Textatelier
BLOG vom: 24.07.2014

Hüttenbücher: Lieber in die Ferne sehen als Fernsehen

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
In Berghütten brechen oft die philosophischen Adern der Berggängigen auf, deren Inhalt mehr oder weniger geistreich ist und worin sich Frust und Lust ein Stelldichein geben. Dazu einige Beispiele: Auf einer Wanderung um das Lipple oberhalb von Malsburg-Marzell und Kaltenbach kamen wir am 11.07.2014 an der Gleichenhütte (946 m ü. NN) vorbei. Während einer Ruhepause studierte ich das Hüttenbuch. Dabei wurde bestätigt, dass sich die meisten Einträge in Gipfel- und Hüttenbüchern mit dem Wetter, der Hütteneinrichtung, der Politik und anderen, oft belanglosen Dingen befassen. Ab und zu findet man schöne Gedichte, Gedanken, Glückwünsche, lustige Sprüche, Gebete und ansehnliche Zeichnungen. Schmierereien sind unerwünscht. Leider war das Hüttenbuch in der Gleichenhütte etwas zerfleddert.
 
Welcher Trottel war das?
16.09.2012: „Welcher Trottel oder Drogenabhängige zerschlägt eine grüne Weinflasche in 112 Glassplitter und lässt diese einfach am Treppeneingang liegen? Missgeschicke passieren nun mal, aber dann entsorgt man die gefährlichen Splitter. Deutschland schafft sich wirklich ab.“ Das Hüttenbuch als Erziehungsinstrument.
 
Wohltat für den Allerwertesten
13.11.2011: „Herzlichen Dank für hinterlegte Sachspenden. Löblichste Erwähnung der gütigsten Spender der vorzüglichsten Axt und des hoffentlich lang lebenden Kehrichtbesens und 2 weinrote und eine weisse grosse Kerze. Nicht zu vergessen das dreilagige oder vierlagige Toilettenpapier …“ Er erwähnt dann, dass der Allerwerteste oft mit hartem und scharfen, mit Druckerschwärze versehene Zeitungspapier malträtiert wird. Er bedankt sich bei der badischen Hüttencommission für diese Wohltat für den Hintern.
 
Am 19.11.2011 folge noch ein Eintrag derselben Person (an der Schrift erkennbar). Sie beklagt sich über die herrschende Dürre und wundert sich, dass im Regenmonat November kein Nass vom Himmel fällt. „Das ganze Wasser ist im Land der Männer mit den langen Bärten (Langobarden bzw. in der Lombardei) niedergegangen.“
 
Lieber in die Ferne seh’n
Während unserer Westwegtour 1984 von Pforzheim zum Belchen fand ich in der Hütte auf dem Farrenkopf im Hüttenbuch der Ortsgruppe Gutach tiefsinnige Sprüche. Ein 12-Jähriger wandelte ein Kinderlied leicht ab: „Froh zu sein bedarf es wenig, doch wer wandert, der ist König!“ Ein Junge: „Wir wandern von Flensburg zum Bodensee. Nie wieder Fernsehen – lieber in die Ferne sehn.“
 
Ein weiterer Sinnspruch: „Wozu in die Ferne reisen (wandern), liegt doch das Schöne so nah!“
 
Unter www.gipfeltreffen.at las ich die beiden Sprüche, die in einem Gipfelbuch verewigt sind: 
„Das Wasser gibt dem Ochsen Kraft,
dem Menschen der edle Gerstensaft.
Drum danke Gott als guter Christ,
dass du kein Ochs geworden bist!"

„Ich würgte eine Klapperschlang'
bis ihr Klappern schlapper klang!"
 
Im Internet fand ich noch weitere erwähnenswerte Zitate.
 
22.07.2006: „Viele Wege führen zu Gott und einer über die Berge.“
 
28.03.2005 (Gipfelbuch an der Drachenwand, 1060 m):
„Lieber sich am Gipfel ausruh’n,
als zu Hause die Arbeit tun.“
 
29.10.2007 (gefunden in Traunstein, Bayern):
„Männer am Berg, Frauen im Tal –
Oben die Freiheit, unten die Qual …“
 
Einen Tag später schrieb jemand darunter:
„Den Spruch kann man auch umdrehen.“
 
Im Internet kann man in diverse Hüttenbücher sehen. Im Buch vom Fluhseeverein in Lenk standen die folgenden Einträge: 
„Der Rucksack war schwer,
nun ist er leer,
die Wampe ist voll –
es war toll!“ 
04.10.96: „Aufstieg zum Fluhsee, sonniges Wanderwetter. Nach Vollkornbrot, Rohkost und jede Menge Bier. Hütte nachts etwas muffig. Vorsicht bei der Toilettenbenutzung, es sind noch Mitbewohner unter der Toilette.“
 
Gemeint waren sicher Mäuse. Laut einem anderen Eintrag fingen 2 junge Frauen nachts 2 Mäuse.
 
