Textatelier
BLOG vom: 24.10.2013

Recherchen (8): Zum dramatischen Anstieg von Allergien

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Ich habe einen Freund in Sydney, dessen Sohn eine Erdnussallergie hat. Als ich die beiden kennenlernte, war der Sohn 5 oder 6 Jahre alt. In seiner Hosentasche war eine Spritze eingenäht, damit er sich selbst spritzen konnte (einfach draufdrücken), falls er irgendwo etwas ass, das auch nur eine Spur Erdnuss enthielt. Ein paar Jahre später fragte ich meinen Freund am Telefon, ob sein Sohn das überwunden habe. Mein Gesprächspartner erzählte mir, dass er für eine lange Zeit Ruhe gehabt habe, dass er aber gerade ein paar Tage vorher seinen Sohn ins Spital bringen musste. Er hatte in der Schule mit einem amerikanischen Schulfreund Tennis gespielt. Dieser hatte vorher ein Erdnussbutter-Sandwich gegessen. Etwas Erdnussbutter hatte sich auf den Tennisball übertragen, und der Sohn berührte den Ball und dann auch sein Gesicht. Das sei dann regelrecht explodiert.“
 
Bei diesem Kind lag eine allergische Sofortreaktion vor. Die Symptome traten also sofort nach dem Kontakt mit dem Allergen auf. Schon kleinste Mengen der Erdnusszubereitung genügten. Dasselbe passierte einer Studentin. In meinem Buch „Richtig gut einkaufen“ (Verlag Textatelier.com) erwähnte ich einige Fälle.
 
Asthma-Attacke einer Studentin
Eine 24-jährige Studentin erlitt in den letzten Jahren einige Male schwere Asthma-Attacken. Die Ursache wurde nicht herausgefunden. Als sie bei einer Party ein Glas Wein trank, bekam sie einen schweren Anfall von Atemnot. Erst jetzt dachten alle an eine mögliche Allergie. Mit gezielten Provokationstests findet man schliesslich den „Übeltäter“ heraus: Es war die im Wein vorhandene Schweflige Säure.
 
Schock im Flugzeug
Eine Referentin reiste mit dem Flugzeug zum Jahreskongress der amerikanischen Allergologen und Immunologen. 10 Minuten nachdem sie im Jet Früchte gegessen hatte, bekam sie einen anaphylaktischen Schock (lebensbedrohlicher Kreislaufzusammenbruch). Die Frau hatte Glück. Eine mitreisende Ärztin spritzte ihr mehrmals Epinephrin und rettete ihr damit das Leben. Wie eine anschliessende Untersuchung ergab, war der Allergieauslöser eine Kiwi-Frucht. Auf dem gleichen Kongress berichtete ein Arzt von einem Mann, der allergisch auf Schalentiere war. Während seines ganzen Lebens hatte er diese peinlichst gemieden.
 
Als er eines Tages vermeintlich harmlose Pommes frites ass, bekam er einen lebensbedrohlichen Kreislaufzusammenbruch. Recherchen ergaben, dass der Verkäufer dasselbe Öl für die Herstellung von Pommes frites und gebackene Krabben verwendet hatte.
 
Rolf P. Hess berichtete von einem weiteren Fall. Der Sohn des Verwaltungspräsidenten einer Firma war nur auf eine Frucht allergisch: Kiwi. Ein Fruchtsalat, der einige Scheiben Kiwi enthielt, verkostete der Allergiker, nachdem die Kiwis aus dem Salat entfernt wurden. Schon der Kiwi-Kontakt zu den anderen Früchten reichte aus, um eine allergische Reaktion auszulösen.
 
Warum gibt es so viele Allergien?
Laut einer repräsentativen GfK-Umfrage im Auftrag der „Apotheken Umschau“ gab fast jeder 5. Teilnehmer an, unter einer Allergie zu leiden. In den letzten 5 bis 10 Jahren wurde eine Verdoppelung der Fälle von Erdnussallergien gesehen. Asthmaerkrankungen haben sich in 3 Jahrzehnten mehr als verdoppelt.
 
