Textatelier
BLOG vom: 09.09.2013

JCF-Leiden: Rohstoffsuche als Frage der Glaubwürdigkeit

Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
 
Die meisten Leute erfahren Neuigkeiten aus der Region immer noch über die Medien. Deshalb nutzen Behörden, Unternehmen und Interessengruppen die Möglichkeit der Presse- bzw. Medienkonferenz, um ihre Sicht der Dinge den transportierenden Medien ungefiltert zu übermitteln. Ohne Publikum, ohne Widerrede, ohne Sicht auf das Ganze kann man den doch meist sehr unerfahrenen, wenigen übriggebliebenen „Medienschaffenden“ seine Sicht der Dinge kundtun. Untermauert von einer durch Kommunikationsprofis positiv formulierten Medienmitteilung glaubt man, selbst komplexe Themen der nicht anwesenden Öffentlichkeit einleuchtend übermitteln zu können. Die Absender (Organisatoren) sind Gewohnheitsmenschen. Sie sind sich entweder ihrer Stellung und Aufgabe so sicher, oder hoffen es zumindest, dass die Öffentlichkeit nur auf ihre Ansichten wartet. Die Medienvertreter gehen den einfachsten Weg: Sie schreiben emsig mit, soweit der Platz reicht. Weder Platz noch Kenntnisse noch der verfügbare Aufwand reichen aus, um eine „verkachelte“ Situation in verschiedenen Facetten darzustellen. Und so provozieren sie Reaktionen, die dann später schon kommen werden, und die ebenso einseitig wieder helfen werden, die Zeitung oder andere Medien zu füllen. Auf der Strecke bleiben die Glaubwürdigkeit und die unerfüllten Hoffnungen der Politiker, der Amtsstellen und der Wirtschaftskapitäne (CEOs). Für alle ist das Scheitern aber nicht so schlimm: Die Geschäfte ziehen sich über die Dauer der eigenen Karriere hin, und die kantonalen Amtsstellen halten sich sowieso sehr zurück, wenn es um Verantwortlichkeiten geht.
 
Wenn man sich diese Mechanismen und die Funktionen vor Augen hält, so wirft eine Pressekonferenz viel mehr Fragen auf als sie beantwortet. Ganz abgesehen davon, dass man in der Regel nur kommuniziert, wenn man nicht mehr anders kann. Als Beispiel für eine „abverheite“ (misslungene) Pressekonferenz diente die Veranstaltung des Aargauer Departementes Bau, Verkehr und Umwelt zusammen mit den Vertretern der Jura Cement Wildegg auf der Suche nach einem neuen gigantischen Steinbruch in der Nähe von Wildegg: www.juramaterials.ch/data/docs/download/8136/de/E-Paper-Ausgabe-AZ-Aarau-Freitag-6-September-2013.pdf
 
Die 3 Herren der Jura Cement Wildegg schauen mit versteinert-trauernden Gesichtsauszügen in Richtung der unsichtbaren Reporter. Offensichtlich stimmen sie weder die die verkündeten „neuen Erkenntnisse“ noch die Zukunftsaussichten optimistisch. Erleichtert dagegen zeigt sich der in der Sitzreihe folgende kantonale Baudirektor Stephan Attinger. Seine Aussage, dass sein Departement dank obiger Erkenntnisse wieder im „Kerngeschäft“ arbeiten könne, stimmt ihn offensichtlich zuversichtlich. Ganz hinten in der Reihe, still, unauffällig, reglos neben seinem neuen Chef, sitzt ein Raumplaner des Kantons. Er ist es, der offensichtlich bisher „ausserhalb des Kerngeschäfts“ im Departement aktiv war. Aber eine solche Überlegung oder eine Aussage zu diesem Thema macht natürlich niemand. Überhaupt hinterfragt niemand die Zusammensetzung der Vortragenden zum Thema: Rohstoffsuche wird auf die Gisliflue und den „Grund“ in Schinznach-Dorf konzentriert. Dafür plant man neu die Vergrösserung des riesigen Abbaugebiets zwischen Auenstein und Veltheim. Auf dem Luftbild schmiegt sich das Loch in der Erde, in der Form einem Engel gleich, zwischen Baugebiete (bevorzugte Wohnlagen) und den offenen Jura. In mittlerer Zukunft soll die östliche Gisliflue oder der Abhang des Linnerberges („Grund“, Schinznach-Dorf) von einer weit sichtbaren markanten Erhebung in ein Loch verwandelt werden, damit die Zementproduktion in Wildegg weitergeführt werden kann.
 
