Textatelier
BLOG vom: 23.11.2012

Wasserkraft: Der Strom, der das Strömen ausgeschaltet hat

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
„Jede Frittenbude in Deutschland wird besser gemanagt als diese Energiewende“, sagte der deutsche Kavallerie-Hauptmann Peer Steinbrück (SPD) kürzlich. Man darf diese Feststellung getrost auf uns Schweizer Nachbarn übertragen: Seit der abrupten Rechtsumkehr von Bundesrätin Doris Leuthard, die Fukushima und vor allem anstehende Wahlen im Visier hatte, weiss niemand mehr, wie es weitergehen soll. Ein paar billige Schlagworte wie Alternativenergien, Energieeffizienz und Energiesparen sind zusammen mit Garnituren allzeit abrufbereit, die aber bei genaueren Hinsehen grösstenteils wie Luftblasen platzen. Nur bei den bestehenden Wasserkraftwerken wären durch technologische Verbesserungen bestenfalls noch 10 % mehr Strom herauszupressen, wobei die Erwartungen je nach Berechnung um den Faktor 7 schwanken (zwischen 0,5‒3,5 TWh im Aargau).
 
Im Übrigen sei die Zitrone, was die Wasserkraftnutzung in der Schweiz anbelangt, ausgepresst, sagte Stefan Kunz vom Schweizerischen Rheinaubund am 21.11.2012 im Naturama in Aarau. Eine Hundertschaft interessierter Leute wälzte dort die Frage: „Ist Wasserkraft naturverträglich?“ und fand, wenn ich alles richtig mitbekommen habe, zu keiner eindeutigen Antwort.
 
Stausee nach Stausee
Die grossen Flüsse wurden in eine Abfolge von Stauseen zerhackt und damit ihrer Dynamik beraubt, wie Johannes Jenny von der Pro Natura Aargau sagte. Stefan Kunz untermalte das mit Zahlen, den aufgestauten Frust im Zaume haltend: 95 % der Gewässer, die man einigermassen sinnvoll nutzen kann, sind genutzt. Die Zahl, die gern als Grundlage für Diskussionen eingesetzt wird, gibt einen Eindruck von der Grössenordnung der Eingriffe. Von der totalen Gewässerlänge von 64 000 km in der Schweiz sind 15 000 km stark verbaut, im Aargau sind von den 3000 km Fliessgewässern 1400 km in einem ökologisch schlechten Zustand (74 % sind weniger als 2 m breit, 8 % grösser als 15 m). Die 26 Flusskraftwerke im Aargau nützen praktisch jeden Flussabschnitt. Zwischen dem Wasser- und Energiekanton Aargau braucht nicht mehr differenziert zu werden.
 
Meine persönliche Schlussfolgerung lautet, dass die Wasserkraft, die in der Schweiz etwa 34 % des Stromkonsums abdeckt (37 von 66 Terawattstunden; 1 TWh = 1000 GWh), im Prinzip nicht naturverträglich ist. Aber die Kraftwerk-Serien hat man nun einmal; sie sind weniger denn je aus der zivilisierten Welt des Konsums zu schaffen. Sie liefern brav Energie, die unser Leben bequemer macht, betreiben meinen Computer und das Internet. Man muss jetzt einfach schauen, dass man der Natur noch hier und dort ein Zückerchen zurückgibt, nachdem man ihr den ganzen Zuckersack gestohlen hat: Auenschutzpärke wie im Aargau, Umgehungsgewässer, Überschwemmungszonen (Wässermatten), Fischpassagen usw.
 
