Textatelier
BLOG vom: 27.02.2014

Die Inquisition in Washington: CH-Banker kriechen zu Kreuze

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
 
Wollte man ein Wort finden, das ähnlich missbräuchlich angewandt wird wie Justice aus dem Munde von US-Millionen-Eintreibern, man würde es wohl kaum finden. Justice bedeutet Gerechtigkeit, Rechtmässigkeit, und die US-Herrscherequipe trägt dieses Wort immer mit sich umher; es sitzt ihnen locker auf der Zunge. Doch hat der ehrenwerte Begriff innerhalb der Vereinigten Staaten keinerlei Auswirkungen, sondern er kommt nur ausserhalb von deren Grenzen zur Anwendung, wobei die ungerechten US-Grössen als Straf- und Scharfrichter fungieren.
 
Diese brutalen Vorwürfe bedürfen natürlich der Begründung, wobei ich mich hier allein auf den berühmten Steuerstreit USA-CH kapriziere, obschon an weiteren Beispielen keinerlei Mängel bestünde, vor allem auch an solchen aus den geostrategischen und handelspolitischen Bereichen. So habe ich mich dieser Tage in die neueste Ausgabe des Buchs „Steueroasen“ (Ausgabe 2014) des bekannten deutschen Fachautors Hans-Lothar Merten vertieft, der sein 570 Seiten umfassendes, ausgezeichnetes Grundlagenwerk bereits im 19. Jahrgang herausgebracht hat. Sein Exzerpt am sich abzeichnenden „Ende der Anonymität“: „Offshore-Leaks (Lecks aus abgelegenen Finanzplätzen „jenseits der Küste“ mit niedrigen Steuern und vertraulicher Geschäftsabwicklung, TA), Steuer-CDs, Informationsaustausch und verschärfte Kontrollmassnahmen haben die Steuerflucht vermögender Privatpersonen und Unternehmen ins Ausland nicht stoppen können – im Gegenteil. Mit immer komplizierteren Konstrukten stellt sich die Offshore-Welt immer schneller auf die global veränderten rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen ein.“
 
Wenn man das opulente Buch durchackert, wird dem Leser unwillkürlich bewusst, wie global ausgedehnt, verzweigt und umfangreich das Offshore-Geschäft ist. Dessen Schwerpunkte sind nicht nur in Europa inkl. Zypern und in der Karibik, sondern insbesondere in den USA höchstpersönlich. Zum „Steuerparadies USA“ schreibt Mertens (auf Seite 559): „Während die Vereinigten Staaten ihr Möglichstes tun, die Steuerflucht ihrer Bürger zu bekämpfen, werden sie für ausländische Steuerflüchtlinge immer attraktiver. Einerseits sind Geldwäscher und Steuersünder (in den USA, TA) nicht ernsthaft gezwungen, Schwarzgeld zu versteuern – nur die Erträge daraus -, anderseits wird die Privatsphäre ausländischer Bankkunden stark geschützt. Auf Amtshilfe der US zur Offenlegung von Schwarzgeld und Aufklärung von Steuerbetrug warten andere Länder derzeit vergeblich (...). Während andere Steueroasen ‚ausradiert’ werden, überrascht es dabei nicht, dass das US-Aussenministerium 2013 eine Rekordzahl an Anträgen für sogenannte Investorenvisa erwartet.“
 
Die rekordmässig blühende US-Offshore-Industrie
Auf Seite 352 ff. kann man im Weiteren dazu nachlesen, dass der „Löwenanteil des weltweiten Offshore-Bankgeschäfts“ über die USA abgewickelt wird: „Deren Bundesstaaten Delaware, Nevada und Wyoming bieten Vermögenden und Unternehmen eine grosse Offshore-Palette zur Steuerumgehung und -vermeidung an. Und in der Schwarzgeld-Oase Miami sind Steuerflüchtlinge nicht nur aus Mittel- und Südamerika, sondern neuerdings auch aus Europa willkommen. Dies gilt vor allem für deutsche Steuerflüchtlinge, die ihr Schwarzgeld bisher vor allem bei Schweizer Banken geparkt haben. Nicht umsonst bezeichnet das Tax Justice Network die hier aufgeführten US-Bundesstaaten als ‚die undurchsichtigsten und heimlichtuerischsten Finanzplätze der Welt – noch vor der Schweiz oder den Cayman Islands’.“
 
Das dreckige Spiel der US-Amerikaner verschafft ihnen also gleich 3 Vorteile auf einen Schlag: Mit ihren astronomischen Strafaktionen spülen sie sich Milliarden in die leeren (und löcherigen) Kassen einerseits, schwächen oder vernichten die Bankenkonkurrenz und ziehen anderseits das lukrative Offshore-Geschäft an sich.
 
