BLOG vom: 17.06.2014
Kleine Sommergeschichten mit verschiedenen Akteuren
Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
Im Bus
Jetzt gerade erinnere ich mich an eine Busfahrt vom Sommer 2013. Da sass eine junge Frau, vielleicht aus Skandinavien, schräg vor mir. Sie trug ein schwarzes, ärmelloses Leinenkleid. Ich bemerkte, dass ihre Armkugeln tätowiert waren. Um ihr Kind kümmerte sie sich keinen Augenblick. Sie arbeitete während der langen Fahrt konzentriert auf dem E-Book, derweil die Kleine sich für alles interessierte, was es zu sehen oder zu hören gab. Es war ein ausserordentlich zufriedenes Kind. Es blickte aus dem Kinderwagen Richtung Tür und konnte über die vielen Stationen Kinder und Erwachsene beobachten, wie sie aus- oder einstiegen. Noch bevor ich am Ziel war, schob die Frau ihr Arbeitsgerät plötzlich ins Etui, löste die Bremse am Kinderwagen, machte einige Schritte Richtung Tür und stand noch einen Augenblick still, bis der Bus anhielt. Da sah ich auf dem entblössten Rücken tätowierte Engelsflügel.
Zu Fuss im Park
Am Pfingstmontag fuhren Primo und ich erstmals nach Schönenwerd SO, um den Bally-Park endlich kennenzulernen. Auf Bahnreisen ab Aarau wurden wir schon öfters auf ihn aufmerksam. Zudem hatte Walter Hess schon am 25.8.2006 in einem Blog ausführlich über diesen Ort berichtet. Wir wussten also, dass wir eine Schönheit vorfinden werden. Und waren dann von ihr sofort eingenommen. Dieser Ort darf Oase sein. Bäume, Teiche, Wege sind zu einem Gesamtkunstwerk im englischen Stil gestaltet, ansprechend auch die miniaturisierten Pfahlbauten. Ihnen gegenüber verweilten wir lange, schauten, wie das dümpelnde Wasser Moosfetzen langsam, sehr langsam, mit sich zog. Eine Stimmung, wie sie von Europäern vielleicht in einem buddhistischen Kloster erlebt wird. Wahrscheinlich befanden wir uns ebenfalls auf Alphawellen.
Der sehr heisse Tag oder vielleicht das verlängerte Pfingstwochenende mögen weitere Besucher ferngehalten haben. Wir fühlten uns alleine, auch wenn hie und da andere vorüber gingen.
Und dann entdeckten wir plötzlich einen Hinweis auf eine besondere Geschichte. Auf einer der Informationstafeln im Park lasen wir von einer Marienstatue, die zur Zeit der Reformation 1512, nach dem Bildersturm in Bern, in die Aare geworfen worden sei. In Schönenwerd dann ans Land gezogen. Und von den Anwohnern willkommen geheissen. Dieses Ereignis soll die Marienwallfahrt nach Schönenwerd begründet haben.
Auch in Zürich wurden zur selben Zeit religiöse Bilder ins Wasser (in die Limmat) geworfen. Auch aus Wut der Religion gegenüber. Und nach dem heute nicht mehr gültigen Sprichwort: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Wir fanden anschliessend den Weg zur Christkatholischen Kirche, in der die Marienstatue immer noch beheimatet sei. Sie war aber geschlossen. Immerhin durften der Kreuzgang besucht und die Rosenpracht bewundert werden.
Auf einer Bank im aargauischen Bahnhof Baden
Wir sassen auf einer Bank im Bereich Gleis 1. Mit dem Rücken zum alten, immer noch gepflegten und gehegten Bahnhofgebäude, das Vergangenheit und Gegenwart respektvoll verbindet. Wir warteten auf die S-Bahn nach Zürich-Altstetten. An einem solchen Ort zu sitzen und die Reisenden zu beobachten, das ist in Zürich nicht mehr möglich. Vergleichbare Sitzgelegenheiten sind verschwunden. Hier schauten wir zu, wie Reisende ankamen oder wegfuhren. Wir beobachteten Kinder, die aus dem Pfingstlager heimkehrten. Müde und offensichtlich erfüllt von allerlei Abenteuern.
Dann, noch bevor der Schnellzug nach Zürich eintraf, bemerkte ich einen Mann, den ich kennen musste. ???... Ah ja, Hermann Hesse... ein Doppelgänger. Erstaunlich die Übereinstimmung mit Fotos aus meinem inneren Archiv. Der breitrandige Hut, die lockere Baumwollhose, die Brille, der Blick, die Haltung, die hohe Sensibilität ausdrückte... unglaublich nahe dem Original. Sein Begleiter, vermutlich sein Enkel. Ein Bursche im Sekundarschulalter. Er war noch mit seinem Rollbrett beschäftigt. Verpackte es, während sein „Grossvater“ seine Sporttasche hütete. Dann war alles getan und gesagt. Die beiden warteten. Stillschweigend. So war es doch früher, als man nicht schon vor dem Bahnhof im Auto verabschiedet worden war.
Dann traf der Zug ein. Der Bursche nahm sein Gepäck, schritt, ohne speziell adiö zu sagen, nahe an den Perronrand. Der Grossvater folgte ihm. Erstaunlich: Dieselbe Haltung der beiden. Nicht streng aufrecht, den Kopf voran. Der junge Mann stieg ein, fand sofort einen Fensterplatz. Da erhob er kurz seine Hand. Ebenso tat es der Grossvater. Als der Zug dann losfuhr, winkten sie einander, solange sie sich sehen konnten. Ein Männerabschied, dachte ich dazu.
Hinweis auf weitere Blogs über Ausflüge
13.06.2005: „Limmatsprützer“ auf der Zürcher Werdinsel
07.10.2005: Über Aachen-Eupen in den Naturpark Hohes Venn
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