Textatelier
BLOG vom: 26.04.2014

Im Dorfmuseum Eichen: Zeitreise zu Ankefass und Düchel

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
 
Das hatte ich noch nie zuvor gesehen: Einen Bestattungswagen mit Rädern und Kufen zum Herunterlassen. Durch diese Erfindung war der Wagen auch bei Schnee als „Schlitten“ nutzbar. Der Wagen war in Gersbach, heute ein Ortsteil von Schopfheim D, im Einsatz. Anlässlich der Eingemeindung von Eichen nach Schopfheim 1976 wurde dieser Wagen in einem Trauerzug mitgeführt. Das war seine letzte Fahrt! Nun hängt das Prunkstück an der Decke des Dorfmuseums auf dem Heuboden.
 
Diesen Bestattungswagen und viele Gegenstände aus Grossvaters Zeiten sah ich im Dorfmuseum in Schopfheim-Eichen, das ich am 15.04.2014 in Augenschein nahm.
 
Im Jahr 2000 gab es erste Ideen, den ehemaligen Farrenstall in der Webergasse – direkt neben dem Rathaus in Eichen − zum Dorfmuseum umzubauen. 2 Jahre später gab es konkretere Impulse anlässlich des Wettbewerbs „Unser Dorf soll schöner werden“. 2004 bis 2005 erfolgten der Umbau und die aufwändige Renovierung und Restaurierung der Exponate. Das war nur möglich durch das Engagement des Brauchtumsvereins Eie e.V. und der zahlreichen freiwilligen Helfer, die mehr als 2000 Arbeitsstunden leisteten. Die Eröffnung erfolgte am 20.05.2007 anlässlich der 1200-Jahr-Feier (erstmalige urkundliche Erwähnung von Schopfheim, Einheim und Wechsa).
 
Auf 2 Etagen präsentiert das Museum viele Gegenstände von anno dazumal. Die Exponate wurden von den ehemaligen Besitzern aus dem Kleinen und Grossen Wiesental unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
 
Karl-Friedrich Klemm vom Brauchtumsverein hatte sich dankenswerterweise bereit erklärt, mich durch das Museum zu führen. Etwas später gesellte sich noch mein Freund Claus von Wehr, der ebenfalls Mitglied des Vereins ist, dazu.
 
Zunächst schritten wir durch die „gute Stube“. In dieser werden Veranstaltungen wie Lesungen, Vorträge und Filme gezeigt. Im Januar 2014 wurde der „Dampfnudelblues“ von Heidi Tschamber vorgeführt. Die zahlreichen Besucher konnten sich auch kulinarisch verwöhnen lassen. Passend zum Film gab es von Heidi Tschamber fabrizierte köstliche Dampfnudeln.
 
In der kleinen Küche sah ich an einer Wand einen Teller mit Inschrift. Dieser stammte aus einem alten Bauernhaus aus Wies. Die damals 93-jährige Bäuerin stellte diesen originell verzierten Teller vor ihrem Umzug ins Altersheim zur Verfügung.
 
Der Text ist ein Loblied auf alle Omas. Umrahmt ist der Text von 7 Bildern aus dem Tätigkeitsbereich so mancher Grossmutter. 
Die Oma
Zur Oma, so will´s die Natur,
wird man durch seine Kinder nur!
Ist man es, sagen diese ehrlich:
„Oma ist einfach unentbehrlich!“
Sie flickt, sie strickt, sie sorgt, sie schenkt
für`s Enkelkind, an das sie denkt,
liegt in der Wiege es im Schlummer,
bis hin zu seinem ersten Kummer,
den ihm, in irgendeiner Art,
das Leben später kaum erspart! –
Auf Oma aber darf man bauen,
und ihrem guten Rat vertrauen.
Sie will nur der Familie Glück,
drum ist sie deren bestes Stück.
Es gilt im Dorf und in der Stadt,
wohl dem, der eine Oma hat!! 
Als ich Herrn Klemm gefragt hattee, wo denn ein Loblied auf die Opas sei, antwortete er, da gebe es keins. Die Opas mussten oft auf dem Feld arbeiten und hatten wohl keine Zeit, sich um Enkelinder und den Haushalt zu kümmern. Heute sieht es etwas anders aus. Auch die Opas betreuen Enkel. (Fahrten machen, von der Schule abholen, Einkaufen gehen fürs Mittagessen usw. So mache ich es auch!)
 