Im Schatten der Totschweiger-Medien
Es ist höchst erstaunlich und obendrein ein himmeltrauriges Zeichen für die westliche Publizistik, die sich beinahe durchgehend weigert, solche Zusammenhänge zu thematisieren. Sonst aber entblöden sich die Schreiber und Berichterstatter nicht, jeden Unfug breitzuschlagen, wenn er bloss aus dem gelobten Amerika stammt. Zu dieser Methode des Totschweigens, geboren aus Unterwürfigkeit dem Mächtigeren gegenüber, kommt das verängstigte Verhalten der ausseramerikanischen Banken, die um ihren Marktzugang in den USA fürchten oder Angst vor der Vernichtung haben. Der Feind ist gross, mächtig, skrupellos. Sie kooperieren bis zur Selbstverstümmelung, bezahlen hohe Strafen, die sie im Voraus in einem Reservekonto bereitgestellt haben, obschon das Erfahrungswissen vorhanden ist, dass dadurch im Land der summenmässig und zeitlich unbegrenzten Abzockereien nur wieder neue Begehrlichkeiten ausgelöst werden.
 
Der Gang nach Canossa
Am Mittwoch, 26.02.2014, pilgerte der Boss der bereits weitgehend veramerikanisierten Schweizer Grossbank Credit Suisse (CS), Brady Dougan, reumütig nach Washington, von wo er ein Aufgebot erhalten hatte. Bei diesem Canossa-Gang ging es nicht über eine geistliche und eine weltliche Macht, sondern um eine Grossmacht gegen bereuende Sünder im Beichtstuhl. Das Verhör dauerte 3.5 Stunden.
 
Der gebürtige Amerikaner Dougan hatte sich einem Ausschuss des US-Senats zu stellen, wobei die die Bekämpfung von Steuerhinterziehung via ausserhalb der USA gelegenen Offshore-Konti im Zentrum des Geschehens stand. Die Reise in sein Heimatland unternahm der Amerikaner zusammen mit 3 weiteren Führungsmitgliedern der Grossbank: von den Co-Chefs Private Banking und Vermögensverwaltung, Hans-Ulrich Meister und Robert Shafir, sowie dem Chefjuristen Romeo Cerutti. Auf der Gegenseite (USA) amtete der Leiter des ständigen Unterausschusses für Untersuchungen, Carl Levin, ein demokratischer Senator aus Michigan, als Grossinquisitor. Levin wird im Herbst 2014 erfreulicherweise seine Karriere beenden. Er möchte den Schweizer Banken am liebsten den Zugang zum US-Finanzmarkt verbarrikadieren (was den Banken viel Leid ersparen würde). Der 79-Jährige, der die Offshore-Zustände im eigenen Land geflissentlich übersieht und merkwürdigerweise auch nicht darauf angesprochen wird, kämpft seit Jahren gegen das Schweizer Bankgeheimnis. Letztes Jahr hatte sein Komitee zudem Strategien von Firmen wie Apple zur Steuervermeidung aufs Korn genommen.
 
Die geständigen CS-Sünder aus dem Lande der Helvetia krochen bereits vor der Ankunft in den USA gegenüber den dortigen gnadenlosen, heiligen Kriegern in Demut auf den bankinternen Bodenbelägen herum und taten alles, um ihre Position gegenüber der Steueroase USA vorbeugend zu schwächen. Sie verlautbarten: „ Wir möchten zu Beginn festhalten, dass die Credit Suisse die historische Realität, dass Schweizer Gesetze zum Schutz der Kundenidentität anfällig auf Missbrauch waren und auch missbraucht wurden, anerkennt“, hiess es in der Stellungnahme der Credit Suisse. Namentlich sei klar, dass einige US-Kunden von Schweizer Banken das Schweizer Bankgeheimnis als einen Weg sahen, die Tatsache zu verstecken, dass nicht all ihr Einkommen bei den lokalen Steuerbehörden deklariert und versteuert gewesen sei.
 
