Textatelier
BLOG vom: 03.01.2014

Sie spinnen, die Römer: 3 Tage lang die Stadt Rom erlebt

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen (Norddeutschland)
 
An diesen Lieblingsausspruch von Obelix in der Comic-Reihe Asterix und Obelix musste ich bei unserem 3-tägigen Städtebesuch über Weihnachten denken: „Die spinnen, die Römer.“
 
Ich hatte in weiser Vorausahnung mein Geld und meine Geldkarten aus meiner Geldbörse, eine hübsche Mappe aus Kamelleder, in Indien hergestellt, in eine unter dem Pullover zu tragende, am Körper befestigte Bauchtasche umgepackt und trug in Rom meine indische Börse in meiner Hosentasche, aus der sie ein kleines Stück hervorlugte.
 
Wir stiegen in die Metro ein. Aus Gewohnheit hatte ich das Restgeld für das 3-Tage-Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel zuerst dort hinein getan, dann aber auch sicher verstaut. Meine Jacke stand aber noch offen, und die Jeanshose war ungeschützt. Um mich herum drängten 3 Jugendliche mit mir zusammen in die Metro. Eine von ihnen 3 tänzelte herum, machte einen kleinen Hopser, und bevor die Metro losfuhr, sprangen sie schnell aus dem Wagen. Einige Minuten später entdeckte ich, dass die Mappe nicht mehr in der Hosentasche steckte. Meine Vorahnung hat mich nicht getrogen!
 
Rom ist voller Touristen. Vor dem Kolosseum tummelten sich, obwohl der Zugang am Heiligabend geschlossen war, viele Einheimische herum. 4 junge Männer, blaue dünne Plastiktüten mit Inhalt in der Hand, flüchteten vor einem Polizisten, der sie auf einem Fahrrad verfolgte. Nur die Treppen herauf bis zur Strasse war für den Ordnungshüter ein nicht zu bewältigendes Hindernis und die Männer konnten fliehen.
 
Taschendiebstahl scheint ein sicherer Broterwerb für Jugendliche in Rom zu sein. Aber nicht nur das. Es gibt viele Möglichkeiten, legal sein Geld zu verdienen. Ich denke dabei nicht nur an die zahllosen Strassenverkäufer mit Schmuck, Taschen, Tüchern „original aus Kaschmir“, und allerlei anderen Krimskrams wie kleine Mitbringsel der römischen Sehenswürdigkeiten, garantiert „Made in China“. Vor Restaurants, Cafés und Bars stehen Bedienstete, meist männlich, die die Touristen in die Lokale locken wollen.
 
Dann gibt es noch die Schausteller. Einer von ihnen hatte das Kostüm des Tutenchamun an, und wenn jemand ihm eine Münze in die Dose fallen liess, verbeugte er sich oder strich dem Kind über den Kopf. Sehr hübsch war auch eine Figur ohne Kopf, aber mit Hut und einer herunterhängenden Brille. Nicht nur einmal sahen wir auch eine Person auf einem kleinen Brettchen knien, das nur durch eine Holzsäule einseitig mit dem Boden verbunden war und den Vorbeigehenden in Erstaunen versetzen sollte, wie der Mann sein Gleichgewicht halten kann und wo er seine Beine hat. Denn unter dem Brett, auf dem er hockte, war nichts. Um sich in diese Position zu bringen, waren mindestens 2 Personen erforderlich, und diese verhüllten sich unter einem schwarzen Sack, bis alles korrekt eingerichtet war. Personen in allerlei Kostümen standen starr, manchmal auf einem kleinen Podest, völlig unbeweglich, und sie rührten sich erst, wenn Geld gespendet wurde.
 
Es scheint nichts zu geben, das nicht geeignet ist, den Touristen dazu zu animieren, Geld auszugeben, natürlich auch bettelnde Menschen mit Hund oder mit Kleinkind, ohne Arme, ohne Füsse oder mit anderen Gebrechen.
 
