BLOG vom: 17.05.2014
Eine Hochzeit in Indien: Der Auftakt am Vorabend (Teil 1)
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, berichtet aus Kerala/Südindien
Wie bei jeder Begrüssung von Gästen, beginnt der Vorabend der kirchlichen Hochzeit in Indien mit einem Glas Chai/Tee. Als Freund des Onkels der Braut bin ich der Einladung nach Kerala gefolgt und vertrete meine Familie, die viele der heute Anwesenden bei früheren Aufenthalten hier in Indien und auch in Deutschland bei Feierlichkeiten kennengelernt hat. Diese Feier am Vorabend der Trauung gehört ganz der Familie der Braut; der Bräutigam und seine Familie sind nicht anwesend. So etwas wie ein Polterabend bei uns ist hier unbekannt.
Das Fest findet auf dem Familienanwesen statt, auf dem auch mein Freund zeitweise seine Kindheit verbracht hat. Es ist ein Bungalow, der vor 2 Jahren erweitert und renoviert worden ist und inzwischen 2 Küchen aufweist, die traditionelle alte, in der der Herd noch mit Kokosnussschalen beheizt wird, und eine neue, in der mit Gas gekocht wird. Vor dem Haus ist ein Stück Land mit Kokospalmen, und dahinter sieht man einen riesigen See. Es ist aber keiner, sondern ein bewässertes Reisfeld. Reis benötigt viel Wasser, und erst zur Ernte im November wird das Wasser abgepumpt. Es ist idyllisch. Die Dunkelheit mit dem Mond und ein paar sichtbaren Sternen am Himmel tragen zur aufgelockerten Stimmung bei.
Ich bin der einzige Ausländer. Nicht nur mein Freund mit seiner Familie, sondern auch noch ein Paar, Onkel und Tante, haben sich ein Taxi mit Fahrer gemietet. Die Fahrer dürfen auch mitessen und mittrinken. Sie begleiten ihre Fahrgäste die ganze Zeit über bis zum Abschluss der Reise.
Es ist eine christliche Familie. In Kerala gehört etwa ein Fünftel der Bevölkerung diesem Glauben an. In vielen Orten sieht man die katholischen Kirchen; es gibt überall Schulen, Hochschulen und Internate unter christlicher Führung. An den Gebäuden ist zu erahnen, dass die Institution Kirche nicht arm ist. Sie behauptet ihre feste Stellung unter den anderen Religionsgruppen. Die Kirchen sehen gut unterhalten aus, und die Schulen haben einen hervorragenden Ruf.
Die Inder sind ein gläubiges Volk, die Religion, sei es der Hinduismus, der Jainismus, der Glauben der Sikhs, der Islam oder das Christentum und andere, spielt eine wichtige und bedeutende Rolle im Leben jedes Inders. Ich habe noch niemanden getroffen, der sich nicht zu einem Glauben bekennt. Ungläubige dürften in der Minderheit sein. Wenn ich erwähne, dass in Deutschland die Zahl derer, für die die Religionsausübung unwichtig geworden ist, stetig wächst, stosse ich oft auf Unverstand. Die meisten Inder können sich das nicht vorstellen, für sie gehört die Zuwendung zu Gott einfach dazu. So versammeln sich auch alle im Laufe des Abends vor einem beleuchteten Jesusbild und beten gemeinsam.
Danach beginnt eine Zeremonie, die, wie man mir berichtete, obwohl schon Tradition, noch gar nicht so alt sei. Die Braut sitzt auf einem Stuhl vor einem Tisch, auf den ein viereckiger Kuchen gestellt wird. Der Kuchen hat einen schokoladigen Zuckerguss. Man hat Kuchen gewählt, es könnte auch eine andere Süssigkeit sein.
Jeder der Anwesenden, angefangen mit dem ältesten Familienmitglied bis zum jüngsten, geht zur Braut, bricht von dem weichen, süssen Kuchen mit Daumen und 2 Fingern der rechten Hand ein Stück ab und schiebt es der Braut in den Mund. Damit wird die Süsse des Lebens symbolisiert. Ein Lebensabschnitt wird abgeschlossen, ein neuer begonnen. Er soll ebenso angenehm sein wie der vorausgegangene. Es geht dabei fröhlich zu, manchmal wird der Mund dabei etwas verschmiert oder der Finger zu weit hineingeschoben.
Natürlich wird jeder Biss fotografiert. Überhaupt werden dauernd Fotos gemacht. Sie sind wichtig zur Selbstdarstellung und Dokumentation.
Ein weiterer Brauch ist es, dass die nächsten Familienangehörigen paarweise mit der Braut und dem Bräutigam die ausgestreckten Hände berühren, man will sich gegenseitig Glück in die Hände geben.
Die Familienzusammengehörigkeit spielt in Indien eine wichtige Rolle. Man trifft sich zu Familienfeiern, denn die Mitglieder sind überall auf der Welt verstreut, sei es in Indien einige 100 oder 1000 km entfernt, in Arabien, in Europa oder in den USA. Wie überall auf der Welt, freut man sich über solche Ereignisse und darüber, sich einmal wieder zu sehen. Es wird viel geredet.
Ich verstehe die Landessprache Mayalayam nicht. Immer wieder bezieht man mich in die Gespräche mit ein, erinnert an frühere Begegnungen und Episoden. Der Wechsel zwischen der Landessprache und Englisch oder Deutsch ist problemlos.
Die Männer bilden Grüppchen und sprechen dem Alkohol zu. Manchmal wird es ein wenig laut, denn er tut seine Wirkung, und alte Streitpunkte werden hervorgekramt. Meinungsverschiedenheiten über Lebensweise oder über Erbbesitzansprüche der Kontrahenten kommen zur Sprache. Da wird manchmal der Ton etwas rauer und die eigene unveränderte Position in der Verwandtschaft bekräftigt.
Einer der noch jungen Fahrer setzt sich leicht angetrunken in den Wagen und fährt rückwärts gegen eine grosse Baumwurzel und beschädigt einen Kotflügel. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, auch der beschädigte Wagen wird ausgetauscht. Man diskutiert ausführlich über Alkohol und Strassenverkehr und dass damit in Indien zu lasch umgegangen werde. Erst wenn etwas passiert, entstehen erhebliche Probleme für den Trinker.
Die Braut ist fröhlich und geniesst den Abend im Kreise ihrer Familie offensichtlich. Sie erwähnt, dass ihr Leben ab morgen anders sein werde.
Doch davon im Teil 2 meines Berichts.
Hinweis auf weitere Blogs über Indien
24.03.2012: Im Urwald der indischen Region Coorg: NaturverbundenheitHinweis auf weitere Blogs von Bernardy Richard Gerd
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