Wieso kommen die Jura-Cement-Fabriken Wildegg und der Kanton Aargau genau jetzt, nach einer bisher rund 17 Jahre dauernden „Evaluation“, darauf, dass der Bözberg/Homberg „sehr weit weg ist“ und eine „unterirdische Transportbahn“ nach Wildegg gebaut werden müsste? Das, meine Herren, sind keine neuen Erkenntnisse, sondern eigene Bestandteile des Projekts und damit der Versprechungen, welche die Jura-Cement-Fabriken an einer völlig analogen Pressekonferenz 2002 verkündet hat. Nur hatten damals die Vertreter der Zementfabrik und des Kantons die Absicht, die Planung der Rohstoffsicherung auf den Bözberg auszudehnen. Damals wie heute wurden weder die Gemeindebehörden noch die Grundeigentümer vororientiert oder irgendwie in die Überlegungen einbezogen. Sie wurden überrascht – und zwar total. Ich staune, dass man es sich in einem angeblichen Weltkonzern (die Jura-Cement Fabriken gehören dem weltweit tätigen irischen Konzern Cement Roadstone Holding, www.crh.com) auch 2013 noch leisten kann, den gleichen Fehler zu wiederholen. Immerhin geht es beim künftigen Abbaugebiet um Sein oder Nichtsein der Zementproduktion in Wildegg. Gegen den Widerstand der Gemeinden und der Bevölkerung ist ein neuer Steinbruch nicht zu haben.
 
Mit der ersten Überraschung der Gemeinden und der Bevölkerung auf dem Bözberg begann im Jahre 2002 die Geschichte des Vereins Pro Bözberg (www.pro-boezberg.ch). Es ist der Widerstand dieses Vereins, der in einem Entscheid des Bundesgerichts vom 15. März 2013 der Gesuchstellerin und dem Kanton Aargau zu „neuen Erkenntnissen“ verholfen hat. Das Leiturteil des Bundesgerichts (http:// relevancy.bger.ch/cgi-bin/JumpCGI?id=BGE-139-II-134) wird natürlich nicht kommuniziert oder kommentiert, obwohl der Kanton Aargau seine bisher durch alle Entscheide behauptete Bewilligungspraxis ändern muss. Die Gemeinden sind für die Baubewilligungen zuständig. Es braucht Rodungsbewilligungen, auch wenn nur auf Waldstrassen gebohrt wird. Der Kanton muss die Verfahrenskoordination sicherstellen. Es sind die Einhaltung der Gesetze, der Widerstand auf dem Bözberg und die möglichen Konflikte mit der Standortsuche nach einem Tiefenlager für radioaktive Abfälle (wieder unter dem Bözberg), die auf einmal den Verzicht auf einen fernen Steinbruch Bözberg/Homberg rechtfertigen – und nicht die neuen Erkenntnisse.
 
Das Buebetrickli von 2002, einen neuen Steinbruch mit einer willkürlichen Evaluation und einem komischen Verfahren (kantonale Probebohrungen für Richtplaneintrag) in der weniger besiedelten Landschaft des Bözbergs bewilligen zu lassen, hat mit dem Leiturteil des Bundesgerichts ein abruptes Ende gefunden. Auch auf und rund um den Bözberg wohnen Menschen, die sich zu wehren wissen. Es ist in der globalisierten und vernetzten Welt nicht mehr die nur die Anzahl der Betroffenen, die es bei langfristigen und irreversiblen Eingriffen in Landschaft und Leben zu berücksichtigen gilt. Der Erfolg von Pro Bözberg liegt einerseits in der Unterstützung durch die betroffenen Grundeigentümer, die Bevölkerung und die vom Kanton verfahrensmässig ausgetricksten Gemeinden, und andererseits agierten im Vorstand sehr erfahrene und gut vernetzte Leute, die sich ausschliesslich von der Sache leiten liessen und sich nicht um die möglichen Konsequenzen ihrer Haltung kümmerten. Es ist überhaupt nicht so, dass ein hartnäckiger Widerstand oder auch kreative Aktionen bei Kanton und Jura-Cement-Fabriken als gelebte Demokratie oder willkommener Beitrag zur Problemlösung anerkannt werden. Für sie ist der neue Steinbruch viel mehr ein gerechtfertigt-verbissener Kampf um ihre Zukunft und gegen die Opposition.
 