Man kann viele Sehenswürdigkeiten in Rom erreichen, ohne einen Stadtplan zu benutzen. In der Altstadt muss man nur den Touristenströmen folgen. So erreicht man leicht das Forum Romanum, das Denkmal Viktor Emanuels II. und andere.
 
Der 1. Tag hinterliess bei meiner Frau und mir den Eindruck, Rom sei ein einziges Museum mit Gebäuden und Ruinen des alten Roms. Überreste sind überall zu finden, Ausgrabungen, Säulenstücke, Mauern, Rundbögen, die Stadtmauern, durch die die alte Via Appia führt.
 
Der 2. Tag war der 1. Weihnachtstag. Wir fuhren mit der Metro zu einem S-Bahnhof, von dem aus wir mit vielen Touristen zum Petersdom strömten. Um 11 Uhr, so lasen wir auf einem grossen Monitor, sollte der Papst vom Balkon oberhalb des Eingangs in den Dom aus den Segen „Urbi et orbi“ erteilen, „der Stadt und dem Weltkreis“. Auf dem Platz vor dem Dom sassen auf einigen Stuhlreihen bereits eine Anzahl von Jugendlichen. Ansonsten liefen einige Menschen herum, die aber auf der grossen Fläche nicht besonders auffielen.
 
Es war erst kurz nach 10 Uhr. So gingen wir in die Vatikanische Basilika Di S. Pietro, nachdem wir durch eine Sicherheitsschleuse geführt wurden. Sie ist sehr beeindruckend, besonders die riesige Kuppel von Michelangelo, der Säulengang von Bernini, auch die grosse Krippe hinter dem Eingang. Im vorderen Bereich wurde der Zugang für die Touristen gesperrt und eine Prozession von Männern in kirchlichen Gewändern, darunter auch Bischöfe, lief zu einem Altar, um einen Gottesdienst zu zelebrieren.
 
Für Kunstbegeisterte, die sich für christliche Kirchen interessieren, ist die Basilika natürlich die Fundgrube schlechthin, nicht anders als die ganze Stadt Rom, die buchstäblich an jeder Ecke eine Kirche aufweist, in allen Stilrichtungen, die meisten im gotischen, barocken und Renaissance-Stil.
 
Als wir gegen 10.45 Uhr aus der Basilika hinausgingen, war der Platz davor zwar voller, aber noch nicht gefüllt. Wir entschieden, uns an der linken Seite vorn mit einem guten Blick auf den Balkon zu platzieren. Hinter der Absperrung begannen einige Kamerateams langsam ihre Geräte aufzubauen, teilweise verhüllten sie sie wieder und verschwanden. Die jungen Leute auf den Sitzplätzen wurden durch eine Frau zum Sprechchorrufen animiert, was mich an die Cheerleader beim American Football erinnerte.
 
Langsam füllte sich der Platz. Einige Kameras wurden nicht auf den Balkon ausgerichtet, sondern in Richtung des Platzes auf die Zuschauer. Gegen 11.30 Uhr marschierte eine Formation der Schweizergarde in Uniformen auf. Es folgten noch zwei andere uniformierte Blaskapellen, die nicht etwa religiöse Musik spielten, sondern etwas, das wie nach Giuseppe Verdi klang. Die 3 Gruppen platzierten sich unter Befehlen in der Mitte direkt unterhalb der Basilika und des Balkons.
 
Der Platz füllte sich zusehends. Scheinbar wussten wohl die meisten Zuschauer, in den Medien „Gläubige“ genannt, dass der Auftritt des Papstes erst zur Mittagstunde erfolgen würde. Auf einem höher gelegenen Balkon uns direkt gegenüber versammelte sich eine Gruppe mit einer argentinischen Flagge, unten im Publikum konnte man „Español“ in grossen Buchstaben lesen, und noch weitere Flaggen wurden gezeigt.
 