In einem Hüttenbuch war folgendes Gedicht zu lesen: 
„Menschen, die die Berge lieben,
widerspiegeln Sonnenlicht,
die anderen, die im Tal geblieben
verstehen ihre Sprache nicht.“ 
Sprüche auf Gedenksteinen und Kreuzen
Während der Westwegtour lasen wir oberhalb der Ruine Hausach an einem Kreuz folgende Weisheit: „Wanderer, steh´ still, betrachte mich, geh´ weiter und verzage nicht.“ An einem Gedenkstein, der Karl Schmid gewidmet ist, stand zu lesen:
 
„Mit Herz und Sinnen die Schöpfung erfahren – Wandern!“
 
Nun, wir verzagten auch bei der Westwegwanderung 1984 trotz Blasen an den Füssen nicht.
 
Gedicht aus dem schönsten Bushäusle
In Unteribach (Hotzenwald) gibt es eine Rarität, nämlich das schönste Bushäusle weit und breit. Das Häusle wurde vor 12 Jahren auf einem Privatgrundstück erbaut und in Eigeninitiative von den Anwohnern eingerichtet. Betreut wird das Häusle ganzjährig von Karin Fischer.
 
Im offenen Häusle sind unwahrscheinlich viele Utensilien vorhanden. Es ist so liebevoll eingerichtet, dass nicht nur die wartenden Kinder ihre Freude haben. Die Bänke sind mit Kissen und im Winter mit Schaffellen ausgelegt. An den Wänden hängen Bilder, und in einer Ecke sitzen auf einem Regal niedliche Stofftiere.
 
An einer Wand sah ich bei einer Wanderung am 30.07.2009 (Blog „Wandern im Schwarzwald III: Lampenschweine und Moore“) den bemerkenswerten Spruch „Traumwelt“, der von Lucille Crètu, Klasse 4 a, von der Lindenbergschule in Munzingen verfasst wurde: 
„Mein Traum wäre eine friedliche Welt.
Eine Welt, in der alle, alle
nett zueinander sind.
Überall wachsen grüne Bäume und Büsche.
Es gäb’ alles umsonst
und viele grosse Spielplätze.
Alle spielen draussen
und niemand bleibt drinnen.
Das wäre eine schöne Welt.“ 
Gedanken einer Generation
Bei einer erneuten Wanderung rund um Ibach am 16.04.2014 kamen wir wieder an diesem originellen Bushäusle vorbei. Nun hing dort ein beschriebenes DIN A4-Blatt mit dem Titel  „Gedanken einer Generation aus dem vorigen Jahrhundert“ (Verfasser unbekannt). Die Ereignisse, die hier beschrieben sind, haben viele in ähnlicher Form sicherlich ebenfalls erlebt. Es ist ganz interessant, diese Revue passieren zu lassen.
 
„Zurückliegend ist es kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten. Wir sind Helden!
 
Als Kinder sassen wir – wenn überhaupt – in Autos ohne Sicherheitsgurt und ohne Airbags. Unser Bettchen war angemalt mit Farben voller Kadmium und Blei.
 
Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeit öffnen. Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere kleinen Finger, und auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm.
 
Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen, nicht aus Flaschen. Wir verliessen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Strassenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren. Und wir hatten nicht einmal ein Handy (dabei)!
 
Wir haben uns geschnitten, brachen Knochen und verloren Zähne, und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle. Niemand hatte Schuld, ausser wir selbst. Keiner fragte nach der Aufsichtspflicht.
 
Wir assen ungesundes Zeug (Schmalzbrote, Schweinebraten etc.), und keiner scherte sich um Kalorien, und wir wurden trotzdem nicht zu dick.
 
Wir hatten keine Playstation, Videospiele, Fernsehkanäle, Videofilme oder DVDs, keine Computer und kein Fax.
 
Aber wir hatten Freunde!
 
Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Strasse. Oder wir gingen zu ihnen nach Hause und klingelten. Manchmal brauchten wir nicht zu klingeln und gingen einfach hinein, ohne Termine, ohne das Wissen der Eltern. Wie war das nur möglich?
 
Wir dachten uns Spiele aus mit Holzklötzchen, Wäscheklammern, Murmeln. Fahrräder, nicht Mountainbikes, wurden von uns selbst repariert.
 
Wenn einer gegen das Gesetz verstossen hatte, war klar, dass die Eltern ihn nicht automatisch herausboxten. Im Gegenteil, sie waren oft der gleichen Meinung wie die Polizei.
 
Unsere Generation hat eine Fülle von innovativen Problemlösungen und Erfinden mit Risikobereitschaft hervorgebracht. Wir hatten Freiheit, Erfolg, Misserfolg und Verantwortung. Mit allem mussten wir umgehen, wussten wir auch umzugehen.“
 
Im Gästebuch des Bushäusles sind einige bemerkenswerte Einträge enthalten. So kam eines der „Brause Girls“ (die gerne Brause im Häusle verzehrten) aus Mutterslehen immer wieder vorbei, um zu relaxen und von der ausliegenden Brause zu naschen. Eine Neuseeländerin war von dem Bushäuschen so begeistert, dass sie schrieb, sie wolle zu Hause ein Zwillingshäuschen initiieren.
 
 
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