Mehr Natur statt mehr Wasserkraft
Die Auen-Renaturierung, so bruchstückhaft sie auch sein mag, wurde im Aargau mit Tatkraft und Begeisterung vorangetrieben. Laut Norbert Kräuchi von der Abteilung Landschaft und Gewässer beim Aargauer Baudepartement, die dafür zuständig ist, will man renaturierte Gebiete nicht mit Anlagen zur Energienutzung beeinträchtigen. Dies antwortete er auf eine entsprechende Frage, die auf das Herausholen der letzten Kilowattstunde abzielte, wo immer es nur geht (gemäss Bundestendenzen). Schön, dass der Aargau nicht mitmacht, wo das Naturgeschehen endlich wieder etwas Auslauf hat. Dass man im Übrigen weiterhin an der ausgepressten Zitrone herumdrücken will, um noch das allerletzte Saftschläuchlein auszusaugen und die Samen (Kerne) flachzulegen, weist auf eine rücksichtslose Ausbeutung hin. Das Ziel müssten weitergehende Aktionen in Richtung zu einem „Zurück zu mehr Natur" sein. Der Gewässerschutzfachmann Peter Jean-Richard zeigte dazu eine Möglichkeit auf: Er plädierte für einen Abbruch ausrangierter Wehre, sofern sie keinen kulturhistorischen Wert haben, um ein paar Gewässern wieder etwas Schwung zu geben. Doch der Bundesrat will sein KKW-Ausstiegsszenario ohne Rücksicht auf Kosten und Verluste (Motto, beschönigend formuliert: „Nicht gratis zu haben“) stur durchziehen, um den unüberlegten Ausstieg zu kaschieren. Und man weiss nicht, was neben den schaurigen, lärmenden, Vögel zerhackenden Windrädern und den hochsubventionierten Solaranlagen noch alles auf uns zukommt. Ob die letzte frei fliessende Rhein-Strecke bei Koblenz (Koblenzer Laufen) durch den Bau des 1966 aufs Eis gelegten Kraftwerkprojekts Koblenz-Kadelburg auch noch verbetoniert wird, weiss man nicht. Darauf wies die thematisch gut vorbereitete Moderatorin Bea Stalder, Naturama-Mitarbeiterin, hin. Das KW wurde damals nicht gebaut, weil die Kernkraftwerke wesentlich mehr Futter zum Stillen des wachsenden Energiehungers lieferten. Sie betätigten sich somit als eigentliche Naturschutzmassnahme. Der Schweizerische Bund für Naturschutz (heute: Pro natura) forderte damals den direkten Schritt zur Atomenergie, denn „die Erhaltung von reinem Wasser und reiner Luft, aber auch von natürlicher Landschaft ist zu einer dringenden staatspolitischen Aufgabe geworden“. Heute ist seine Position nicht mehr so eindeutig.
 
Im Prinzip müssten die heutigen Naturschützer zu Kernenergie-Enthusiasten werden, weil sie mitansehen müssen, was unter dem Titel „Alternativenergieförderung“ allein schon im Sektor Landschaftsschutz geplant wird. Sie haben noch keine klare Haltung gefunden, schwimmen im noch kräftig fliessenden, ursprünglich medial aufgeheizten Anti-AKW-Mainstream mit, möchten aber gleichzeitig, dass Wildtieren, inklusive Fische und Vögel, kein weiteres Leid zugefügt wird. „Die Fische müssten ein Stimmrecht haben“, sagte der Fischfachmann Peter Jean-Richard, der sich seit Jahrzehnten mit Leib und Seele für die Lebewelt in den Flüssen einsetzt und ein besonders Herz für Groppen hat. Diese Fische können schwimmen und bewegen sich ruckartig über den kiesigen Boden, der durchströmt sein muss. Nur unter solch günstigen Umständen können sie sich vermehren – in aufgestauten Becken haben sie keine Chance. Es wirkt sich schon aus, wenn Gewässer gebändigt werden.
 
Zur Hilflosigkeit der Umweltschützer kommt das Elend, dass ihre Einsprachemöglichkeiten (wie auch jene von Privaten) eingeschränkt werden.
 
Es zeichnet sich ein wahres Desaster ab, wenn alles darauf ausgerichtet wird, dass an den letzten Restbeständen von Fliessgewässern sozusagen beliebig herummanipuliert werden kann. Der ökologische Preis und der Energiegewinn müssen gegeneinander aufgerechnet werden. Wo schon vieles kaputt-verbaut ist, können Kleinkraftwerke, wenn sie nach ökologischen Kriterien konstruiert sind, zwar eine gewisse Verbesserung gegenüber dem Status quo bringen, so etwa die Abfolge von 6 Archimedesschnecken an der Suhre; bei Schöftland AG besteht bereits ein solches Wasserwirbelkraftwerk mit dem relativ bescheidenen Wirkungrad von 24 %. Aus den geplanten 6 Kleinkraftwerken (in Muhen, Zopf in Suhr, Lochergrien, Stampfi, Suhr und Buchs AG) würde dank einer ausgereiferten Technologie allerdings mehr Elektrizität gewonnen werden (besserer Wirkungsrad), so dass etwa 1000 Haushalte mit Suhre-Strom versorgt werden könnten (4,4 GWh/a). Der Gewinn an Wasserkraft ergibt sich aus der Wassermenge und der Höhendifferenz. Staut man auf, wird es für die Fische schwieriger, und das Wasser hat keine Dynamik mehr, bewegt kein Geschiebe, wird träge, faul.
 