Endlich, kurz vor 12 Uhr, erschien auf dem Balkon mit einigen anderen Personen Papst Franziskus, daneben der Kameramann, der für die Aufnahmen, die direkt auf die 2 grossen Monitore auf dem Platz und in alle Welt übertragen wurden, verantwortlich war. Die Bedeutung des Auftritts sollte wohl durch die Verspätung betont werden – die Oberen lassen das Volk warten.
 
Die Rede des Kirchenoberhaupts war kurz. Er ging auf die politischen Ereignisse und Katastrophen der letzten Zeit in aller Welt ein, die viele Menschenleben gefordert hatten. Dann erteilt er den Segen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern sprach er nur italienisch und lateinisch. Es wurde gerufen und applaudiert. Der Auftritt wurde von vielen Gläubigen emotional empfunden; wir sahen Menschen mit Tränen in den Augen. Danach marschierten die 3 uniformierten Gruppen wieder ab, und die Zuschauer zerstreuten sich.
 
Wir gingen links zu einer Strasse und setzten uns draussen an einen Tisch eines Restaurants, um etwas zu essen und zu trinken. Eine ältere Dame sass bereits dort. Wir sprachen sie an. Sie erzählte uns, dass sie aus den USA stamme, sie sei aber bereits seit 30 Jahren in Rom ansässig, wo sie gealtert sei. Wir kamen auf den Segen zu sprechen, und sie sagte, dass sie enttäuscht sei; der Vorgängerpapst sei ein grösserer Schauspieler gewesen und hätte durch seine Grussworte in vielen verschiedenen Sprachen die Menschen direkter angesprochen.
 
Nach meinem persönlichen Empfinden war das Ereignis, auf neudeutsch „Event“ genannt, eine grandiose Show mit – in den Medien genannten – 70 000 Zuschauern auf dem Platz.
 
Der Fussweg durch die römische Innenstadt führte uns noch zu einigen Kirchen. Am nächsten Morgen im Hotel sass ein deutsches Ehepaar neben uns am Frühstückstisch, und der Mann berichtete, dass sie gestern in 13 Kirchen gewesen seien. Rom sei für ihn keine unbekannte Stadt. Als Religionslehrer habe er sie mit Schülergruppen bereits 30 Mal besucht; jetzt sei er aber pensioniert.
 
An diesem 2. Weihnachtstag besuchten wir eine Ausstellung, die die technischen Erfindungen Leonardo da Vincis zeigten. Sehr erstaunt war ich über ein Fahrrad, das sich im Aussehen nicht sehr von den modernen unterscheidet, mit Zahnrad und einer Gliederkette für den Antrieb. Viele weitere Vorrichtungen waren zu sehen, neben Kanonen auch Werkzeugmaschinen, z. B. für das Bohren von länglichen Löchern durch Baumstämme.
 
Anschliessend gingen wir in die Kapuzinerkirche mit angeschlossenem Museum, in der einiges über den Mönchsorden gezeigt wurde, und in die sich anschliessenden Gewölbe mit dem Kapuzinerfriedhof. Hier sind die Toten nicht in Gräbern bestattet, sondern die Skelette liegen, bekleidet in ihren Kutten, offen in Särgen oder sie stehen aufrecht. Um sie herum sind hunderte von Knochen aufgeschichtet. An der Decke der verschiedenen Nischen sind die Knochen befestigt, schön drapiert und angeordnet, teilweise nach Knochenart sortiert, etwa eine Anzahl von Beckenknochen und Knöchelchen aller Art. Es riecht ein wenig muffig. Fotografieren war nicht gestattet, schliesslich will man die Toten nicht mit Blitzlichtern erschrecken ... Die Besucher hätte es jedenfalls nicht getroffen.
 
Wieder im Tageslicht angekommen, regnete es. Wir wollten einen Capucchino trinken und gingen in ein, wie uns schien, einfaches Café, aus dem moderne Diskomusik zu hören war. Erstaunt waren wir, als wir für die 2 Getränke 10 Euro bezahlen mussten, der höchste Preis für 2 Tassen Kaffee, den wir je bezahlt hatten.
 
