Textatelier
BLOG vom: 25.01.2013

Verbrechen aus dem 14. Jahrhundert: heute vor Gericht

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
2 Artikel, wie sie sinngemäss in einer „Zeitung von Gott und der Welt“ vom 15. Januar 1357 gestanden haben könnten:
 
Kastilien, Spanien
Dem weltlichen und dem göttlichen Richterstuhl zur Kenntnis
Diese Depesche wurde dem hochlöblichen Gericht zugetragen:
 
Einladung zu Gericht vor den göttlichen Richterstuhl.
„Alarcos aus Kastilien, mein edler Ritter, lieber Graf, eine treusorgende Gattin war ich Euch, viele Jahre lang! Nicht länger wollt Ihr mich an Eurer Seite dulden! Mächtig wollt Ihr werden! Und da stehe ich Euren Plänen im Wege. Dies Ziel zu erreichen, wollt Ihr die Infantin Beatrice von Kastilien zur Gattin nehmen. Es wurde mir zugetragen, zur Erfüllung Eures Wunsches muss ich sterben. Meinen Tod wollt Ihr, meucheln wollt Ihr mich!
 
Ich verzeihe Euch, lieber Graf, um der Liebe willen, die ich für Euch hege. Nicht aber verzeihe ich dem König noch der Infantin. Und alle beide lade ich zu Gericht vor den hohen Richterstuhl Gottes, nach einer Frist von 30 Tagen.“
 
20 Tage sind vorbei, seitdem die Gattin zu Gott heimgekehrt ist, heimtückisch gemordet. Als Arm Gottes ist es dem hochlöblichen Gericht eine heilige Pflicht, Gerechtigkeit auch auf Erden walten zu lassen. Vor wenigen Tagen wurde das Urteil gesprochen. Die Ehe mit der Infantin darf nicht gesegnet werden. Möge das göttliche Gericht ihre Missetat verzeihen!
 
Näfels, Schweiz
 
Ablass von den Sündenstrafen
Die heilige römische Kirche erteilte jüngst dem Bauern Konrad Müller aus Näfels, der Pfarrei St. Hilarius zugehörig, einen Ablass von seinen Sündenstrafen. Kurz vor seinem Tod beichtete Konrad seinem Priester ein furchtbares Verbrechen.
 
Vor vielen Jahren geriet er in Streit mit seinem Nachbarn Heini Stucki, der seine Kühe auf Konrads Weide grasen liess. Konrad hatte eine Heugabel in der Hand, und dann geschah es, er schlug sie auf Heinis Kopf, dieser fiel auf einen Stein und legte seine Seele in Gottes Hand. Konrad nahm den Leichnam und schob ihn unter einen Baum, bei dem durch einen Sturm der vergangenen Tage ein grosser Ast abgebrochen war. So wurde der Tod als ein schreckliches Unglück gedeutet.
 
Konrad aber behielt die Tat für sich, viele Jahre lang. Jetzt aber fühlte er sein Ende nahen, und sein Gewissen plagte ihn. Er bat um Vergebung seiner Sünden. Er wolle als Sühne bis in alle Ewigkeit ein Licht in einer Kapelle leuchten lassen, die er in der Nähe der Tat bauen liess. Auch seine Erben sollen für die Freveltat bezahlen. Seine Nussbäume, um die Kapelle gepflanzt, sollen den nötigen Brennstoff liefern.
 
In der Beichte wurde Konrad zwar von der schlimmen Sünde unter der Bedingung, dass seine Nachfahren ewig das Licht leuchten lassen, losgesprochen. Sollte es erlöschen, drohen Konrad höllische Qualen! Der Himmel sei ihm gnädig!
*
So weit die Meldungen aus dem 14. Jahrhundert. Mord und Totschlag gab es zu allen Zeiten. Und es ging immer um Macht oder Geld. Nicht nur damals, noch heute geht es auch um den Vorteil, den die Kirche daraus ziehen kann.
 
Sie glauben es nicht? Der Mord des Konrad Müller beschäftigte vor kurzer Zeit das Kantonsgericht Glarus in der Schweiz. Die Nachkommen des Konrad Müller haben, nachdem die Nussbäume alle gefällt waren, die Kosten für das „ewige Licht“ treu dem Ablasshandel der Kirchengemeinde weiter bezahlt. Das Licht leuchtet immer noch, wenn auch jetzt elektrisch.
 
