Textatelier
BLOG vom: 16.11.2012

Strapaziertes Riechorgan: Düfte, Gerüche und Gestank

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Welche Düfte und Gerüche bleiben uns im Gedächtnis haften? Wenn immer ich meinen Geigenkasten öffne, schnuppere ich den Duft meiner alten Violine. Wenn ich sie zur Hand nehme, duftet sie, als sei sie aus Zedernholz, mit Schweiss vom Fleiss gemischt, stelle ich mir vor.
 
Als Kind riecht man besser denn als Erwachsener. War ich bei meinen Klassenkameraden zu Besuch, roch es in ihren Wohnungen anders als in unserer. Lag dies an den frisch gebohnerten Böden? Mein Vater war ein Raucher, und der Tabak hinterliess seine eigene Duftnote, die anderswo, bei Nichtrauchern, fehlte. Brot mit Butter- und Honigaufstrich ist unter den Düften, die in meinem Gedächtnis haften geblieben sind, so auch der Duft des knackigen Boskopapfels, mein Znüniapfel – und jener, der beim Frühstück einer Tasse Kakao entströmte. Dabei erinnere ich mich auch an den viereckigen Würfel der Steinfels-Seife in der Schale im Badezimmer, womit ich mich wusch. Sie roch für mich kernig und unverfälscht natürlich.
 
Ausserhalb des Hauses erfreute mich der Geruch von frisch gefallenen, dampfenden Pferdeäpfeln, selbst heute noch, wenn die Reitpferde aus den Stallungen im Wimbledon Village, in einer langen Reihe hufklappernd den Reitwegen im Wimbledon Common zustreben.
 
Zu den mir angenehmen Düften zähle ich auch den hitze- und staubtilgenden Gewitterregen nach einem heissen Sonnentag. Man atmet erleichtert auf und fühlt sich erfrischt, wenn der Regen auf den Asphalt prasselt und die Schächte gurgelnd das Wasser verschlucken.
 
Auch dem Farn entströmt eine beruhigende Welle von Duft nach dem Regen an heissen Sommertagen.
 
Die Natur wartet uns mit einer Fülle von Duftnoten auf: Jene der Nadelbäume, während wir einen Wald durchstreifen. Zerreibe ich Kräuter zwischen meinen Fingern, wird meine Nase verwöhnt: Salbei, Minze, Rosmarin, um nur einige aus dem Kräutergarten zu nennen. Hinzu kommen Blumendüfte, etwa des Jasmins, von meiner Frau ganz besonders geschätzt. Im persischen Garten ihrer Kindheit rankte der Jasmin durch die Balustrade des langgestreckten Balkons der Hauswand entlang. Und stieg sie Treppen zum Garten hinunter, erwartete sie ein Teich mit Seerosen („Nilufar“ auf Farsi, in der indogermanischen Sprache verwurzelt), von Rosenstöcken umrahmt. Dabei denke ich an Sa’dis Rosengarten und an Perserteppiche, durchwoben von Girlanden und Blüten aus der Pflanzenornamentik. Meine Mutter war eine begabte Blumenmalerin, und es versteht sich, dass etliche ihrer Aquarelle bei uns die Wände schmücken. Ihre Anemonen, Dahlien und Päonien (Pfingstrosen) lassen meine Mutter im Gedächtnis aufleben.
*
Im schroffen Gegensatz zu Düften haben wir das Wort Gestank. „Ich kann ihn nicht riechen“ ist eine Redensart, die besagt: Wir können jemand nicht ausstehen. So kommen wir auf den Hund …
 
2 Hunde beschnuppern einander. Entweder wedeln sie erfreut mit dem Schwanz oder fletschen die Zähne, bellen und wollen einander anfallen. Hoffentlich kann sie die Leine zurückhalten. Auch der Mensch muss sich am Zaum halten – sonst kommt es zur Schlägerei.
 
Der Auspuff der Autos ist nach wie vor eine Gestankquelle, auch wenn das Benzin parfümiert ist. Autos sind zwar weniger augenfällig qualmend als einst, doch nach wie vor für die Lungen schädlich.
 
Vor 100 Jahren noch lagerte Gestank in vielen Strassen und Gassen. Die Dame mit empfindlicher Nase griff hurtig nach einem silbernen Etui in der Handtasche, klappte es auf und roch das Parfüm. Ob es den Gestank besiegte, bleibt fraglich.
 
Als der Sonnenkönig Ludwig XIV. in Frankreich regierte, so wird berichtet, war es um die persönliche Hygiene übel bestellt. Selbst die Höflinge stanken, mit Verlaub gesagt. Sie badeten oder wuschen sich eher selten und machten das Manko mit Parfüm wett. Der Siegeszug der französischen Parfüms hat damals begonnen …
 
Heute, in der überfüllten Pariser Métro, herrscht oft der Gestank der Wunderknolle Knoblauch vor. Ich selbst mag den Knoblauch in Gerichten. Nach dem Essen kaue ich Petersilie und vertreibe damit die Knoblauchfahne, ehe ich mich unter die Leute wage.
 
Leute stört, nein belästigt, heute der Zigarettenrauch. Ich mag mich an Zeiten erinnern, als die Leute in Kinos rauchten und der Zigarettenqualm sich unterm Plafond der Pubs zur Wolke staute, vom Atem der Biertrinker gewürzt. Auch in Zügen und Flugzeuge n gab es Raucherabteile. Bei uns im Haus habe ich draussen an der Backsteinwand des Patios ein Emailschild aus der guten alten Zeit angebracht: „Compartiment de Fumeur“. Dorthin verziehe ich mich, wenn ich eine Zigarette pfaffen will. Zum Spucknapf gesellt sich heute der Aschenbecher.
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Beim Wort Gerüche denke ich an Küchengerüche. Sie steigern mein Wohlbefinden, wenn das Essen zubereitet wird, etwa vom Safranreis begleitet, eine kulinarische Spezialität von Lily. Dann nenne ich sie bei ihrem persischen Name Leila, wenn sie den Deckel der Reispfanne lüftet. Ich schneide ein Filetsteak in Streifen, würze diese und brate sie kurz in der glutheissen gusseisernen Bratpfanne. Im Nu ist das „Chelo Kebab“, auf Reis gebettet, fix und fertig und schmeckt ausgezeichnet zum Rotwein. Andere persische Gerichte sind zeitaufwendiger in der Zubereitung, etwa das Fessen Joun. Diese geniessen wir in einigen der von uns bevorzugten persischen Restaurants, wie „Alounak“ am Ende der High Street Kensington (Haltestelle „Olympia“).
 
So sind wir bei diesem Streifzug wiederum bei den Düften angelangt, wie wir die Mahlzeit mit einem persischen Tee abschliessen.
 
Hinweis auf das Rosengarten-Blog von Emil Baschnonga
 
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