Rom hat wunderschöne Plätze und Brunnen, die natürlich die Anziehungspunkte für Touristen aus der ganzen Welt sind. So liefen wir noch einige Stunden durch die Stadt, sahen viele Bauwerke und besichtigten eine Reihe von Kirchen. Beeindruckend ist das Pantheon, das vollkommenste aller erhaltengebliebenen klassischen Bauwerke, nach letzten Forschungen aus der Zeit Hadrians, ein heidnischer Tempel, der nach dem Jahre 609 in eine christliche Kirche umgewandelt wurde. Leider war es an den Weihnachtstagen geschlossen.
 
Gegen Abend gingen wir zur Piazza Navona. Darauf gab es einen Weihnachtsmarkt mit allerlei Buden, Schaustellern und einem Magier neben den 3 Brunnen, von denen der mittlere „eine Fabel Aesops in Marmor“ mit verschiedenen Figuren von Bernini gebaut worden ist.
 
Vom Platz aus kann man in die Barockkirche St. Agnese in Agone gehen, die angeblich an der Stelle gebaut worden war, an welcher Agnes, die Märtyrerin, ihrer Kleidung beraubt, durch ein Wunder so lange Haare bekommen habe, dass sie damit ihre Blösse bedecken konnte. Die Legende passt zur Körperfeindlichkeit des Christentums. Es ist eine Kuppelkirche, der Raum unter der Kuppel ist grösser als alle 4 Seitenflügel. Ich hatte von Deutschland aus Karten für ein Barockkonzert in dieser Kirche gebucht, das eine Stunde nach der für das Publikum bestimmten Öffnungszeit stattfinden sollte. Wir wurden darüber belehrt, dass wir einen Hintereingang benutzen mussten. Aber es war noch Zeit, und so gingen wir in das Café neben der Kirche. Dort erhielten wir eine ganze Kanne Tee für 1.50 Euro. Nicht überall in Rom werden Touristen ausgenommen.
 
Das Konzert war für 19.30 Uhr angesetzt; noch eine viertel Stunde vor 20 Uhr kamen Besucher. Der Beginn war nicht in der Kirche selbst, sondern in einer Kripta mit einem Frauenbildnis über dem Altar. Eine junge Dame führte durch das Konzert, berichtete über die Streitigkeiten zwischen Bernini und Borromini, einem der Architekten der Kirche. Es war ein Konzert mit Musik weniger bekannter Komponisten und wurde ohne Instrumente von 2 Sängerinnen und 2 Sängern vorgetragen. Etwa zur Hälfte des Programms wurden wir gebeten, in die Hauptkirche zu wechseln und konnten dort die Akustik des grossen Raumes geniessen.
 
Rom wird „die ewige Stadt“ genannt, was natürlich eine Übertreibung und Metapher ist, denn nichts ist ewig. Eine Stadt, die so gefüllt ist mit Bauwerken aus 2000 Jahren, gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Es scheint, als ob die mehr als 260 Päpste sich alle durch eine Kirche unsterblich machen wollten, denn in jeder der Kirchen, die wir besuchten, wurde ein anderer verehrt. Wie überall auf der Welt scheint diese Vorgehensweise zu funktionieren, nicht nur Kirchen, auch andere besondere Bauwerke sind geeignet dafür, sei es das Taj Mahal in Agra in Indien, der Eiffelturm in Paris oder die Pyramiden in Ägypten.
 
Rom lässt sich nicht in 3 Tagen erfassen. Ich wäre noch gern in die Sixtinische Kapelle gegangen, in einige Museen, unter anderem in die Galerie der Villa Borghese, in die Engelsburg. Für einen Eindruck reicht es aber. Es ist eine bedeutende Kulturhauptstadt und durchaus eine Reise wert!
 
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