Kleinkraftwerk-Manie
Im Moment gibt es Hunderte von Gesuchen für Kleinkraftwerke (das sind Anlagen mit einer Leistung von weniger als 10 Megawatt) und Kleinstkraftwerke; viele machen den Eindruck, als ob ein Bubentraum verwirklicht werden soll. Der energiepolitisch desorientierte Bund vergoldet die Zerstörung der letzten frei fliessenden Gewässer noch – auf 25 Jahre hinaus. Solche Kleinanlagen sind eine Goldgrube für die Betreiber auf Kosten der Allgemeinheit.
 
Der KEV-Nonsens
Zu der von Bundesrätin Leuthard herbeigesehnten Energiewende gehört die KEV, die „Kostendeckende Einspeisevergütung“, die zunehmend als Unsinn und kostenverfälschende Unwahrheit apostrophiert wird – die Fördergelder sollen von 0,35 Rp./kWh allmählich auf maximal 1,4 Rp./kWh erhöht werden. Das ist eine Subventionitis zur Verschleierung der Kostenwahrheit, welche die Energienutzer als Gesamtheit bezahlen müssen und welche die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Schweiz zunehmend herabmindert. Diese KEV-Idee gehört zu den Basteleien, mit denen sich der auf Frau Leuthard hereingefallene Bundesrat durch das Energiewende-Chaos durchmogeln will.
 
Nicht aus der Ruhe zu bringen war auf dem Podium Hans-Kaspar Scherrer, Vorsitzender der IBAarau-Geschäftsleitung und bekennender KEV-Gegner. Wer in diesem Wirrwarr die Fassung nicht verliert, bekundet Standfestigkeit. In einer glaubwürdigen Art wies der Energiefachmann auf den Versorgungsauftrag der Elektrizitätsunternehmen hin, der an erster Stelle stehe. Wenn auch die Schweiz noch etwas mehr Energie produziere als sie verbrauche, sei sie doch im Winter auf Einfuhren angewiesen. Und wenn man im Moment noch genügend Strom habe, sei zu berücksichtigen, dass sich die Lage jederzeit verschärfen könne. Es sei selbstverständlich, dass man den haushälterischen Umgang mit der Energie fördere und auch bei den unternehmenseigenen technischen Anlagen auf Effizienzsteigerungen bedacht sei, wo immer sinnvoll und möglich. Das sollte auch im privaten Bereich geschehen. So sei der Heizwärmeverbrauch pro Quadratmeter Wohnfläche etwa halbiert worden, währenddem sich die Wohnfläche pro Person verdoppelt habe ... Energiespar-Praxis.
 
Die kriminellen Elektroheizungen ...
Eine Reduktion der Energieverschwendung müsste laut J. Jenny dringend z. B. bei den Heisswasserpumpen angegangen werden, wo durch eine sinnlos schnelle Heisswasser-Herumpumperei der national hochgerechnete Energieverlust etwa der Produktion des Kernkraftwerks Mühleberg entspricht.
 
Da lobe ich mir die Elektroeinzelspeicheröfen, die ich in den frühen 1970er-Jahren in mein Haus einbauen liess. Sie haben sich ausserordentlich gut bewährt und funktionieren noch heute tadellos. Mit solchen Geräten lässt sich Überschussstrom effizienter speichern als via Pumpspeicherwerke (Verbrauch von Elektroheizungen und Boilern in der Schweiz: knapp 6 TWh/a). Aber auch die subtil regulierbare Elektroheizung, die seit 1990 nicht mehr installiert werden darf, ist neuerdings noch stärker in Verruf geraten; der Bund will die bestehenden Elektroheizungen bis zum Jahr 2025 zum Verschwinden bringen (Ersatzzwang) der freie Markt wird durch eine irre Staatswirtschaft ersetzt. Wer elektrisch heizt, ist kriminell. Die Elektrowirtschaft trägt keine Schuld; sie konnte bisher den Überschussstrom, der in Boilern oder Speicheröfen gelagert wird, über die kleinen dezentralen Speicher elegant loswerden; denn Speicheröfen und Wasserbehälter kann man zu jeden beliebigen Zeitpunkt aufheizen.
 
