen Schritt, der zweifellos zahllose Folgeschäden nach sich zog, nötig gemacht: Daraus sieht man, dass nicht einmal Notfallaggregate in den heikelsten Bereichen funktionieren. So hat „Sandy“ einiges bestätigt, was schon längst bekannt war.
 
In dem Hurrikan-Berichterstattungen im Medienmainstream wurde die Schliessung der New Yorker Börsen am 29./30.10.2012 mit besonderer Inbrunst behandelt. Die New York Stock Exchange war letztmals 1985 wegen des Hurrikans „Gloria“ 1985 komplett geschlossen worden. Die Börsen in den USA waren zuletzt im Jahr 1888 länger als einen Tag wegen eines Unwetters geschlossen gewesen. Offenbar wurden seither keine Massnahmen gegen die Überflutung getroffen. „Sandy“ ist eine Sympathisantin der Protestbewegung Occupy Wall Street. Die weltweiten US-Börsen bzw. -Kursnachahmer wissen ohne US-Vorgaben jeweils nicht mehr, was sie tun und lassen sollen.
 
Dabei dreht sich doch gerade in den USA alles ums Geld; die Geldgier der Amerikaner, von denen massgebende Kreise das Plündern im Blut haben, erstreckt sich über das ganze Erdenrund, und wir Schweizer können davon mehrere Liedlein singen. Auch Stürme werden dazu benützt, dass die Kassen klingeln, nicht allein von den Plünderern, wie sie in New York festgenommen wurden. Schon bevor der „grösste Atlantiksturm seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“ (Medienmainstream) an der US-Ostküste angekommen war, wussten besonders gescheite Amerikaner, wie hoch die Schäden sein würden. Die allwissenden Wissenschaftler der New Yorker Columbia-Universität vermeldeten bevorstehende Schäden „bis zu 55 Milliarden Dollar“. Bescheidenere Propheten gaben sich mit 20 Mia. USD zufrieden. Die Rückversicherer werden also wieder einmal gehörig abgeknöpft werden.
 
Das ganze Hurrikan-Theater ist auch eine willkommene Szene innerhalb des US-Wahlkampfs. Barack Obama pflegt nun seine Rolle als grosser Retter in der Not und „Commander-i-Chief" – Yes, he can. (Obama: „Das wird ein grosser und sehr mächtiger Sturm, doch wir alle werden das zusammen durchstehen.“) Man erinnere sich bitte: 135 km/h. Und sein Herausforderer Mitt Romney musste mitspielen, dem Wahlkampf einen neuen Drall gebend. Er hat seine Teilnahme an einer Veranstaltung für die Opfer des Wirbelsturms Sandy angekündigt. Ausgerechnet im besonders umkämpften Bundesstaat Ohio wird er an einem „Sturmhilfe-Event“ beiwohnen. Neben dem Politiker sollen auch der US-Autorennfahrer Richard Petty und der Country-Musiker Randy Owen auftreten. So kommt also auch das Show-Business auf seine Rechnung. Auch die damit verbundene Gross-Berichterstattung wird man durchstehen müssen. Nur hat sich der Hurrikan dummerweise bereits am Mittwoch, 30.10.2012, zum „kalten Sturm“ mit 105 km/h abgeschwächt. Das Aufblasen dieses Naturereignisses wurde entsprechend mühsamer.
 
Immerhin haben die Amerikaner jetzt ihren Event, der sich auf vielfältige Art vermarkten lässt.
 
Es gab aber auch einen vernünftigen Mann in New York, der mitten im Wirbelsturm mit seinem Jet-Ski im New Yorker Hafen herumgefahren ist. Er wurde von den Medien natürlich zum „grössten Idioten“. Und am Schweizer TV sagte ein sympathischer Naturbursche aus New York, er bleibe daheim und gehe mit seinem Hund spazieren.
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PS: Haben Sie schon davon gehört, dass Sandy vor der Weiterreise Richtung USA im armen Kuba die Kaffee-Ernte grossenteils vernichtet und auch Tausende von Häusern zerstört hat? Dort war der Hurrikan mit Geschwindigkeiten bis 183 km/h noch westlich schneller. Haben Sie gehört, dass US-Vasallenländer Hilfe angeboten haben? Ich auch nicht.
 
PS: Haben Sie schon davon gehört, dass die Wirtschaft von Haiti, das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, durch Sandy einen schweren Schlag erlitten hat, die Ernährungslage dort bedroht ist und dass viele Dörfer von der Aussenwelt abgeschnitten sind? Hat Romney sie wenigstens in seine Gebete aufgenommen? Wenn ihnen schon keine der Wahlkampf-Bestechungsgelder zukommen.
 
PS: Haben Sie gehört, dass Sandy in der Karibik mindestens 58 Tote hinterlassen hat (gemäss ORF)? Die zählen nicht. Die wenigen Opfer in den USA umso mehr.
 
Ich bin gerade dabei, solch schreiende Ungerechtigkeiten (garantiert Psychiater-frei) seelisch zu verarbeiten. Das wird länger dauern als das Aufräumen in den USA.
 
 
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