So schreibt die Rheinische Post am 18.01.2013 im Artikel
 
 „Ein ewiges Licht wird zum Fall für die Schweizer Justiz
von Jan Dirk Herbermann:
 
(...) Doch als die Pfarrei unlängst dem Eigentümer eines der beiden Grundstücke (auf dem die abgeholzten Nussbäume gestanden hatten, der Verf.), einem jungen Landwirt, eine Zahlungsaufforderung von 1400 Schweizer Franken für die nächsten 20 Jahre schickte, sagte der Mann nein ...
 
Die Kirche zerrte den renitenten Bauern vor das Kantonsgericht – und scheiterte. Die Zahlungsverpflichtung sei bereits im 19. Jahrhundert erloschen, urteilten die Richter und verdonnerten die Gemeinde zur Zahlung von 4000 Franken Justiz-Gebühren sowie 5000 Franken Entschädigung.
 
Immerhin: die Kirche gelobte, das ewige Licht weiter brennen zu lassen.“
*
Die Kirche hat also Jahrhundert für Jahrhundert abkassiert. Erst durch einen mutigen Mann, der es nicht einsah, warum er zahlen sollte, wurde den Geldüberweisungen Einhalt geboten. Der Pfarrer der Gemeinde fühlte sich natürlich im Recht, ausserdem: Man will doch nicht den armen Sünder Konrad den höllischen Qualen ausliefern! Ob der Infantin verziehen wurde, „weiss der Himmel“! Wahrscheinlich hat die Kirche auch bei ihr durch den Ablasshandel verdient.
 
Die Kirche nimmt gern! „Reichnisse“ heisst das Zauberwort, auf das sie sich beruft. So definiert das www.rechtslexikon.net sie so: „Abgaben verschiedenster Art an die Kirche. Im frühen Mittelalter waren die Reichnisse freiwillige Natural- oder Geldleistungen zum Unterhalt der im Dienste der Kirche Stehenden, besonders der Seelsorger, Mesner u. a. Im Hochmittelalter wurden sie z. T. zu Pflichtabgaben.“
 
Auch heute noch müssen die Kommunen Reichnisse zahlen, und zwar ein A-13-Grundgehalt an die Pfarrer der Gemeinde. So kann man nur hoffen, dass das Urteil der Schweizer Richter Schule macht und den Unsinn beseitigt!
 
Die Kirche wird das nicht klaglos hinnehmen. Es bleibt nur noch, auf die Politiker zu hoffen, was aber besonders bei den deutschen Parteien mit einem „C“ im Namen aussichtslos ist. Auch bei Parteien, deren Mitglieder Posten in der Kirchenadministration haben, sieht das ähnlich aus, wenn man z. B. an die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhardt denkt, Präses der EKG (Evangelische Kirche Deutschlands).
 
„So plaudert Claudia Roth ebenso gerne von der Faszination katholischer Riten, wie Renate Künast auf ihr protestantisches Wertefundament baut“, schreibt das Satireblatt Cicero in seinem Artikel vom 28.11.2012 unter der Überschrift „Die neue C-Partei“.
 
Nicht in allen Parteien sieht man das so, wie der Beschluss der Jungen Liberalen in Niedersachsen 2009 zeigt:
 
„Die Jungen Liberalen Niedersachsen lehnen diese jahrhundertealten Subventionen ab, die bis heute Gültigkeit haben, da sie an nicht mehr zeitgemässen Massstäben gemessen wurden und heute an nicht mehr existierende Bedingungen geknüpft sind.
 
So bezahlen einige Gemeinden noch heute Brennholz oder Nahrungsmittel aus finanziellen Verpflichtungen der Pfründe, obwohl sie keine eigenen Pfarrstellen mehr zur Verfügung gestellt bekommen.
 
Auf Grund dieser alten Rechtsverhältnisse zahlen die Bundesländer jährlich etwa 400 Millionen Euro an die Kirchen …
 
Die Jungen Liberalen Niedersachsen fordern mit der Abschaffung dieser Subventionen für die Kirche vor allem eine Entlastung für Länder, Gemeinden und Städte.“
 
Leider sind die Chancen, dies in geltendes Recht umzusetzen, bei dieser Partei sehr gering!
 
 
Quellen
 
Rheinische Post, Düsseldorf, 18.Januar 2012, Seite C 8: Weitsicht".
 
Der Geschichte aus Kastilien liegt zugrunde: Philippe Ariés: „Geschichte des Todes“, dtv wissenschaft, München, 1982, S. 132 „Je vous pardonne“.
 
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