In einer Ecke der „guten Stube“ befand sich das erste Prunkstück, nämlich ein Neff-Küchenherd, der mit Holz befeuert wurde. Die Asche von der Herdbefeuerung war ein gutes Düngemittel. Die Asche eignete sich auch zum Putzen und zum Waschen.
 
Brenngeschirr und Ankefass
Als ich den grossen Raum im ehemaligen Farrenstall betrat und die mit viel Akribie zusammengetragenen Exponate sah, staunte ich ganz schön. Zunächst erblickte ich ein Schild mit der Aufschrift „Sprungzeit der Farren“. Farren sind geschlechtsreife, männliche Rinder, die dann in einem Nebenraum die Kühe bespringen mussten. Es wurden feste Zeiten im Sommer und Winter eingeplant.
 
Der Raum bot viele Exponate wie Milchwägeli, Ankefass, Brenngeschirr, Küchengeräte, einen altbadischen Bienenkasten, ein Bienenköniginnenfanggerät, eine Honigschleuder, Flachsbreche, Obstpresse, Mostpresse, handbetriebene Zentrifuge zur Trennung von Milch in Rahm und Magermilch und einen Baumspritzfasswagen.
 
Mit dem Ankefass wurde Butter produziert. Für die Butterherstellung waren kleine Handgeräte und grössere Behältnisse im Einsatz.
 
Beim Betrachten der Ankefässchen fiel mir das folgende Rezept eines Anke-Brots ein: Dünn geschnittene Brotstückchen werden mit Anke in der Pfanne angeröstet. Darüber kommen einige verklepperte Eier. Alles zusammen wird gut durchgebacken. Dazu gibt es Dörrobst (Äpfel, Birnen, Zwetschgen), das am Abend vorher eingeweicht wurde, oder Apfelschnitzli, Bireschnitz oder Salat. Eine einfache Kost, nach der sich wohl der moderne und oft überfütterte Mensch ab und zu sehnt.
 
Mit besonderem Interesse betrachtete ich das Brenngeschirr. Wie Herr Klemm sagte, wurde früher fast in jedem Bauerngehöft Hochprozentiges gebrannt. Dieser Schnaps diente auch als Medizin. Nicht nur innerlich, sondern auch äusserlich als Einreibemittel bei rheumatischen Beschwerden und anderen Gebresten. Im Schwarzwald erhielten sogar Kleinkinder ein Leinensäckchen als Schnuller, das mit Schnaps getränktem Zucker gefüllt war und als Einschlafmittel diente.
 
Im Buch „Schwarzwaldleben anno dazumal“ ist über den Schnaps dies zu lesen: „In Zeiten grosser Not haben verzweifelte Bauern und Taglöhner Vergessen im Schnaps gesucht. Auch manches Fest mag in überbordende Fröhlichkeit ausgeartet sein. Die edlen Wasser haben die Schwarzwälder dennoch nicht in die Alkoholsucht getrieben.“
 
Ein Prunkstück des Museums ist die alte Turmuhr der Volksschule Eichen. Sie kam durch Zufall in den Besitz von Norbert Wenger. Hier sein Bericht: „1987 wollte ich bei Willi Gehweiler in Brombach eine Schilderuhr kaufen. Bei diesem Treffen sah ich zum ersten Mal eine Turmuhr. Willi sagte, diese Uhr stamme aus Eichen und wurde von einem Turmuhrbauer aus Kandern 1904 hergestellt. Das Uhrwerk war vorbildlich restauriert, das Zeigerwerk und Zifferblatt waren nur noch Schrott. Trotzdem war ich von dieser Uhr so fasziniert, dass ich sie gleich kaufen wollte.“
 
Der Besitzer erklärte, er habe diese Uhr schon einem Schweizer versprochen. Wenger konnte ihn jedoch überzeugen, dass diese Uhr im Lande bleiben solle. Für 200 DM erstand er die Uhr. Er wollte die Uhr im Haus installieren, aber er stellte diese nach einem Gespräch mit dem damaligen Vorsitzenden des Brauchtumsvereins Hans Schwald (jetziger Vorsitzender: Hanspeter Tschamber) und Karl-Friedrich Klemm dem Verein zur Verfügung.
 
Mein Blick schweifte über einen Waschtrog mit Waschbrett. Diese riefen bei mir Erinnerungen wach. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrubbte meine Mutter noch ihre Wäsche mit Seifenlauge und einem Waschbrett in einem Zuber. Wie Herr Klemm sagte, wuschen die Frauen des Dorfes früher ihre Wäsche im Dorfbach. Das war eine mühevolle Arbeit.
 