Diese Haltung kann nicht positiv stimmen. Zusammen mit Verfahrensfehlern, unvollständiger Kommunikation und Sturheit schafft sie eine Atmosphäre der Unglaubwürdigkeit und bereitet der entschlossenen Gegnerschaft den Boden vor. Pro Bözberg hat es verstanden, all die Unsicherheiten auszunützen und all die Tricks für die Bewilligung von Probebohrungen während über 10 Jahren mit legalen Mitteln zu blockieren. Pro Bözberg wurde zum weitaus grössten Verein der Region und erhielt 2012 vom Kanton Aargau die Anerkennung als beschwerdeberechtigte Organisation. Für den Bözberg waren die jetzt abgebrochenen Planungen des Kantons und der Jura-Cement-Fabriken sehr hilfreich. Der etablierte Verein ist bereit, sich engagiert auch mit neuen Herausforderungen rund um den Bözberg auseinanderzusetzen.
 
Es ist erfreulich, wenn sich das Departement Bau, Verkehr und Umwelt auf seine Aufgaben beschränkt. Der Kanton hat genug zu tun mit dem Vollzug der Raumplanung. Es war nie klar und nachvollziehbar, weshalb sich der Kanton (das Departement) so für einen ausländischen Konzern einsetzte. Gibt es irgendwelche Versprechungen und Abmachungen? Braucht der Kanton die Zementöfen für die Entsorgung von Abfällen? Und dann ist ja auch noch die Sache mit den Atomkraftwerken und der Lagerung der radioaktiven Abfälle. Wieder so ein nicht ganz einfaches und durchsichtiges Dilemma: Der Kanton ist für die Raumplanung zuständig, und gleichzeitig ist er Aktionär beim Energiekonzern AXPO. Irgendwo dazwischen, im luftleeren Raum der gesellschaftlichen Mitwirkung ausserhalb jeder Legitimation, wurstelt auch die Nagra mit.
 
Die Zukunft ist nicht einfach, aber interessant. Auf dem Bözberg haben wir im Moment einen Tribünenplatz. Wie wehren sich die überrumpelten Gemeinden gegen die neuen Pläne? Wie begründet der Kanton neu einen Steinbruch an der Gisliflue, den er früher aus seiner Evaluation gekippt hat? Wie verhält sich die Bevölkerung, die mit einem günstigen Steuerfuss von den bestehenden Löchern profitiert? Wie lange lassen sich die Öffentlichkeit und der Kanton die Steinbrüche noch als neue Oasen für die Natur aufschwatzen? Wie wird sich Pro Natura, die den neuen Steinbruch gerne auf dem Bözberg gesehen hätte und sich damit auf dem Bözberg wenig Freund geschaffen hat, verhalten? Wer führt überhaupt eine Diskussion über die Ziele, die Möglichkeiten und die Lösungen? Ich bin gespannt, wie die Information der Öffentlichkeit und die Diskussion in der Öffentlichkeit weiter gehen.
 
Ich persönlich glaube nicht, dass es sich der Kanton Aargau erlauben kann, im Grund oder an der Gisliflue einen riesigen Steinbruch zu bewilligen. Die Juralandschaft hat nationale Bedeutung. Sie ist von den Autobahnen aus für alle Autofahrer sichtbar. Ob der langfristige Zementabbau für einen irischen Konzern auch nationale Bedeutung hat und die Zerstörung des einmaligen Landschaftsbilds und eines Naturteils des Aargaus rechtfertigt, mögen andere entscheiden. Aber bitte mit glaubwürdigen Argumenten.
 
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