Rolf Hess wollte in einer E-Mail vom 11.10.2013 von mir wissen, warum es heute so viele Allergien gebe. Früher habe er noch nie von einer Erdnuss- oder Erdbeer-Allergie gehört.
 
Gehen wir einmal der Frage nach, warum es zu einem dramatischen Anstieg von Allergien kommt. Folgende Theorien über den Allergieanstieg werden diskutiert:
 
1. Hygienehypothese: In einer penetranten Werbung werden bestimmte Reinigungsmittel für einen ultrareinen Haushalt, besonders für saubere Toiletten offeriert. Da wird dann manch eine Hausfrau und mancher Hausmann hellhörig, und sie kaufen diese Mittel. Auch die Händedesinfektion vor dem Essen oder Schlafengehen ist bald überall obligatorisch.
 
Heute haben die Menschen kaum noch Kontakt mit ungefährlichen Mikroben oder harmlosen Parasiten. Das Immunsystem hat kaum noch Gelegenheit, zwischen gefährlich oder ungefährlich zu unterscheiden. Kinder spielen nicht im Schmutz oder haben keinen Kontakt mit Landtieren (höchstens mit Haustieren). Es gibt Hinweise, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufgewachsen sind, weniger mit Allergien zu tun haben. Auch Kinder, die mit Geschwistern aufwachsen und in Kindertagesstätten mit anderen Kindern in Kontakt kommen, leiden weniger unter Allergien.
 
2. Soziale und psychische Faktoren: „Soziologen konnten zeigen, dass die Zunahme der Allergien sich parallel zur zunehmenden Bindungsarmut und Entfremdung in unserer Gesellschaft entwickelt hat (...). Psychische Prozesse können Allergien erheblich beeinflussen. Bei vielen Allergikern verschlimmern sich die Beschwerden unter psychischer Belastung, etwa bei Stress oder Beziehungskonflikten“, sagte Uwe Gieler, Professor für Psychotherapie an der Universität Giessen.
 
3. Luftverschmutzung: Je mehr ein Mensch mit Tabakrauch in Kontakt kommt, desto anfälliger ist er für Allergien. Dies ist angeblich wissenschaftlich erwiesen.
 
Oft wird auch die Luftverschmutzung als Übeltäter angesehen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Einfluss der Luftverschmutzung gering ist. Beispiel: Eine Untersuchung ergab, dass Kinder in der ehemaligen DDR trotz hoher Luftverschmutzung weniger unter Allergien litten als ihre Artgenossen in Westdeutschland.
 
4. Schadstoffe: Nickel, Kobalt und Chrom können Allergien hervorrufen. Vorkommen von Nickel: Nahrungsmittel, Stahlgeschirr aus Chrom-Nickel-Stahl, Neusilber, Modeschmuck, Konservendosen, Zigaretten, Jeansknöpfe, Brillengestelle. Vorkommen von Kobalt: Nahrungsmittel, in allen nickelhaltigen Legierungen, ausländischen Biersorten, Vorkommen von Chrom: verchromte Gegenstände, Nahrungsmittel, Kaliumdichromat.
 
5. Zusatzstoffe in der Nahrung: Auslöser von allergischen und pseudoallergischen Reaktionen können Inhaltsstoffe und natürlich Begleitstoffe von Lebens- und Genussmitteln sein.
 
Es gibt ungefähr 10 000 allergieauslösende Stoffe. Viele davon sind in unseren Nahrungsmitteln bzw. Fertigprodukten. Genannt seien Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Geschmacksverstärker. Die biogene Amine können im Körper allergische Reaktionen auslösen. Biogene Amine sind in Käse, Wein, bestimmten Fischsorten und Schalentieren vorhanden.
 
Mit dieser Flut an fremden Stoffen kann unser Organismus nicht mehr fertig werden. Er reagiert immer häufiger mit einer Allergie als Folge eines ausser Rand und Band geratenen Immunsystems.
 