Wasserleitungen aus Holz
Im Nebenraum waren Exponate der Forstwirtschaft, ein Kienspanhobel, eine Schnitzbank, eine alte Waage, ein Schuhmacherkoffer und Düchel ausgestellt. Die Düchel sind Wasserleitungen aus Holz. Im März 2010 wurde in Eichen in der Alten Wehrerstasse aus etwa 4 m Tiefe ein Wasserleitungsrohr aus Holz ausgegraben. Solche Holzleitungen gab es schon bei den alten Römern. Da Rohre aus Blei, Bronze oder Ton oft zu teuer waren, wurden solche durchbohrten Kiefernhölzer verwendet. Ein angebohrter Stamm und ein ca. 4 m langer Deuchelbohrer waren in diesem Raum zu sehen.
 
An einem Fenstersims stand ein Böllergefäss. Dieses wurde mit Schiesspulver gefüllt und angepresst, und das Pulver mit einer Zündschnur – eine Öffnung dafür befand sich knapp über dem Boden des Gefässes – gezündet. Daneben befand sich eine eiserne Kugel, deren Bedeutung nicht einwandfrei festzustellen ist. Der ehemalige Wirt von der „Sonne“ in Eichen meinte, die Kugel sei vom Hotzenwald abgefeuert worden und in Eichen eingeschlagen.
 
Dann ging es über eine steile Treppe auf dem ehemaligen Heuboden. Hier erblickte ich den erwähnten Trauerwagen, aber auch Pflüge aller Art, einen grossen Leiterwagen für den Heutransport, eine Dreschmaschine, eine Steinschrotmühle, Schlitten für Milchtransporte und eine Getreidereinigungsmaschine.
 
In der Steinschrotmühle wurde Schrot für die Fütterung der Tiere hergestellt. Die Getreidereinigungsmaschine diente dazu, um Getreidekörner von Unkrautsamen, Bruchkörnern, Fremdkörnern, Stroh und Spreu zu trennen.
 
„Und hier sehen Sie unsere Besonderheit, nämlich einen Heuaufzug. Dieser wird regelmässig in Betrieb genommen. Kinder freuen sich besonders darüber“, so Herr Klemm. Dann erklärte er die Funktion und setzte den Heuaufzug in Bewegung. Mittels eines Elektromotors und eines Seilzuges wird die Laufkatze an einer unter dem Dachfirst befestigten Schiene der Greifer in Gang gesetzt. „Am Ende der Schiene löst sich der Greifer automatisch und fällt in das vorher abgeladene Dörrgut (z. B. Heu). Nach dem Schliessen des Greifers wird dieser wieder bis zur Laufkatze hochgezogen, wo er einrastet. Die Laufkatze fährt dann an der Schiene bis zum vorher eingestellten Abladepunkt. Dort wird der Greifer geöffnet, und das Dörrgut fällt zu Boden, von wo aus es noch per Heugabel auf die gesamte Gebäudebreite verteilt werden muss“, so las ich das unter Wikipedia. Früher gab es Heuaufzüge, die mit Muskelkraft bewegt werden mussten.
 
Es gab noch viel zu sehen in diesem originellen und interessanten Museum. Karl-Friedrich Klemm – von Beruf Maschinenbauschlosser; jetzt Rentner − ist ein fundierter Kenner der Exponate aus dem Hausbereich, der Landwirtschaft und der Handwerkerzunft. Es ist eine Freude, ihm zuzuhören. Er kann Besucher durch seine freundliche Art und seinem Wissen begeistern.
 
Bei solchen Museumsbesuchen kommt mir immer in den Sinn, wie erstaunlich fortschrittliche Utensilien es in Haus und Hof gab, welche die Arbeit erleichterten, und wie erfindungsreich die Menschen anno dazumal waren.
 
Bestimme Exponate riefen bei mir Kindheitserinnerungen wach. Der Besuch dieses Museums war in der Tat eine Reise in die Vergangenheit. Es ist bestimmt von Vorteil, wenn unsere Kinder und Enkelkinder bei so einem Museumsbesuch etwas aus dem oft entbehrungsreichen Leben ihrer Vorfahren erfahren.
 
 
Führungen
Kurzfristige Terminvereinbarung bei Christa Klemm, Tel. +49 (0)7622 3484 oder E-Mail christa_klemm@web.de
 
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