Textatelier
BLOG vom: 26.12.2013

Fest der Tiere und Menschen: Euphonie und Kakophonie

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen D
 
Die Tiere feiern das Fest der Euphonie, wenn das Christfest der Menschen vorbei ist. Alle freuen sich auf das aufgeregte Gekakel der Hühner, das Wiehern der Pferde, das Krähen der Hähne, das Gekrächze der Raben, das Röhren der Hirsche, das Miauen der Katzen, das Fiepsen der Mäuse, das Quaken der Frösche, das Schnattern der Gänse, das Mucken der Hasen und das Bellen der Hunde.
 
Sie begehen das Erinnerungsfest an die Bremer Stadtmusikanten. Der Jagdhund kläfft, der Esel i-aht, die Katze miaut, der Hahn kikerikiert aus vollem Halse. Die Schafe mähen, die Ziegen blöken dazu, die Kühe muhen, die Pferde wiehern. Die Nachtigall schlägt, der Kuckuck ruft und die Taube gurrt.
 
Sie feiern, dass das ununterbrochene Getöse der Weihnachtsmusik, die Kakophonie, endlich zu Ende geht. Es schallt aus allen Läden, von Weihnachtsmärkten und Kirchtürmen, aus den Wohnzimmern und Kapellen, mit Pauken und Trompeten. Es dudelt aus den Lautsprechern (den Lautdudlern), aus dem Fernseher, aus den Stereoanlagen. Es dudelt pausenlos, ohne Erbarmen.
 
Die Euphonie der Tiere tönt klarer und authentischer. Es klingt aus den Kehlen der Tiere, von Gesängen der Vögel. Es sind natürliche Geräusche, keine künstlich erzeugte. Die Tiere, diese menschlichen Folteropfer, flögen davon, wenn sie könnten; sie würden fliehen, so weit wie möglich, nur weg.
 
Jahr für Jahr wird es ärger, lärmender, lauter, aufdringlicher. Nicht nur, dass die Menschen so viel Licht erzeugen, am meisten im Dezember, nachts ist kein dunkles Fleckchen mehr zu finden, auch die Ruhe ist dahin. Die Augen der Katzen als glühende Kohlen anzusehen, vorbei und nur noch im Märchen! Die Bremer Stadtmusikanten erhalten kein Arrangement mehr; bei den Menschen will niemand mehr etwas von ihnen wissen. Gegen die wummernden Lautsprecher mit ihren durchdringenden Basstönen kommen sie nicht an!
 
So haben sie sich im Wintermonat im tiefen Wald auf einer Lichtung versammelt und feiern. Keine Menschenseele lässt sich blicken. Der Mond sendet sein Licht zwischen den Wolken hindurch und grüsst. Ein Wolf jault und erwidert den Gruss. Nach dem Konzert breitet sich eine wohltuende Stille aus, und alle fallen in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
 
Hinweise
Euphonie= musikalischer Wohlklang, zugrunde liegt griechisch euphônía „angenehme Stimme“, das über lateinisch euphoniea ins Deutsche gelangte.
Kakophonie = griechisch kakos, „schlecht“ und phonia Laut, Ton, Stimme.
Bremer Stadtmusikanten= ein Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm.
 
Hinweis auf weitere kritische Weihnachtsbetrachtungen
24.12.2007: So oder so? Weihnachten mit oder ohne Magenbrennen
Hinweis auf weitere Blogs von Bernardy Richard Gerd
Weihnachten und das Winterfest
Schreibblockade und Krankheit
Greise, deren Einfluss und der Lauf der Zeit
Wenn der bockige Bock einen Bock schiesst
Sommerhitze
Das Priamel, ein Vierzeiler, den man auch noch heute kreieren kann
Kinderfragen - W-Fragen
Grübeleien eines Insassen in einer deutschen Strafanstalt
Karl Marx und die Globalisierung
Sicherheit und Risiko
Folgen des Konsums
Verbrechen, Ängste, Drang und Fatalismus
Andere Kulturen, andere Denkweisen
Gehört zur deutschen Sprache eine einfache Aussprache?
Gedanken zum Frühling