Das Beispiel von der Hatz auf Elektroheizungen ist ein weiterer Blödsinn unter dem Titel „Energiewende“, in deren Rahmen dafür die Elektromobilität forciert wird ... Es ist unglaublich was man sich unter diesem Titel alles bieten lassen muss – auch Stromimporte aus Kohle- und Erdöl-Dreckschleudern.
 
Die Elektrizitätswirtschaft hat, wie ich während meiner publizistischen Laufbahn selber beobachtet habe, immer für einen sorgfältigen und sinnvollen Einsatz des Stroms plädiert, zum Sparen motiviert, ganz im Gegensatz zu allen anderen, rein auf Umsatz ausgerichteten Produktionsstätten. Doch ob sie für die Durchsetzung des Sparauftrags die richtige Adresse sein kann, ist fraglich; denn wie jedes andere Unternehmen ist sie darauf angewiesen, einen Gewinn zu erwirtschaften.
 
Die unantastbare Mobilität
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang natürlich der Umstand, dass beim Gesamtenergieverbrauch die Elektrizität eine relativ bescheidene Rolle spielt. Der grösste Teil der verwendeten und verschwendeten Energie stammt aus Erdölprodukten. Und bei Diskussionen wird meistens ausgeklammert, dass das grösste Sparpotenzial bei der Mobilität (vor allem beim Autoverkehr) liegt.
 
Bei dieser Einsicht angekommen, gönnte sich einer der Podiumsteilnehmer im stark überheizten Vortragsraum des Naturamas einen Schluck Mineralwasser, das aus dem fernen Vals im Bündnerland herangekarrt worden war. Und in den umliegenden Räumen fand gerade eine Ausstellung über die Klimaeffekte des gewaltigen CO2-Ausstosses (Kohlendioxid) statt. Sogar das klimabedingte Ende der Verfichtung unserer Försterwälder durch einen Wärmeschub wurde vorausgesagt, für mich eine eher tröstliche Sache ...
 
Auch am Podium wurde die private Mobilmachung nur marginal erwähnt. Niemand mochte in Abrede stellen, dass viel zu viele eilige Heilige Kühe in unserer Landschaft, deren Aussehen von der Energiegewinnung und -verteilung stark geprägt ist, herumfahren. Stattdessen schräubelt man an Kleinstkraftwerken herum, will hässliche, unregelmässig produzierende Windmühlen auf Hügel stellen und Dorfbilder mit spiegelnden, blendenden Solarpanels verunstalten, die nur subventioniert überleben können.
*
„Wir reden viel zu viel, und es passiert nichts“, sagte Jean-Richard noch. Meine persönliche Hoffnung geht dahin, dass in diesem Chaos nicht noch mehr Unfug angerichtet wird. Es kommt schon dem Idealfall gleich, wenn bei der momentanen Orientierungslosigkeit nichts passiert ...
 
... zumindest so lange, bis die trottelige Politik von den ehrwürdigen Frittenbuden gelernt hat und zudem den ökologischen Schaden, der bei der Jagd nach dem letzten Tropfen angerichtet wird, in Rechnung stellt. Ob sie das schaffen wird?
 
Nachtrag
Der Kanton Freiburg verbietet Elektroheizungen nicht
Der Kanton Freiburg hat in der Volksabstimmung vom 25.11.2012 das neue kantonale Energiegesetz mit 50,75 % Nein-Stimmen abgelehnt – im Gegensatz zu früheren Entscheiden in den Kantonen Bern, Genf und Neuenburg. Die Freiburger Gesetzesvorlage wollte die Hauseigentümer verpflichten, die Elektroheizungen bis zum Jahr 2025 zu ersetzen, ein Unsinn im Quadrat. Dies hätte rund 6000 Gebäude betroffen. Dagegen war das Referendum ergriffen worden. Die Gegner des Verbots hatten die Massnahme als unverhältnismässig bezeichnet: Es könne nicht angehen, dass seinerzeit empfohlene und ordnungsgemäss bewilligte Heizungen unter grossen Kostenfolgen ersetzt werden müssten. Damit hat der Energiewende"-Unfug einen weiteren, verdienten Dämpfer erhalten.
 
 
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