6. Überangebot an Lebensmitteln: Heute werden die verschiedensten Lebensmittel überall angeboten (auch exotische Früchte). Sie stehen auch das ganze Jahr zur Verfügung.
 
Früher ernährten wir uns jahreszeitengemäss und einfach. Meine Eltern bauten Obst und Gemüse selbst an. Die unveränderte frische Milch bezogen wir vom Bauern. Damals hörte ich kaum etwas über Allergien. Heute ist es so, dass es in Industrieländern mehr Allergien gibt als in Entwicklungsländern.
 
7. Medikamente und Impfungen: Medikamente zur Magensäurebindung können Allergien begünstigen. Grund: Durch die Bindung der Magensäure wird die Aufspaltung potenter Allergene im Magen behindert (http://jucknix.de). Auch Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Diclofenac, Ibuprofen und Antibiotika wie Penicillin und Tetrazykline können Allergien auslösen. Manchmal reagieren Menschen nicht auf den Wirkstoff, sondern auf Farb- Aromastoffe und Konservierungsmittel in einem Medikament.
 
Impfungen werden verdächtigt, Allergien zu begünstigen. Die Studienlage ist jedoch widersprüchlich. Infos unter www.impf-info.de
 
8. Weitere: Nichtstillen oder zu frühes Beenden des Stillens, zu frühe Konfrontation des Säuglings mit Kuhmilch und Getreide, chemische Rückstände in der Nahrung, erbliche Bereitschaft zu Allergien, Pollenbelastung, Kleidung, Kosmetika, Haushaltsreiniger und Waschmittel, Farben, Lacke, Hausstaub, Vitamin- und Mineralstoffmangel (so begünstigt z. B. ein Mangel an Vitamin D Allergien).
 
Anhang
Allergien, Pseudoallergien
Pseudoallergien: Diese sind vom Laien nicht von den echten Allergien abzugrenzen. Die Pseudoallergien sind Unverträglichkeitsreaktionen ohne Beteiligung von Antikörpern (diese werden bei Eindringen von Fremdstoffen von der körpereigenen Abwehr produziert). An pseudoallergische Reaktionen sind oft synthetische Farbstoffe (Azofarbstoffe), Konservierungsstoffe und biogene Amine verantwortlich.
 
Die Nahrungintoleranzen werden durch angeborene oder erworbene Enzymdefekte ausgelöst. Dies ist z. B. der Fall bei Laktasemangel (Laktase = milchzuckerabbauendes Enzym) oder Zöliakie (Unverträglichkeit gegenüber Klebereiweiss).
 
Allergien: Die meisten Allergien werden durch Früchte, Gemüse, Kuhmilch, Nüsse, Fische, Hühnereiweiss, Schalentiere, Fleisch, Schokolade und Gewürze ausgelöst. Zunehmend werden auch Allergien nach dem Verzehr von exotischen Früchten (Kiwi) beobachtet. Wird jedoch eine exotische Frucht nur wenig verzehrt, dann gibt es auch seltener Allergien (Kokosnuss-Allergien sind bekannt, sind aber selten, wie mir Frau Dr. E. Blaurock-Busch mitgeteilt hat).
 
Bei einer Milchallergie reagieren Betroffene auf bestimmte Eiweisse in der Kuhmilch. Bei der Erdnussallergie sind 3 Proteine vorhanden, die Allergien auslösen können. Allergische Hauterkrankungen sind die Nesselsucht, Neurodermitis und das Kontaktekzem.
 
Internet
http://jucknix.de (Allergiezunahme)
 
Literatur
Haas, Maria: „Der beste Schutz vor Pollen“, „Apotheken-Umschau“, 2009-03.
Scholz, Heinz: „Richtig gut einkaufen“ (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag), Verlag Textatelier.com, Biberstein 2005.
Scholz, Heinz: „Allergisch auf falsche Kost“, „Kosmetik International“, 1991-01.
Strässle, Andrea: „Pollenalarm“, „Natürlich“, 2008-03.
 
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