„Zu unserem tiefen Bedauern ist auch klar, dass einige in der Schweiz stationierte Banker der Credit Suisse ihren US-Kunden beim Verstecken von Einkommen und Anlagen geholfen zu haben scheinen", stand in der vorauseilenden CS-Beichte weiter. Obschon es für Schweizer Banken weder illegal war noch sei, Gelder von Amerikanern zu akzeptieren, sei es absolut inakzeptabel, wenn in der Schweiz stationierte Banker US-Steuerzahlern bei der Umgehung von Steuern geholfen haben, gefolgt von Worten des tiefen Bedauerns. Die Amerikaner hatten schon vor Beginn der Inquisition nach mittelalterlicher Vorlage diese gewonnen. Und dann wurde vom Zürcher Paradeplatz aus noch ein letzter Anbiederungsversuch vom Stapel gelassen: Die Credit Suisse habe tiefe Wurzeln in den USA, die bis auf das 18. Jahrhundert zurückgingen, die Nähe zum Mittelalter betonend.
 
Peter Henning, Rechtsprofessor an der Wayne State University, hat recht, wenn er feststellt: „Das ist politisches Theater. Die Senatoren machen ihrer Unzufriedenheit mit dem Justizministerium Luft“ (zitiert nach SRF1).
 
Die Vorgeschichte
Am 25.02.2014 erinnerte die NZZ an die Unterwürfigkeit der CH-Banken und an einen ähnlichen UBS-Auftritt („Credit Suisse vor US-Senat zitiert“): „Bei der Anhörung dürfte es um eine Bestandesaufnahme zu den Ermittlungen der US-Justiz gehen, die bisher etwa 70 amerikanische Steuersünder sowie gut 30 Schweizer Banker, Vermögensverwalter und Treuhänder angeklagt hat. Am Hearing werden denn auch der stellvertretende Justizminister James Cole sowie die Leiterin der Abteilung Steuern im Justizministerium, Kathryn Keneally, teilnehmen. Keneally hatte kürzlich erklärt, dass sich 106 Schweizer Banken in der Gruppe 2 des amerikanischen Programms eingereiht hätten, mit dem diese ihre Altlasten im Steuerstreit bereinigen können. Diese Banken gehen davon aus, dass sie gegen US-Steuergesetze verstossen haben könnten. Die Credit Suisse sowie 13 weitere Institute gehören dagegen zur Gruppe 1. Dies sind Banken, gegen die die USA seit geraumer Zeit ermitteln. Diese Institute handeln mit den USA individuell Deferred Prosecution Agreements (Aufschub der Strafverfolgung, DPA) aus, wozu auch Bussen gehören.
 
Dougans Auftritt ist nicht der erste eines Bankers aus der Schweiz im Zusammenhang mit der Verwaltung unversteuerter Gelder. 2008 und 2009 war die UBS zweimal vor den Ausschuss zitiert worden. Sie wurde dort mit Untersuchungsergebnissen konfrontiert, die Levin durch Aussagen des früheren UBS-Mitarbeiters Bradley Birkenfeld gewonnen hatte. Der Brite Mark Branson, der mittlerweile für die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht arbeitet und dort als Anwärter für den Chefposten gilt, hatte sich damals im Namen der UBS für deren Verhalten entschuldigt.
 
(...) Die Grossbank CS ist offiziell seit Juli 2011 das Ziel von Ermittlungen und kooperiert mit den US-Behörden. Das Geschäft mit unversteuerten Geldern war im Urteil der Amerikaner bei der CS deutlich kleiner als bei der UBS. So heisst es in einer Anklage gegen 8 CS-Banker vom Juli 2011, die Bank habe im Herbst 2008 4 Mrd. $ an undeklarierten Geldern amerikanischer Kunden verwaltet. Bei der UBS sollen es rund 20 Mrd. $ gewesen sein.“
 
Soweit der informative Bericht aus der NZZ, welche den gewaltigen Offshore-Betrieb in den USA dennoch ausgeklammert hat. Noch niemand hat geschrieben, dass man auch einmal einige verantwortliche US-Oasenbetreiber nach Zürich in die Schweiz zum Verhör einladen und ihnen vorwerfen müsste, wie sie dem Finanzplatz Schweiz einen grossen Schaden zufügen und dafür zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Wären Gefängnisplätze im Rahmen der ungebremsten Zuwanderung nicht bereits zu Raritäten geworden, würde man die inkonsequenten US-Ermittler am besten gleich einsperren. Doch haben die Kosten wegen der Nation, die mit dem Schlagwort Justice nur bei Streiten mit dem Ausland um sich wirft, ohnehin bereits jede vernünftige Dimension gesprengt.
 
 
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